BU-Versicherung: Welche Chancen hätte ein Einheitsbeitrag, Herr Wedekind?
procontra: Wie unterscheiden sich ‚Handwerker-BUs‘ von normalen BU-Tarifen, die sowohl Büroangestellte als auch Schreiner abschließen können?
Philipp Wedekind: Verschiedene Versicherer haben in den vergangenen Jahren Tarife entwickelt, die auf die Zielgruppe der Handwerker und körperlich Tätigen ausgerichtet sind. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen jedoch um klassische Berufsunfähigkeitstarife, die unabhängig vom Beruf abschließbar sind. Diese Tarife enthalten meist lediglich zielgruppenspezifische Erweiterungen, wie etwa besondere Nachversicherungsoptionen, die speziell auf handwerkliche Berufe abgestimmt sind.
Ein zentrales Problem bleibt jedoch bestehen: Die Prämienhöhe ist für viele körperlich Tätige ein erhebliches Hemmnis. Gerade in handwerklichen Berufen sind BU-Policen häufig so teuer, dass sie aus finanziellen Gründen nicht abgeschlossen werden. Dies liegt auch am generell sehr hohen Leistungsniveau moderner BU-Tarife. Leistungsmerkmale wie der Verzicht auf abstrakte Verweisung, rückwirkende Rentenzahlungen ab Eintritt der BU oder umfangreiche Nachversicherungsmöglichkeiten treiben die Beiträge spürbar in die Höhe.
procontra: Also sind diese Spezialtarife gar keine ernstzunehmende Lösung für das BU-Dilemma von Handwerkern und Co.?
Wedekind: Viele der vermeintlich spezialisierten Tarife für Handwerker bieten körperlich Tätigen preislich kaum Vorteile gegenüber herkömmlichen BU-Produkten. Einen alternativen Ansatz verfolgt hier unter anderem der Münchener Verein mit seiner ‚Deutschen Handwerker BU‘. Der Tarif richtet sich gezielt an körperlich Tätige und verzichtet bewusst auf einige Leistungskomponenten der moderner BU-Tarife. Durch das reduzierte Leistungsniveau wird eine deutlich günstigere Prämienkalkulation möglich – und damit eine zugängliche Absicherungslösung für Berufsgruppen, die sonst häufig vom BU-Schutz ausgeschlossen bleiben.
Vor diesem Hintergrund können spezielle Angebote für körperlich arbeitende Berufsgruppen einen echten Mehrwert bieten – vorausgesetzt, sie sind in ihrer Leistungsgestaltung tatsächlich auf die Bedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten dieser Zielgruppe zugeschnitten. Reduzierte, aber bedarfsorientierte Tarife könnten dazu beitragen, bestehende Versorgungslücken zu schließen. Darüber hinaus sollten Vermittler auch alternative Absicherungsmöglichkeiten in die Beratung einbeziehen. Produkte wie die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) oder die Grundfähigkeitsversicherung bieten – je nach individueller Situation – prämiengünstigere Lösungen, die im Ernstfall dennoch eine wichtige finanzielle Absicherung darstellen können.
procontra: Der technische Fortschritt sorgt für mehr Arbeitssicherheit und weniger körperlichen Verschleiß, zudem gehen die typischen Handwerker-BU-Ursachen (Bewegungsapparat und Unfälle) seit Jahren zurück. Warum ist der BU-Beitrag für Handwerker/stark körperlich Tätige trotzdem weiterhin so viel teurer als für Büroberufe?
Wedekind: Die Prämienhöhe in der Berufsunfähigkeitsversicherung richtet sich im Wesentlichen nach dem berufsspezifischen Risiko, das auf Grundlage empirischer Daten und langjähriger Schadenstatistiken bewertet wird. Diese zeigen deutlich: Handwerklich Tätige haben ein signifikant höheres Risiko, im Laufe ihres Berufslebens berufsunfähig zu werden, als etwa Angestellte in Verwaltungs- oder Bürotätigkeiten.
Entsprechend fällt die kalkulierte Prämie für körperliche Berufe deutlich höher aus – und zwar unabhängig davon, ob sich einzelne Risikofaktoren zukünftig durch technischen Fortschritt oder geänderte Arbeitsbedingungen verbessern könnten. Auch liegt die ‚Schwelle zur Berufsunfähigkeit‘ bei Handwerkern in der Praxis deutlich niedriger. Bereits geringfügige körperliche Einschränkungen können dazu führen, dass der Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann. Bei gleichlautender Diagnose ist es für Büroangestellte hingegen oft möglich weiterzuarbeiten.
procontra: Franke und Bornberg hat schon mehrfach die zunehmende Unterteilung der Berufsgruppen und den damit verbundenen Preiskampf um ‚gute Risiken‘ kritisiert. Wäre es nicht eine Lösung, einfach alle Berufe in einen Topf zu werfen, wobei dann die Büroberufe ein bisschen mehr, die Handwerker ein bisschen weniger Beitrag zahlen als heute?
Wedekind: Eine Rückkehr zu wenigen Berufsgruppen oder gar zu einer einheitlichen Einstufung ist aus heutiger Sicht kaum realistisch. Denn der erste Versicherer, der eine solche Umstellung vornimmt, würde für risikoarme Berufe automatisch unattraktiv – diese würden zur Konkurrenz mit weiterhin günstigen Prämien abwandern. Übrig blieben vor allem risikoreichere Kunden, etwa Handwerker – mit entsprechenden finanziellen Folgen. Diese wären langfristig weder wirtschaftlich noch versicherungstechnisch tragbar. Deshalb ist eine Rückkehr zur solidarischen Mischkalkulation versicherungstechnisch kaum mehr möglich – selbst wenn der Wille dazu bestünde.