Interview

Schadenregulierung: „Transparenz ist oft wichtiger als Schnelligkeit“

Eine aktuelle Assekurata-Befragung zeigt: Viele Versicherer konnten ihre Schadenregulierung verbessern, andere verlieren weiter an Boden. procontra sprach dazu mit den Analysten Juliane Löffler und Dennis Wittkamp.

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11:10 Uhr | 21. Oktober | 2025
Juliane Löffler und Dennis Wittkamp, Analysten bei Assekurata

Juliane Löffler und Dennis Wittkamp, Senior-Analysten der Assekurata Solutions GmbH

| Quelle: Assekurata Solutions

procontra: An der schleppenden Schadenregulierung der Versicherer wurde in jüngster Zeit viel Kritik geübt. Jetzt zeigt eine aktuelle Befragung Ihres Hauses, dass die Kunden-Zufriedenheit wieder steigt. Wie ist das zu erklären?

Juliane Löffler: Viele Häuser haben ihre Prozesse intern durch Automatisierung, Digitalisierung und Standardisierung deutlich professionalisiert. Gleichzeitig gibt es inzwischen mehr Self-Services für die Kunden: Schaden mobil und unkompliziert melden, Unterlagen hochladen, Status tracken. Dieses Zusammenspiel macht Abläufe effizienter und für Kunden spürbar schneller.

Dennis Wittkamp: Ich würde an dieser Stellte gern auch noch einmal einen Blick in den Rückspiegel werfen: Wo kommen die Probleme in der Schadenregulierung eigentlich her? Das hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun: Das Schadenaufkommen ist in der Zeit stark eingebrochen, Personal wurde umgeschichtet, auslaufende Verträge nicht verlängert und somit Kapazitäten in der Schadenbearbeitung abgebaut.

Als das Schadenaufkommen nach der Pandemie wieder anzog, fehlten deshalb mitunter qualifizierte Mitarbeiter. Verschärft wurde die Lage noch durch den Fachkräftemangel sowie Großschadenereignisse wie die Ahrtal-Katastrophe. Das holt man nicht so schnell auf.

procontra: In welchen Sparten sehen sie aktuell noch den größten Nachholbedarf?

Löffler: Kfz und einfache Haftpflicht profitieren stark von digitaler Unterstützung und automatisierten Abläufen. In komplexeren Fällen wie beispielsweise bei Personenschäden und Großschadenereignissen bleibt qualifiziertes Personal der Engpass.

procontra: Welche Rolle spielt KI bei der Schadenregulierung – heute und künftig?

Wittkamp: Sehr weit ist KI bereits in der Betrugserkennung, also etwa im Identifizieren von Fake-Schaden-Bildern. In der Breite dient KI derzeit vor allem als Assistent: sie liest Gutachten, fasst zusammen, schlägt Regeln und Antworten vor, erleichtert weniger erfahrenen Mitarbeitern die Arbeit. Das hilft, die Prozesse zu beschleunigen. Die nächsten Schritte laufen bereits im Hintergrund: KI, die Gespräche mithört, Antworten live vorschlägt – oder via Voicebot selbst mit Kunden spricht.

KI beschleunigt, ersetzt aber nicht den Kontakt
Juliane Löffler

Senior-Analystin bei der Assekurata Solutions GmbH

procontra: Ersetzt KI also auch in der Schadenregulierung zukünftig die persönliche Ansprache?

Löffler: Das ist genau das Spannungsfeld, in dem sich viele Versicherer bewegen. Alles soll smart, direkt und schnell gehen, auf der anderen Seite wünschen sich die Kunden aber auch weiterhin persönliche Ansprechpartner. Die Lösung können hier Multikanalstrategien in der Kundenkommunikation bieten.

In komplexen Fällen werden sicherlich weiter persönliche Ansprechpartner gebraucht. Mit anderen Worten: KI beschleunigt, ersetzt aber nicht den Kontakt.

Wittkamp: Schon allein wegen der demografischen Entwicklung werden die Versicherer gar nicht drum herumkommen, mehr KI einzusetzen bzw. zu digitalisieren. Wie weit das geht, hängt aber letztlich auch immer vom Kunden ab. Wenn dieser sich weiterhin einen persönlichen Ansprechpartner wünscht, dann wird es das auch weiterhin geben.

procontra: Ihre Befragung hat auch eine wachsende Lücke zwischen Vorreitern und Nachzüglern bei der Schadenregulierung aufgezeigt. Manche Versicherer drohen Ihrer Einschätzung nach sogar den Anschluss zu verpassen. Können Sie das konkretisieren?

