Bayerische-Vorstand Gräfer warnt: „Altersarmut wird zur sozialen Krise"
procontra: Herr Gräfer, die Bayerische und die Barmenia-Gothaer haben kürzlich ihre Zusammenarbeit im Vertrieb vertieft. Wie hat sich diese Kooperation bislang entwickelt?
Martin Gräfer: Tatsächlich haben die Bayerische und die Barmenia-Gothaer eine exklusive strategische Kooperation gestartet – und zwar auf Basis der Plattform compexx Finanz AG, unserer Beteiligungsgesellschaft für Vertriebe. Dort haben wir ein neues Ressort „Vertriebsorganisation“ gegründet, das mittlerweile rund 800 hauptberufliche Vermittlerinnen und Vermittler vereint – viele von ihnen waren zuvor für die Barmenia tätig und haben bei uns eine neue berufliche Heimat gefunden.
Die Kooperation funktioniert hervorragend: Wir bündeln unsere Stärken, ohne dass Kunden oder Vermittler darunter leiden. Die Vermittler mussten ihre Verträge nicht umdecken, die Kunden bleiben dort, wo sie sind – egal ob bei der Bayerischen oder der Barmenia. Es gibt also keine Verlierer, sondern eine echte Win-win-Situation. Ich bin seit über 40 Jahren in der Branche, aber ein solches Modell, das auf Kooperation statt Konkurrenz setzt, habe ich noch nie erlebt.
Sich nur auf einen Zugang zum Markt zu verlassen, wäre riskant.Martin Gräfer
Vorsitzender des Vorstands, die Bayerische
procontra: Ist diese Kooperation auch eine Reaktion auf die wachsende Macht der Pools?
Gräfer: Nein, das ist sie nicht. Wir arbeiten sehr gerne mit Pools zusammen. Aber als mittelständischer Versicherer brauchst du heute mehrere stabile Vertriebswege.
Sich nur auf einen Zugang zum Markt zu verlassen, wäre riskant. Deswegen diversifizieren wir – sowohl in den Sparten als auch im Vertrieb. Die Kooperation mit der Barmenia-Gothaer über die compexx ist ein Baustein davon.
Ich sehe die Macht der Pools im Übrigen nicht negativ. Im Gegenteil: Sie bündeln Kompetenzen und schaffen Skaleneffekte, die vielen Maklern das Überleben überhaupt erst ermöglichen. Ohne Kooperationen würde der unabhängige Vertrieb in Deutschland stark an Schlagkraft verlieren.
procontra: Und die Direktanbindung – droht sie auf diesem Weg nicht auszusterben?
Gräfer: Nein, sie stirbt nicht aus, sie verändert sich. Wir sehen bereits Modelle, in denen Makler die Vorteile einer Poolanbindung nutzen, aber trotzdem eine direkte Beziehung zum Versicherer behalten. Das kann sehr gut funktionieren.
Wichtig ist nur eines: Die Gesamtkosten des Vertriebs dürfen nicht steigen. Wir sind als Branche am Ende dessen angekommen, was die Kunden noch akzeptieren. Unsere Aufgabe ist es daher, effizienter zu werden – durch Kooperationen, digitale Prozesse und Skaleneffekte.
Wenn alle Beteiligten – Versicherer, Makler, Pools – davon profitieren und die Kostenstruktur schlanker wird, dann ist das der richtige Weg. Am Ende zählt, dass der Kunde profitiert – durch faire Kosten und verlässliche Leistungen.
procontra: Kommen wir zu einem anderen Thema: Ihr Haus hat eine bundesweite Initiative gegen Altersarmut gestartet. Ist die Lage wirklich so dramatisch?
Gräfer: Ja, das ist sie. Wir sprechen oft über Klima- oder Energiekrisen – aber die drohende Altersarmut ist die soziale Krise unserer Gesellschaft. Schon heute fließt ein erheblicher Teil des Bundeshaushalts in die gesetzliche Rentenversicherung, und in den nächsten zehn Jahren wird dieser Anteil weiter steigen. Wenn wir nichts ändern, wird der Sozialstaat an seine Grenzen stoßen.
Die Menschen müssen verstehen: Wir können nicht ausgeben, was wir nicht erwirtschaften. Und deshalb brauchen wir private und betriebliche Altersvorsorge – dringend und flächendeckend.
