Fahrlässigkeit und Versicherungsschutz: Ein Risiko, das Makler nicht ignorieren sollten
Kaum ein Begriff ist in der Versicherungsberatung so praxisrelevant wie jener der „Fahrlässigkeit“. Auch für die Produktauswahl wird er immer wichtiger. Er entscheidet darüber, ob ein Versicherer im Schadenfall leistet. Das kann unter Umständen existenzielle finanzielle Folgen haben – wenn zum Beispiel eine vergessene brennende Kerze einen Wohnungsbrand verursacht.
Für Makler bedeutet das: Sie müssen nicht nur die Klauseln im Blick haben, sondern auch die rechtliche Tragweite kennen und klar kommunizieren können. Nicht nur im Interesse ihrer Kunden, sondern auch um sich selbst vor späteren Haftungsfragen zu schützen.
Der Begriff der Fahrlässigkeit ist im Bürgerlichen Gesetzbuch definiert (§ 276 Abs. 2). Danach handelt fahrlässig, wer „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“ „Daraus ergibt sich ein objektiver Maßstab“; erklärt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Hamburg. „Entscheidend ist, wie sich ein verständiger und gewissenhafter ,Durchschnittsmensch‘ in der konkreten Situation verhalten hätte. Fahrlässigkeit ist also das Außerachtlassen einer gebotenen Sorgfaltspflicht.“
Einfache vs. grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz
Im Versicherungsrecht unterscheidet man zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit: Bei einfacher Fahrlässigkeit bleibt der Versicherungsschutz in der Regel bestehen. Handelt der Versicherungsnehmer jedoch grob fahrlässig, also besonders leichtfertig, kann der Versicherer seine Leistung anteilig kürzen.
Claudia Wagner, Sprecherin der Ergo Group: „So können gemäß § 28 Abs. 2 VVG die Versicherungsbedingungen im Falle der grob fahrlässigen Verletzung einer Obliegenheit Leistungskürzungen durch den Versicherer vorsehen. Darüber hinaus darf der Versicherer in den meisten Versicherungssparten gemäß § 81 Abs. 2 VVG die Leistung im Falle einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer kürzen. Daneben spielt die Unterscheidung eine Rolle, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflichten nach § 19 VVG verletzt."
„Die Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit ist nicht immer leicht und hängt von den jeweiligen Umständen ab“, heißt es hierzu auf der Serviceplattform des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Wer einen Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen kurz unbeaufsichtigt lässt, um auf Toilette zu gehen, handelt noch nicht grob fahrlässig. Verlässt er jedoch für längere Zeit das Zimmer, um mit einem Freund zu telefonieren, dann schon. Auch wer seine Waschmaschine anstellt und für zwei bis drei Stunden das Haus verlässt, handelt grob fahrlässig. Ist die Maschine aber mit einem sogenannten Aquastop-System ausgerüstet, ist es nicht zu beanstanden, wenn man für drei Stunden die Wohnung verlässt.“ Kurz gesagt: Bei einfacher Fahrlässigkeit lässt sich sagen: „Das kann passieren.“ Bei grober Fahrlässigkeit muss man sagen: „Das darf nicht passieren.“
Wichtig zu wissen: Vorsätzlich verursachte Schäden werden grundsätzlich nicht von Versicherungen ersetzt (§ 81 Abs. 1 VVG). Hier handelt jemand bewusst und gewollt rechtswidrig, etwa indem er absichtlich fremdes Eigentum zerstört.
Leistungskürzung und Quotelung
Seit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes im Jahr 2008 gilt das Prinzip der Quotelung. Das bedeutet, dass der Versicherer Leistungen bei grober Fahrlässigkeit entsprechend der Schwere des Verschuldens anteilig kürzen kann.
Vor der Reform waren sämtliche Ansprüche des Versicherten ausgeschlossen, sobald ihn ein Mitverschulden traf. Die Entscheidung zur Leistungskürzung erfolgt in der Regel anhand des Einzelfalls und muss stets begründet und nachvollziehbar darlegt werden. Grundlage für eine Regulierung sind die jeweiligen AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) sowie die einschlägigen gesetzlichen Regelungen.
„Die Schadenabteilung des Versicherers ermittelt, ob und wie stark der Versicherungsnehmer den Schaden ,mitverursacht‘ hat bzw. in welchem Maße eine fahrlässige Handlung die Schadenentstehung und den Schadenumfang beeinflusst hat“, erläutert Martin Hacker, IHK-geprüfter Versicherungskaufmann und Schadensmanager beim Versicherungsmakler transparent-beraten.de. „Das Ergebnis entscheidet über die Höhe der Schadenleistung.“
Versicherungsschutz trotz grober Fahrlässigkeit
Viele Versicherer werben inzwischen mit einem Verzicht auf die Einrede der groben Fahrlässigkeit. Das bedeutet: Selbst wenn dem Kunden ein grober Fehler unterläuft, wird trotzdem geleistet. Martin Hacker empfiehlt allen Kollegen, in der Beratung bewusst auf solche Tarife zu setzen, auch wenn die in der Regel teurer als andere Tarife sind. „Moderne Produkte verzichten heute, zumindest bis zu relativ hohen Versicherungssummen, auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit, regeln Obliegenheitsverletzungen oft großzügig und schließen damit Deckungslücken, die bei Standardtarifen noch immer zu Leistungskürzungen oder haftungsrelevanten Auseinandersetzungen führen“, meint er.
