Corona: Jeder 5. Versicherer erwartet Personalabbau und Prämienerhöhungen

Die Corona-Krise trifft auch die Versicherungsindustrie mit "voller Wucht", wie die Unternehmen bestätigen. Vor allem Kunden und Vermittler dürften die Auswirkungen der Krise zu spüren bekommen.

09:04 Uhr | 28. April | 2020
Die Diskussion um Betriebsschließungsversicherungen habe das Potenzial, für die Versicherer zum "Dieselgate" zu werden, sind Branchenvertreter überzeugt.

Die Diskussion um Betriebsschließungsversicherungen habe das Potenzial, für die Versicherer zum "Dieselgate" zu werden, sind Branchenvertreter überzeugt. Bild: AdobeStock/ Danny

Je länger die Corona-Krise andauert, desto mehr Studien beschäftigen sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von Lockdown und Kontaktsperren – auch auf die Versicherungsindustrie. Auch diese wird von der Pandemie „mit voller Wucht“ getroffen, wie nun eine neue Umfrage der Beratungsgesellschaft EY und der V.E.R.S. Leipzig GmbH nahelegt. Befragt wurden für diese keine Kunden, sondern die Unternehmen selbst. Insgesamt 30 Versicherer beteiligten sich und zeichneten ein Bild, das von schweren Auswirkungen auf die Branche ausgeht.

Nahezu Übereinstimmung herrscht bei der Einschätzung, dass die Krise Auswirkungen auf die Kapitalanlagen der Versicherer hat – 96 Prozent der befragten Unternehmen erwarten dies. Viele haben bereits reagiert und – wie beispielsweise die Deutsche Familienversicherung - insbesondere italienische und spanische Staatsanleihen verkauft und ihre Cash-Positionen erhöht.  

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Auch beim Neugeschäft erwartet die überwiegende Mehrheit (84 Prozent) der Versicherer Einschnitte, 57 Prozent sind sogar von deutlichen Einbußen überzeugt. Vor allem im Bereich der Lebensversicherungen sowie beim Kfz-Geschäft gehen die Versicherer von einem sinkenden Neugeschäft aus und teilen dabei die Einschätzungen vieler Makler. Eine Studie des Marktforschungsunternehmens „g/d/p“ war zu dem Schluss gekommen, dass insbesondere Makler mit Schwerpunkt Lebens- und Krankenversicherungsgeschäft von wirtschaftlichen Auswirkungen betroffen sind.  

Steigende Schadenquoten

Während in der Lebensversicherung das Neugeschäft einzubrechen droht, steigen in der Kompositversicherung die Schadenquoten.  Fast jeder Versicherer sieht dabei vor allem die Veranstaltungsausfallversicherung betroffen. Wenig verwunderlich: Bis Ende August besteht in Deutschland ein Verbot von Großveranstaltungen, wodurch unter anderem sämtliche Musikkonzerte und -festivals in diesem Sommer betroffen sind. Allein die Gothaer Versicherung habe bis zu 14 Festivals versichert, erklärte Christopher Lohmann, Vorstandsvorsitzender der Gothaer Allgemeinen, in der vergangenen Woche auf einer Online-Konferenz des einstigen Assekuradeurs Emil. Unter den versicherten Festivals befindet sich unter anderem das schleswig-holsteinische Wacken Open Air. „Das kostet richtig Geld“, erklärte Lohmann.  

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Stark steigende Schadenquoten sehen die meisten Versicherer auch bei der Betriebsschließungsversicherung (83 Prozent), der Kreditversicherung (56 Prozent) sowie der Reiserücktrittsversicherung (54 Prozent). Auch in der Rechtsschutzversicherung dürften die Auswirkungen der Krise zu spüren sein – allein im Streit um die Betriebsschließungsversicherung drohen viele Klagen wütender Gastronomen. Dass auch die Rechtsschutzversicherer von der Krise betroffen sein dürften, hatte zuvor bereits das Beratungsunternehmen Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) festgestellt. „Nach einer ersten Schätzung von Meyerthole Siems Kohlruss können bis zu 500 Millionen Euro Schäden auf die Branche zukommen“, schätzte Thomas Budzyn, Projektleiter des Rechtsschutz-Datenpools bei MSK.  