Wir brauchen in der Altersvorsorge keine Produktvorgaben. Die Menschen sollen frei wählen können, ob sie in klassische oder fondsgebundene Produkte investieren.Martin Gräfer
Vorsitzender des Vorstands, die Bayerische
procontra: Was sollte die Politik Ihrer Meinung nach tun?
Gräfer: Zunächst: Planbarkeit schaffen. Menschen, die heute vorsorgen, müssen darauf vertrauen können, dass die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen langfristig gelten. Die ständigen Änderungen in der Vergangenheit haben Vertrauen zerstört.
Zweitens: Wir brauchen höhere Freibeträge und eine klare steuerliche Förderung, aber keine Produktvorgaben. Die Menschen sollen frei wählen können, ob sie in klassische oder fondsgebundene Produkte investieren. Jeder Euro, der heute steuerlich gefördert in die Altersvorsorge fließt, spart dem Staat morgen Ausgaben für Zuschüsse und Sozialhilfe.
Und drittens: Wir als Branche müssen das Thema wieder emotionalisieren. Altersvorsorge darf kein lästiges Pflichtprogramm sein – sie muss wieder zur Herzensangelegenheit werden.
procontra: Werfen wir mal einen Blick auf die Gebäudeversicherung. Für viele Versicherer ist sie ein Sorgenkind – wie sieht es bei der Bayerischen aus? Planen Sie eine Bestandssanierung?
Gräfer: Die Gebäudeversicherung ist für uns kein Sorgenkind, sondern ein zentrales Element unseres Geschäftsmodells. Eine unserer wichtigsten Zielgruppen sind Eigentümerinnen und Eigentümer von Einfamilienhäusern – und für sie ist die Gebäudeversicherung natürlich ein Kernthema.
Ja, es stimmt, die gesamte Branche steht unter Druck: gestiegene Baupreise, höhere Handwerkerkosten, Materialknappheit, alte Leitungen – all das führt zu teureren Schäden. Wir gehen damit offensiv um, aber ohne reflexartig Bestände zu „sanieren“. Stattdessen investieren wir in Prävention.
Wir arbeiten mit Partnern wie dem Rückstauklappenspezialist Kessel oder dem Leckage-Experten Suru zusammen, um Schäden zu vermeiden, bevor sie entstehen. Zum Beispiel durch digitale Überwachungssysteme, die Leckagen früh erkennen wie dem Grohe Senseguard von Suru, oder durch eine individuelle Gefährdungsanalyse und ein konkretes Angebot für eine technische Rückstausicherung von Kessel.
procontra: Stichwort Nachhaltigkeit. Man hat den Eindruck, dass das Thema in der Öffentlichkeit derzeit immer weniger Aufmerksamkeit bekommt. Wie reagiert Pangaea Life, Ihre Nachhaltigkeits-Tochtergesellschaft, darauf?
Das stimmt – das Thema Nachhaltigkeit ist in der medialen Wahrnehmung ein Stück weit aus dem Fokus geraten. Aber das ändert nichts an seiner Relevanz. Nachhaltigkeit ist kein Modewort, kein schneller Trend, sondern die Voraussetzung für langfristige Wertschöpfung.
Unsere Marke Pangaea Life steht genau dafür: reale, transparente, nachhaltige Investments mit messbarer Wirkung. Wir investieren nicht in „grüne Etiketten“, sondern in konkrete Sachwerte – Solarparks, Windkraftanlagen, Wasserkraftwerke, Batteriespeicher oder nachhaltige Immobilienprojekte.
Kurz gesagt: Für Pangaea Life ist Nachhaltigkeit keine Option – sie ist unser Geschäftsmodell. Und sie wird wieder an Bedeutung gewinnen, weil es schlicht keine Alternative gibt.
Long Story short
Vertriebspartnerschaft als Branchenmodell: Die exklusive Kooperation von Bayerischer und Barmenia-Gothaer über die compexx schafft laut Martin Gräfer ein einmaliges Win-win-Modell ohne Bestandsverluste – ein Gegenentwurf zu klassischem Konkurrenzdenken.
Drohende Altersarmut als größte soziale Krise: Gräfer fordert stabile politische Rahmenbedingungen, steuerliche Förderung und mehr emotionale Ansprache für private Vorsorge.
Nachhaltigkeit bleibt Kernstrategie: Pangaea Life setzt weiter auf reale, transparente Sachwerte – unabhängig von medialer Stimmungslage.

-(1).jpeg?w=1200&h=&fit=crop-51-36-1)
