Investment-Talk

„Wir haben die Dynamik des Inflationsanstiegs unterschätzt"

2022 war auch für Flossbach von Storch ein sehr schwieriges Börsenjahr. Tobias Schafföner, Head of Multi-Asset, lässt das Jahr Revue passieren und schildert seine Erwartungen für 2023.

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16:04 Uhr | 27. April | 2023
Tobias Schafföner

Tobias Schafföner von Flossbach von Storch über das Börsenjahr 2022.

| Quelle: Flossbach von Storch

procontra:

Herr Schafföner, sämtliche Multi-Asset-Fonds von Flossbach von Storch haben 2022 an Wert eingebüßt. Wo bleibt das Absolute-Return-Versprechen – also die Erzielung einer positiven Rendite unabhängig von der Marktentwicklung?

Tobias Schafföner:

Ein solches Versprechen, wenn man es denn überhaupt so nennen darf, gilt nicht für ein einziges Kalenderjahr. So etwas wäre schlicht unseriös! Unser Anspruch ist es, über die Zeit, also über mindestens drei bis fünf Jahre, auskömmliche Renditen zu erzielen. Daran lassen wir uns messen – und das ist uns in der Vergangenheit auch gelungen. 2022 war insofern ein außergewöhnliches Jahr, weil man sich als Investor nirgendwo verstecken konnte. Der deutliche Inflations- und Zinsanstieg hat eben nicht nur die Aktienbewertungen zum Teil deutlich gedrückt, sondern auch zu einem historischen Crash am Anleihemarkt geführt. Insofern hat es auch anleihelastige Portfolios getroffen – und damit Anleger, die davon ausgegangen waren, ihr Geld sei besonders konservativ investiert.

procontra:

Ihre Multi-Asset-Fonds sind jedoch dafür bekannt, eine hohe Goldbeteiligung zu haben und auf nichtzyklische Aktien zu setzen wie Nestlé, Berkshire Hathaway oder Reckitt Benckiser. Haben diese Arten der Absicherung nicht geholfen?

Schafföner:

Ja, sie haben gepuffert. Vor allem aber der starke US-Dollar, den wir aus Diversifikationsgründen nur partiell abgesichert hatten; der Anteil der US-Währung innerhalb der Portfolios ist vergleichsweise hoch. Wir hatten zudem frühzeitig die Duration unserer Anleihebestände reduziert, um Risiken zu begrenzen. Eine „Schwarze Null“ und mehr wären in diesem Umfeld aber nur möglich gewesen, wenn wir Extrempositionen eingenommen hätten. Und das widerspricht unserer Anlagephilosophie. Insofern sind wir niemals zufrieden mit einem Jahr, das unseren Anlegern Verluste gebracht hat, ganz im Gegenteil. Was wir unterschätzt haben, war die Dynamik des Inflationsanstiegs sowie die Reaktion der Notenbanken darauf und – damit einhergehend – den Bewertungsdruck auf Aktien, insbesondere die Tech-Titel. Darunter nicht nur die zweite und dritte Reihe, sondern auch die Schwergewichte. Das hat Performance gekostet. Die von Ihnen angesprochenen Unternehmen haben sich dagegen gut gehalten, weil sie über Preissetzungsmacht verfügen, also die Inflation vergleichsweise gut an ihre Kunden weitergeben können. Das hat der Markt honoriert. Mehr denn je wird es in Zukunft deshalb darauf ankommen, Unternehmen auszuwählen, die genau das können. Der Rückenwind, den der Aktienmarkt jahrelang bewertungsseitig dank der niedrigen Zinsen hatte – der ist weg.

procontra:

Haben Sie Ihre Multi-Asset-Fonds zuletzt defensiver aufgestellt und den Aktienanteil gesenkt?

Schafföner:

Wir haben die Aktienquoten reduziert – einerseits. Andererseits haben wir Anleihen, deren Chance-Risikoprofil sich signifikant verbessert hat, hinzugenommen. Bundesanleihen etwa, aber auch höher rentierliche Unternehmenstitel. Erstklassige Staatsanleihen können ein Portfolio mittlerweile zwar wieder diversifizieren und stabilisieren. Damit werden Sie nach vorne schauend die Inflation aber nicht schlagen können, selbst wenn die Inflationsraten – wovon wir ausgehen – wieder ein Stück zurückkommen werden. Genau das ist aber unser Auftrag: Kaufkraft erhalten. Insofern brauchen Sie langfristig Anlagen, die über ein entsprechendes Renditepotenzial verfügen. Dazu zählen nicht zuletzt erstklassige liquide Sachwerte, allen voran die Aktien guter Unternehmen, dazu Gold als Versicherung.

procontra:

Wenn all ihre Multi-Asset-Fonds 2022 im Minus waren, kam es dann zu Abflüssen?