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Herausforderungen bei der Kapitalanlage, ein sinkendes Neugeschäft und erhöhte Schadenquoten – wie werden die Versicherer auf dieses Trio an Problemen reagieren? Ein Fünftel der befragten Versicherer ist überzeugt davon, dass die Auswirkungen dieser Krise auch die Angestellten bzw. Kunden der Versicherer zu spüren bekommen werden. So halten 21 Prozent der Unternehmen Prämienerhöhungen für realistisch.

Jedes fünfte Unternehmen (21 Prozent) glaubt zudem daran, dass die Versicherer in den kommenden zwei Jahren Personal abbauen werden. Hierzu passt die Einschätzung, dass infolge der Corona-Krise die Vermittlerzahlen weiter zurückgehen werden. Kurzfristig erwarten 64 Prozent der befragten Versicherer eine Verstärkung des seit Jahren bestehenden Trends. Vor allem die gebundenen Vermittler waren bislang die Leidtragenden dieser Entwicklung, zuletzt entwickelte sich jedoch auch – wenn auch nur geringfügig – die Zahl der Makler rückläufig.  

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Dass die Corona-Krise den Vertrieb besonders hart trifft, versucht auch BVK-Chef Michael Heinz öffentlich zu kommunizieren. Richtete er vor zwei Wochen noch einen Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vermittler in der Krise nicht zu vergessen, legte der Vermittlerverband gestern Zahlen nach, die die schwierige Situation der Vermittler unterstreichen sollen. 

Vermittler "massiv" von Corona-Krise betroffen

So klagten von 1.628 befragten Vermittlern zwei Drittel über Umsatzeinbußen, weitere 25 Prozent können die Lage noch nicht abschätzen. Durchschnittlich lagen diese Einbußen bei 38 Prozent. „Diese Daten zeigen, dass auch unser Berufsstand massiv von der Corona-Krise getroffen wurde“, erklärte Heinz.  

Neben den Vermittlern gehört auch das Image der Branche zu den Verlierern der Krise. Nur sieben Prozent der Versicherer glaubt nicht an Auswirkungen der Corona-Krise auf das öffentliche Ansehen der Unternehmen, 50 Prozent hingegen schon. Besonders die Diskussion um die Betriebsschließungsversicherung gestaltet sich für die Versicherungsindustrie problematisch. Diese habe das Potenzial, für die Versicherer zum „Dieselgate“ zu werden, fürchten viele Unternehmen.

„Die Branche hat Sorgen um ihr Image, wenn sie Zahlungen etwa bei Betriebsschließungen verweigert, weil die abgeschlossene Versicherung das Pandemierisiko nicht beinhaltet“, so Prof. Dr. Fred Wagner, Vorstand des Instituts für Versicherungswissenschaften e.V. an der Universität Leipzig. „Die Art und Weise, wie die Versicherer mit Zahlungen umgehen, wie kulant sie sind und ob sie sich beispielsweise auch an sozialen Projekten rund um die Corona-Krise beteiligen, wird auch über ihr künftiges Image entscheiden. Gerade jetzt in der Krise haben die Versicherer die Chance, sich als Partner an der Seite der Kunden und der Gesellschaft als Ganzes zu positionieren – was langfristig positiv auf das Image einzahlen wird.“  

"Kuhhandel mit der Versicherungswirtschaft"

Noch ist der Streit beim Thema Betriebsschließungsversicherungen jedoch nicht beendet. Zum einen reichen die ersten betroffenen Gastwirte öffentlichkeitswirksam Klagen gegen die Versicherer ein. Zum anderen wird der vom bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ausgehandelte Kompromiss zwischen Gaststättengewerbe und Versicherern mittlerweile verstärkt infrage gestellt. So bezeichnete Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Landtags-Grünen, den Kompromiss als „Kuhhandel mit der Versicherungswirtschaft zulasten unserer Hotel- und Gastronomiebetriebe“.    

Neben zahlreichen Risiken sehen die Versicherer jedoch auch die Chancen der Krise – 93 Prozent erwarten einen Digitalisierungsschub sowie eine Flexibilisierung der Geschäftsmodelle, 70 Prozent eine Modernisierung des Vertriebs. Nicht jedes Unternehmen wird jedoch in der Lage sein, die notwendigen Digitalisierungsmaßnahmen und Anpassungen vorzunehmen, so dass eine Konsolidierung in der Branche als sehr wahrscheinlich gilt. „Die Zeit nach Corona wird nicht mehr dieselbe sein wie vor Corona“, hatte Wagner vor einigen Wochen im procontra-Interview prophezeit. Vieles spricht dafür, dass er Recht behalten wird.

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