Für Versicherungsmakler stellt der Verzicht auf die Einrede der groben Fahrlässigkeit einen zentralen Aspekt in der Bedarfsanalyse und Tarifauswahl dar. Viele Verbraucher kennen den juristischen Unterschied zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit nicht – für sie zählt im Ernstfall allein, dass der Schaden vollständig reguliert wird. Genau hier schützt die genannte Klausel vor unangenehmen Überraschungen: Ohne sie kann es passieren, dass ein grundsätzlich gedeckter Schaden nur teilweise oder gar nicht ersetzt wird, weil der Versicherer grobe Fahrlässigkeit einwendet. In diesem Worst-Case-Szenario ist der Kunde nicht nur auf die Versicherung sauer, sondern häufig auch auf den Makler. Noch gravierender können die Folgen werden, wenn eine unterlassene oder unzureichende Aufklärung über das (Nicht-)Vorhandensein dieser wichtigen Vertragskomponente im Streitfall zur rechtlichen Haftung führt – insbesondere mit Blick auf die Beratungspflicht des Maklers nach § 61 Abs. 1 VVG und die damit verbundene Pflicht zur ordnungsgemäßen Dokumentation. Der Makler haftet unter Umständen im Schadenfall, wenn nicht eindeutig dokumentiert wurde, dass der Kunde sich bewusst für einen günstigeren Tarif mit eingeschränktem Versicherungsschutz entschieden hat.Björn Thorben M. Jöhnke
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Tatsächlich spielt der Begriff der Fahrlässigkeit auch bei Produktbewertungen eine immer wichtigere Rolle. Beim Analysehaus Franke und Bornberg haben zum Beispiel Hausratversicherungen nur noch eine Chance auf gute Noten, wenn grobe Fahrlässigkeit nicht zulasten von Versicherten ausgelegt wird. „Der Verzicht auf die Einrede der groben Fahrlässigkeit ist gelebter Verbraucherschutz. Das senkt Komplexität und fördert Vertrauen“, so Michael Franke, Gründer und Geschäftsführer der Franke und Bornberg GmbH.
„Wir prüfen in der Hausratversicherung den Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit von Seiten der Versicherer in zwei Richtungen“, erläutert Christian Monke, Analyse-Leiter bei Franke und Bornberg. Einmal in Bezug auf die Herbeiführung des Versicherungsfalls und zum anderen in Bezug auf die Einhaltung von Obliegenheiten vor und nach dem Eintritt des Versicherungsfalls, die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften sowie die Anzeigepflicht bei Gefahrerhöhungen.“ In beiden Bereichen gebe es verschiedene Regelungen. Versicherer könnten gänzlich auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit verzichten, nur bezogen auf einzelne der genannten Sachverhalte oder auch gar nicht. Oder der Versicherer verzichte nur bis zu einer bestimmten Schadenhöhe. Mit anderen Worten: Ein Blick ins Kleingedruckte ist hier für jeden Makler Pflicht.
Grobe Fahrlässigkeit: Praxisbeispiele aus verschiedenen Sparten
Grobe Fahrlässigkeit spielt besonders in der Hausratversicherung und der Wohngebäudeversicherung eine große Rolle. Auch in der Kfz-Kaskoversicherung kann grobe Fahrlässigkeit zu Leistungseinschränkungen führen – und auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung kann das Thema relevant werden. Hier Beispiele aus der Praxis:
Hausratversicherung
Anfang Januar verlässt ein Versicherungsnehmer für einige Stunden seine Wohnung, während die Kerzen auf dem trockenen Adventskranz weiterbrennen und kurz darauf einen Wohnungsbrand verursachen. Das Gericht stuft dieses Verhalten als grob fahrlässig ein, die Hausratversicherung kürzt die Schadenleistung. „Wären die Kerzen lediglich für einen kurzen Moment unbeaufsichtigt gewesen – etwa, während der Versicherungsnehmer kurz den Müll hinausbringt – und wäre dabei nur ein kleiner Brandschaden entstanden, hätte man das Verhalten nicht so streng bewertet und gegebenenfalls als leichte Fahrlässigkeit eingestuft", so Martin Hacker von transparent-beraten.de.
Kfz-Versicherung (Kasko)
Wer bei Rot in die Kreuzung einfährt und einen Unfall verursacht, handelt grob fahrlässig: In einem aktuellen Urteil kürzt der Versicherer die Entschädigungsleistung um 50 Prozent. Ein reines Auffahrunfall-Missgeschick ohne gravierenden Verkehrsverstoß ist dagegen nur einfache Fahrlässigkeit und führt nicht zur Leistungskürzung.
Wohngebäudeversicherung
Wer im Winter sein Haus nicht heizt und damit einen Rohrbruch riskiert, handelt beispielsweise grob fahrlässig. Dasselbe gilt, wenn man die Platte eines Herdes versehentlich anschaltet, danach das Haus verlässt und es in der Zwischenzeit zu einem Brand kommt.
Berufsunfähigkeitsversicherung
Hier kann grobe Fahrlässigkeit vor allem im Kontext der vorvertraglichen Anzeigepflicht relevant werden. Wird etwa eine psychische Vorerkrankung verschwiegen, kann das als grob fahrlässig gelten – mit der Folge, dass der Versicherer vom Vertrag zurücktreten kann.
Wichtig zu wissen: Bei Haftpflichtversicherungen wie der Kfz-Haftpflicht besteht bei grober Fahrlässigkeit in der Regel Versicherungsschutz. Opfer eines Verkehrsunfalls erhalten laut GDV selbst dann eine Entschädigung von der gegnerischen Versicherung, wenn der Verursacher betrunken Auto gefahren ist. In solchen Fällen kann der Kfz-Haftpflichtversicherer den Verursacher aber in Regress nehmen.