Schafföner:

In Summe sind uns in unseren Publikumsfonds weitere rund 600 Millionen Euro anvertraut worden. Das ist in so einem Jahr ein großer Vertrauensbeweis – und darüber sind wir sehr dankbar. Wir sind in der Pflicht, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen.

procontra:

Spielt die negative Performance nicht den Kritikern in die Hände? Diese würden 2022 als Beweis nehmen, dass sich aktive Fonds nicht unbedingt besser schlagen als der Markt. Ein Indexfonds wäre daher vorzuziehen.

Schafföner:

So einfach ist es leider nicht. Indexfonds sind zwar eine kostengünstige Alternative, aber nicht für jedermann geeignet. Zunächst einmal ist auch die Auswahl des passenden Index eine sehr aktive Entscheidung. Dann braucht es Erfahrung und eine ordentliche Portion Kursschwankungstoleranz, gerade in hektischen Börsenphasen. Viele haben die nicht; was in der Praxis dazu führt, dass oft zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt, nahe des Tiefs, entnervt verkauft wird – und die langfristige Performance leidet. ETFs verkommen so leider oft zu Trading-Instrumenten. Ein guter Portfoliomanager übernimmt die Auswahl der Instrumente, die für spezifische Kundenbedürfnisse angemessen sind. So kann es auch gelingen, Rücksetzer abzufedern – nicht immer, aber möglichst oft. Er schont die Nerven seiner Anleger, auch weil er erklärt, was er tut, und warum er es tut – und überzeugt sie so hoffentlich, in Krisenphasen eben nicht eilig zu verkaufen, sondern langfristig dabeizubleiben. Das rechtfertigt unseres Erachtens die höheren Gebühren, die im Übrigen auch dazu dienen, diejenigen zu bezahlen, die die Anleger beraten und die Fonds verkaufen. Schlussendlich haben beide Varianten, der ETF ebenso wie der aktiv gemanagte Fonds, ihre Daseinsberechtigung – eben, weil sie unterschiedliche Kundenbedürfnisse adressieren.

procontra:

Trotz der sinkenden gesetzlichen Rente sparen immer noch zu wenige Deutsche mit Aktien oder Fonds, um fürs Alter besser gewappnet zu sein. Wann werden die Deutschen aktienfreundlicher?

Schafföner:

Da wage ich keine Prognose. Viele Deutsche sind vom Zusammenbruch des Neuen Marktes zur Jahrtausendwende traumatisiert. Andere können die Volatilität von Aktien schlicht nicht ertragen. Wichtig ist deshalb, möglichst früh Finanzbildung zu vermitteln, idealerweise schon in der Schule. Zu erklären, dass die Börse kein Casino ist und langfristige Geldanlage keine Zockerei. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die eben angesprochenen Berater. Was sicherlich positiv ist: Die jüngere Generation scheint dem Thema Aktien und Kapitalmarkt viel offener gegenüberzustehen. Auch wenn da viel Spielerei dabei ist – und das oft nicht viel mit langfristigem Investieren zu tun hat. Aber die Hemmschwelle zum Kapitalmarkt ist in dieser Generation eindeutig niedriger. Man sieht es auch an den Zahlen: Laut deutschem Aktieninstitut haben wir inzwischen knapp 13 Millionen Aktionäre in Deutschland.

procontra:

Beratung könnte helfen, diese Quote zu verbessern. Dabei arbeiten die meisten Berater in Deutschland auf Provisionsbasis. Das passt manchen in der EU nicht und deshalb wird derzeit ein Provisionsverbot diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Schafföner:

Der Gesetzgeber sollte nicht so naiv sein und glauben, dass mit der Abschaffung alles besser würde. Zumal wir den Interessenkonflikt, der meist in der provisionsbasierten Beratung gesehen wird, eben nicht sehen. Die Vertriebspartner, mit denen wir zusammenarbeiten, zeichnen sich allesamt durch eine hohe Beratungsqualität aus. Es gibt zahlreiche Bank- und Sparkassenberater sowie IFAs, die dafür sorgen, dass die Kunden überhaupt investieren und nicht das Geld einfach zinslos auf dem Girokonto liegen lassen. Man muss also bei dieser Debatte aufpassen, dass vielen Kunden der Zugang zu Finanzdienstleistungen nicht verwehrt wird. Denn ich glaube nicht, dass ein Anleger, der 20.000 Euro investieren möchte, bereit ist, 500 Euro an den Honorarberater zu zahlen, wenn es zu keinem Vertragsabschluss kommt.

procontra:

Das Thema Nachhaltigkeit soll besonders für die neue Generation von Anlegern wichtig sein. Wie setzt Flossbach von Storch das Thema um?

