Interview

Geldanlage: „Über Home-Bias ärgere ich mich seit Jahrzehnten maßlos“

Auf dem europäischen Aktienmarkt geht die Post ab, was gerade heimische Anleger aufhorchen lässt. Philipp Vorndran (Flossbach von Storch) über die Tücken, wenn man nur „um den eigenen Kirchturm herum“ investiert und die Notwendigkeit einer breiteren Sicht.

11:08 Uhr | 14. August | 2025
Die neue Vielfalt in der BU-Versicherung

Philipp Vorndran ist seit rund 15 Jahren Kapitalmarktstratege bei der Kölner Vermögensverwaltung Flossbach von Storch. Eines seiner zentralen Anliegen ist, gerade hiesigen Privatanlegern den Nutzen einer breiten, weltweiten Streuung von Kapitalanlagen näher zu bringen.

| Quelle: Getty Images/Jacob Lund

procontra: Europäische Aktien erfahren seit einigen Monaten deutlichen Zulauf, vermutlich teils infolge von Trumps Zollpolitik. Während die einen die gesteigerte Nachfrage als vorübergehend betrachten, sehen die anderen dauerhaft Vorteile am europäischen Markt. Wie ist Ihre Einschätzung? 

Philipp Vorndran: Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Die Bedeutung des US-Dollar dürfte bei internationalen Investoren tendenziell zurückgehen, gerade bei großen institutionellen und privaten Vermögen. Von diesem Trend haben zuletzt europäische und asiatische Aktien profitiert – einerseits. Andererseits dürfte irgendwann der Moment kommen, da sich die Investoren wieder verstärkt den einzelnen Unternehmen zuwenden, deren Geschäftsmodellen – und nicht allein auf das potenzielle Dollarrisiko schauen. Und dann werden sie vermutlich feststellen, dass die USA nach wie vor sehr gute Unternehmen haben – und der Bonus, den die Börse derzeit den europäischen zubilligt, verschwindet wieder. Am Ende zählen nun mal die Gewinnaussichten! 

procontra: Die Umschichtung ist also eher ein Dollar-Thema als ein US-Zollpolitik-Thema? 

Vorndran: Ein Dollar-Thema, ja. Und ein US-Staatsanleihen-Thema. Die Frage ist: Erfüllen beide noch ihre Funktion als sichere Häfen – auch in Zukunft, also dauerhaft? So wie in der Vergangenheit, als man sich als Europäer oder Asiate stets darauf verlassen konnte, dass der Dollar in Krisen fest ging und die Renditen von US-Treasuries fielen, weil im Umkehrschluss deren Kurse stiegen. Das hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten geändert – „dank“ Trump und dessen erratischer Politik. Die von ihm erzeugte Unsicherheit, die Willkür und die damit einhergehende Halbwertzeit seiner Entscheidungen werden nicht über Nacht verschwinden. Da bleibt vermutlich etwas in den Kleidern des Dollar hängen. 

 

procontra: Zahlreiche Privatanleger neigen dazu, im heimischen Markt oder Umfeld zu investieren als in weniger vertrauten Regionen. Hiesigen Anlegern mit „Home-Bias“ dürfte die gestiegene Attraktivität des europäischen Marktes entgegenkommen. Was würden Sie ihnen zu Nutzen und Risiken dieses Ansatzes sagen?  

Vorndran: Über diese typisch deutsche Vorliebe, am liebsten um den eigenen Kirchturm herum zu investieren, ärgere ich mich seit Jahrzehnten maßlos! Die Deutschen beziehen ihr Einkommen – Gehalt, Rente, Versicherungsleistungen – in Deutschland. Ihr Immobilieneigentum, wenn sie denn welches haben, steht auch in der Heimat. Wie man dann beim Vermögensaufbau auf die Schnapsidee kommen kann, fast ausschließlich in deutsche oder europäische Aktien zu investieren, ist mir bis heute schleierhaft. Ein solches Klumpenrisiko einzugehen, wäre selbst dann ökonomischer Unfug, wenn Deutschland der leuchtende Stern am Himmel der Volkswirtschaften wäre. Aber das ist es nicht. Insofern werde ich nicht müde, immer wieder zu betonen: Leute, schaut, dass ihr euer Vermögen klug diversifiziert – und zwar weltweit! 

procontra: Auf das Klumpenrisiko und eine größere Streuung hinzuweisen, dürfte gerade jetzt nicht einfach sein. 

Vorndran: Es ist eine gute Ausrede, mal wieder nichts zu verändern, ich weiß. In den vergangenen zehn Jahren hat es nur wenige Monate gegeben, in denen europäische Aktien besser abgeschnitten haben als andere, insbesondere als die amerikanischen – und dieser kurze Zeitraum wird jetzt hergenommen, um zu sagen: alles richtig gemacht! Jetzt zeigen wir Europäer mal den Amerikanern, wo es langgeht. Das passt eigentlich ganz gut ins Bild. Die Deutschen sind keine Amerika-Liebhaber – das waren sie schon vor Trump nicht. Wenn Sie hierzulande Anleger vor fünf oder sechs Jahren gefragt hätten, ob sie lieber mit Russland oder den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten wollen würden, wäre Russland die weit häufigere Antwort gewesen – zumindest war das so bei Befragungen, die wir gemacht haben. Die Skepsis gegenüber den USA ist also kein neues Phänomen. 

 

procontra: Für eine breitere Streuung könnten theoretisch auch US-Staatsanleihen eingesetzt werden. Doch können diese angesichts ausufernder Verschuldung zahlreicher Industrienationen ihre Rolle als Stabilitätsanker eines Portfolios langfristig noch erfüllen? 