Löffler: Die Top-Häuser investieren konsequent in Multikanal-Kommunikation, Self-Services und technische Prozessunterstützung – und verbessern sich weiter. Andere haben die Transformation verpasst, teils aus Ressourcen- oder Mentalitätsgründen. Größe allein erklärt das nicht: In unserer Befragung befinden sich unter den Top-Versicherern auch kleine Anbieter.

Wittkamp: Gerade anorganisch gewachsene, große Versicherer kämpfen nicht selten mit vielen parallelen Altsystemen – historisch gewachsenen Silos, heterogenen Datenbeständen. Bevor man KI einsetzt und skaliert, muss man aber erst vereinheitlichen. Denn KI braucht saubere, strukturierte Daten. Das kostet Zeit und Geld.

procontra: Blicken wir mal aus Maklersicht auf das Thema Schadenregulierung: Wie lässt sich Druck gegenüber den Versicherern aufbauen – oder Kundenzufriedenheit sichern?

Wittkamp: Einzelne Makler können bei Versicherern hartnäckig nachfassen – der Hebel bleibt aber begrenzt, wenn tausende Vorgänge im Rückstand sind. Größeren Druck können sicherlich Pools und Verbünde mit relevantem Neugeschäftsanteil aufbauen. Praktisch empfiehlt es sich, gezielt mit Häusern zu arbeiten, die in Befragungen und in der Praxis gut regulieren. Makler sind ja sehr gut vernetzt in der Branche.

Löffler: Ich würde hier gern noch etwas ergänzen. Wir sprechen bei der Schadenregulierung viel über Prozesse und Schnelligkeit. Doch das ist nur eine Facette. Aus Kundenbefragungen wissen wir, dass auch fehlende Transparenz ein sehr großes Ärgernis darstellt. Die Kunden haben durchaus ein gewisses Verständnis für bestimmte Bearbeitungszeiten, aber sie möchten informiert werden. Deshalb sollten Makler im Interesse ihrer Kunden immer wieder Transparenz einfordern.

procontra: Wie sehen Sie die Rolle der BaFin bei der Schadenregulierung? Offiziell fordert die Finanzaufsicht ja, dass Leistungsanträge innerhalb von vier Wochen bearbeitet werden müssen. Reicht das aus oder müsste die BaFin strenger durchgreifen?

Löffler: Die Versicherer nehmen die Forderung der BaFin schon sehr ernst und haben ihre Prozesse daraufhin noch einmal verschärft. Die Frist von vier Wochen setzt eine wichtige Benchmark, wobei Ausnahmen erlaubt bleiben. Ob strengere Maßnahmen notwendig sein werden, wird sich zeigen. Die BaFin beobachtet die Entwicklung natürlich weiterhin genau.

Die Regulierung bleibt der zentrale Touchpoint der Kundenzufriedenheit – und damit eine Daueraufgabe.
Dennis Wittkamp

Senior-Analyst bei der Assekurata Solutions GmbH

procontra: Kommen wir bei dem Thema Schadenregulierung perspektivisch womöglich bald in ruhigeres Fahrwasser?

Löffler: Im Bereich der Elementarschäden werden wir wahrscheinlich nicht so schnell Ruhe haben. Dasselbe gilt für Cyberschäden. Diese beiden Bereiche sind sehr komplex. Andere Sparten werden von der technischen Entwicklung profitieren.

Wittkamp: Es bleibt ein Auf und Ab. Bei ruhiger Schadenlage beruhigt sich die Debatte, Großereignisse wie schwere Überschwemmungen bringen sie zurück. Die Regulierung bleibt der zentrale Touchpoint der Kundenzufriedenheit – und damit eine Daueraufgabe. Ich glaube, so ganz vom Tisch wird man das Thema also nie bekommen. Die Versicherer sind heute aber dank besserer Personalausstattung und technischer Fortschritte resilienter aufgestellt als noch vor einigen Jahren.

Long Story short

  • Digitalisierung und KI beschleunigen die Schadenregulierung deutlich – ergänzt durch Self-Services für Kunden

  • Kluft zwischen Vorreitern und Nachzüglern wächst: Erfolgreiche Versicherer investieren in Multikanal-Kommunikation und Datenintegration, während andere an alten Systemen scheitern.

  • Persönlicher Kontakt bleibt entscheidend: KI unterstützt, ersetzt aber nicht die menschliche Ansprache – Kunden erwarten weiterhin Transparenz und Erreichbarkeit.