Schafföner:

Als Treuhänder unserer Kunden müssen wir Chancen und Risiken gegeneinander abwägen – und das Beste in ihrem Sinne entscheiden. Das Thema Nachhaltigkeit ist dabei sehr wichtig, darf aber niemals Selbstzweck werden, wohl wissend, dass man mit einer Spende an eine karitative Einrichtung mitunter mehr Gutes tut als mit einem Investment in Unternehmen A oder B. Letztlich geht es auch beim Thema Nachhaltigkeit vor allem um den langfristigen ökonomischen Erfolg. Der Fokus unserer Analyse liegt deshalb auf dem „G“ in „ESG“, der Unternehmensführung. Ein schlecht geführtes, unprofitables Unternehmen hat am Ende des Tages keinerlei Ressourcen, sich um die anderen Dinge, um das „E“ und das „S“ (Umwelt und Soziales, Anm. d. Red.) zu kümmern. Insofern folgen „E“ und „S“ unseres Erachtens dem „G“. Wir nehmen das Thema und unsere Verantwortung als Investor sehr ernst und sprechen regelmäßig mit dem Management der Unternehmen, an denen wir beteiligt sind. Wir weisen auf mögliche Missstände hin und versuchen, konstruktive Sparringspartner zu sein.

procontra:

Welche Ausschlüsse gibt es für die Fonds?

Schafföner:

Wir schließen Unternehmen aus, die Umsätze mit kontroversen Waffen erwirtschaften. Das gleiche gilt für Tabakunternehmen und Firmen, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes mit Kohle generieren. Ausgeschlossen sind zudem Unternehmen, die mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes mit Rüstungsgütern erwirtschaften oder schwere Verstöße ohne positive Perspektive gegen die Prinzipien des UN Global Compact haben. Staatliche Emittenten sind ausgeschlossen bei einem unzureichenden Scoring in Bezug auf den Freedom House Index (sprich „nicht frei“, Anm. d. Red.).

procontra:

Die sogenannte Nachhaltigkeitspräferenzabfrage soll auch dem nachhaltigen Investieren einen Schub geben. Sind Ihre Produkte dafür qualifiziert?

Schafföner:

Alle unsere Publikumsfonds fallen unter Artikel 8 der EU-Offenlegungsverordnung und berücksichtigen die negativen Auswirkungen der Portfoliounternehmen, die sogenannten „Principle Adverse Impacts“. Dabei verlassen wir uns nicht auf externe ESG-Ratings von Unternehmen, sondern nutzen zuallererst unser hauseigenes Research. Das hat auch damit zu tun, dass die externen Ratings meist oberflächlichen Schwarz-Weiß-Mustern, also „investierbar oder nicht investierbar“ folgen, während wir versuchen, die ESG-Themen differenzierter zu sehen.

procontra:

Was erwartet uns in diesem Börsenjahr, nachdem das letzte Jahr so schlecht war?

Schafföner:

Bei Punktprognosen sind wir generell vorsichtig – die können nur schiefgehen. Niemand weiß, was innerhalb eines Jahres alles passieren wird. Es gibt aber durchaus Gründe für Optimismus. Zwar ist der Bewertungsrückenwind der niedrigen Zinsen weg – dafür wachsen die nominalen Unternehmensgewinne aber mit der Inflation. Die großen Risiken haben sich außerdem bisher nicht materialisiert. Wir haben weiterhin keine tiefe Rezession in Europa. China hat zudem seine Zero-Covid-Politik beendet. Im Fokus dürfte aber vor allem die Inflationsentwicklung stehen und die Reaktion der Notenbanken darauf. Investoren werden sich vermutlich von einer Notenbanksitzung zur nächsten hangeln und immer wieder versuchen, das Ende des Zinserhöhungszyklus auszuloten. Mal wird es gefühlt nah sein, so wie zu Beginn des Jahres, und die Kurse steigen, mal in weiter Ferne, und sie fallen. Wir gehen aber davon aus, dass die Notenbanken die Inflationsbekämpfung weiter ernst nehmen und deshalb auch keine schnelle Zinswende nach unten einläuten. Deutlichere Rücksetzer sind deshalb am Markt nicht ausgeschlossen, was sicherlich auch die ein oder andere Anlagegelegenheit für Investoren ergeben wird, wobei die Bäume am Aktienmarkt zunächst nicht in den Himmel wachsen werden.