Vorndran: Anleihen sind eine sehr liquide Anlageklasse. Wenn Sie sehr viel Geld zu parken, also kurzfristig anzulegen haben, kommen Sie schnell und leicht in kurzlaufende Staatsanleihen rein – und wieder heraus. Aber wenn es darum geht, ein Vermögen langfristig real, also nach Inflation, zu erhalten, besser noch zu vermehren, dann dürfte das allein mit Anleihen schwierig werden. Der Kupon ist heute zwar höher, die Teuerungsrate aber leider auch. Im Grunde gibt es zwei wichtige Gründe für Anleger, Anleihen zu kaufen. Erstens: Ruhig zu schlafen. Das kostet aber Rendite. Zweitens: der Regulator. Nach dessen Definition gelten Staatsanleihen nach wie vor als konservative Investments. Und der ein oder andere größere Marktteilnehmer ist gehalten, überwiegend konservative Investments zu tätigen. Ich werde diese Kategorisierung nie verstehen! Denn konservativ heißt mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Falle, über einen längeren Zeitraum Kaufkraft zu verlieren. 

procontra: Was könnten Berater Kunden dann empfehlen? 

Vorndran: Das hängt immer vom jeweiligen Kunden ab, ist also eine sehr individuelle Fragestellung. Nehmen wir eine 35-jährige Frau, die Vermögen aufbauen möchte und dafür einen Anlagezeitraum von 20 Jahren veranschlagt. Ihr Renditeziel liegt bei gut 5 Prozent pro Jahr, brutto. Heißt in dem Falle, dass der Aktienanteil 60 bis 65 Prozent betragen müsste, weltweit verteilt. Gold gehört unseres Erachtens auch zu einem breit diversifizierten Vermögen. 5 bis 10 Prozent, auch das hängt mit den persönlichen Vorlieben zusammen. Ich wäre eher am oberen Ende positioniert. Gold ist für uns die Versicherung gegen die bekannten und unbekannten Risiken im Finanzsystem. Diese Risiken werden nicht weniger werden, im Gegenteil. Der deutliche Goldpreisanstieg jüngst ist nicht zuletzt Beleg für die zunehmenden Sorgen über die rasant steigenden Staatsschulden weltweit. Insofern würde ich an der Goldposition nicht rütteln! 

 

procontra: Was wären die weiteren Elemente in der Modellbetrachtung, auch um die genannten Klumpenrisiken – nicht nur durch Home Bias – zu vermeiden? 

Vorndran: Wichtig ist nicht zuletzt, Liquidität vorzuhalten, etwa 15 Prozent. Sollten die Aktienkurse deutlicher zurücksetzen, wäre das die Gelegenheit nachzukaufen. Bei Anleihen würde ich mich bei Nachrangpapieren umschauen – Unternehmensanleihen, die im Falle einer Liquidation nachrangig behandelt werden. Die bieten mitunter sehr attraktive Renditen. Bei Unternehmen, von denen Sie überzeugt sind, dass sie in 15 Jahren noch existieren, aber skeptisch, was die künftige Aktienkursentwicklung betrifft, kann die Nachranganleihe durchaus eine sehr gute Alternative sein.

procontra: Manche Anleger fragen sich, ob es angesichts neuer Höchstpreise bei Gold nicht ein guter Zeitpunkt ist, einen Teil zu verkaufen, um mitunter hohe Gewinne mitzunehmen. 

Vorndran: Wenn sie 10 Prozent Gold in einem Portfolio als ideale Größenordnung ansehen und über die Performance in den vergangenen 12 bis 18 Monaten zum Beispiel auf einen Anteil von 13, 14 Prozent gekommen sind, würden sie über das Rebalancing des Portfolios Teile ihrer Position auflösen. Ich würde aber an der Grundpositionsgröße von 10 Prozent nichts ändern. Zumindest so lange nicht, wie sich unsere Staaten bei Ihren Ausgaben nicht auf das beschränken können, was sie an Steuereinnahmen aufweisen. 

 

procontra: Zu verkaufen, weil man mit Gold ein starkes Plus gemacht hat, wäre also kein ausschlaggebendes Argument? 

Vorndran: Nicht zwingend, nein! Ich sollte Positionen erst dann liquidieren, wenn ich bessere Alternativen zu dieser Position habe. Es gibt diesen absurden, aber dennoch häufig verwendeten Spruch: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben“. Das mag physisch richtig sein, aber inhaltlich ist das ein Riesenmumpitz! Was hilft es mir, eine Position zu verkaufen, bloß weil ich 20 Prozent Profit habe, wenn ich keine bessere Position finde, in die ich mein Geld investieren kann? Verkaufen muss ich immer dann, wenn es auf meinem Radar und in meinem Investmentuniversum attraktivere Anlagen gibt. 

procontra: Wie könnten Berater ihren Kunden beim „Blick über den heimischen Tellerrand“ helfen? 

Vorndran: Berater sollten ihre Kunden darauf hinweisen, dass europäische Aktien vermutlich erst dann strukturell besser abschneiden als die Aktien im Rest der Welt, wenn wir auch die strukturellen Probleme hierzulande gelöst haben. Angefangen bei der Bürokratie, dem Arbeitskräftemangel, den Energiepreisen, sehr kleinteiligen Regularien. Solange wir nichts tun, um wettbewerbsfähiger zu werden, bleibe ich leider sehr skeptisch. Zumal wir auch bei den neuen Technologien hinten dran sind, etwa der künstlichen Intelligenz. Der Trend geht komplett an Europa vorbei! Einzelne Unternehmen und deren Aktien mögen derzeit profitieren – aber nicht die deutsche Volkswirtschaft in der Breite. Mein Ratschlag wäre dann auch ein ganz anderer: Sich nicht auf Länder oder Unternehmen festzulegen, sondern auf gute Unternehmen.