„Wohnraum ist kein Anlageprodukt wie Gold oder Aktien“

Ob der geplatzte Mietendeckel oder das Volksbegehren für Enteignungen: In der Berliner Wahlheimat von Lisa Paus jagt in der Wohnraumpolitik zurzeit ein Ereignis das nächste. Paus sitzt für die Grünen im Bundestag und hat procontra Einblick in die wohnungspolitischen Pläne der Partei gegeben.

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07:08 Uhr | 06. August | 2021

procontra: Der Mietendeckel als Prestigeprojekt der Berliner rot-rot-grünen Regierung ist gescheitert. Hat Ihre Partei alternative Pläne zur Mietbegrenzung?

Lisa Paus: Der Berliner Mietendeckel war Notwehr, weil der Bund bei der Wohnungspolitik versagt hat und bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird. Diese Probleme bestehen weiterhin. Deshalb wollen wir zum Beispiel als Förderprogramm des Bundes die „Neue Wohngemeinnützigkeit“ auflegen. Zusätzlich brauchen wir aber auch einen Schutz vor überzogenen Mieterhöhungen.

procontra: Wie stellen Sie sich einen solchen vor?

Paus: Wir brauchen ein Bundesgesetz, das Mietobergrenzen im Bestand ermöglicht und die Mietpreisbremse entfristet und deutlich nachschärft. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden. Dazu wollen wir qualifizierte Mietspiegel stärken, verbreiten und rechtssicher ausgestalten. In Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt wollen wir regionale Mietobergrenzen ermöglichen.

procontra: Eine weitere Berliner Initiative ist der kommende Volksentscheid zu „Deutsche Wohnen Enteignen“. Sehen Sie keine Gefahr, dass ein Enteignungsgesetz Investoren abschrecken könnte und zulasten von Investitionen ginge?

Paus: Unser Anliegen ist es, dass es gar nicht erst soweit kommen muss. Darum müssen wir jetzt eine Offensive für bezahlbaren Wohnraum starten. Aktuell gehen uns noch immer viele weitere Sozialwohnungen verloren – fast 100 jeden Tag. Eine Enteignung gegen Entschädigung kann immer nur ein allerletztes Mittel im Einzelfall sein.

procontra: „Grüne verbieten Einfamilienhäuser“: Der Vorstoß Ihrer Partei in Hamburg Nord sorgte Anfang des Jahres für Aufregung. Ihr dortiger Parteikollege sagte, der Gebäudetyp passe, was Platz- und Ressourcenverbrauch anbelange, nicht mehr in unsere Zeit. Wie stehen Sie dazu?

Paus: Niemand hat ein Verbot gefordert. Allein die Kommune vor Ort entscheidet wer oder was gebaut wird. Und wir unterstützen, dass Familien in ihren eigenen vier Wänden wohnen können. Diesen Traum können sich die Menschen aber wegen explodierender Immobilien- und Bodenpreise in den meisten Regionen des Landes immer schwerer erfüllen. Wir wollen hier nicht bremsen, sondern generell den Erwerb von Wohneigentum sogar fördern – beispielsweise durch das Bestellerprinzip oder Genossenschaften. Weil der Platz in Hotspots wie Berlin, Hamburg oder Köln aber knapp ist, entscheiden sich die Kommunen vor Ort vor allem für Mehrfamilienhäuser.

procontra: Sie kritisieren, dass Immobilienanleger meist gar nicht selbst in den Wohnungen wohnen, diese „nur Betongold“ für sie seien, mit dem sie Rendite erwirtschaften. Warum ist das problematisch?

Paus: Das Fehlen attraktiver Anlagemöglichkeiten ist für viele Sparer tatsächlich aktuell ein Problem. Das gilt aber auch für große institutionelle Anleger, wie Pensionsfonds, die Geld im Immobilienmarkt parken. In den vergangenen Jahren ist es ist hier regelrecht zu einer Kapitalschwemme gekommen. Der Handel mit Immobilien bricht regelmäßig alle Rekorde. Wir sollten uns aber klarmachen, dass Wohnraum von Menschen kein gewöhnliches Anlageprodukt, wie etwa Gold oder Aktien, ist.

procontra: Sondern?

Paus: Gerade wenn die zusätzliche Rendite aus Mietsteigerungen resultiert, kann die Spekulation mit Wohnraum dramatische Konsequenzen für die betroffenen Mieter und Mieterinnen haben. Es gibt beides: sinnvolle Investitionen und soziale Vermieter sowie reine Immobilienspekulation von großen Finanzkonzernen. Da müssen wir genau hinsehen und Mieter im Zweifel schützen.

procontra: Nicht hinter jeder Immobilie steckt ein Konzern. Die Preise steigen in manchen Großstädten rasant und für kleinere Eigentümer wird es künftig immer herausfordernder, den Kaufpreis durch Mieteinnahmen wieder hereinzuholen. Ihre Lösung?

Paus: Wir wollen Bauen und Kaufen von Wohneigentum günstiger machen und mit einem Förderprogramm bezuschussen, sodass leerstehende Gebäude in Ortskernen wieder aktiviert werden und vorhandene Gebäude aufgestockt werden. Außerdem wollen wir wie in europäischen Nachbarländern die Maklercourtage marktwirtschaftlich nach dem Bestellerprinzip ausrichten – und die Gebühr insgesamt reduzieren, denn im internationalen Vergleich ist sie in Deutschland bei Weitem am höchsten. Das entlastet deutlich beim Eigenkapital. Eigentümer, die sich verpflichten dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten, profitieren von den Förderungen der Neuen Wohngemeinnützigkeit. Durch direkte Zuschüsse, aber auch Steuervergünstigungen. 

procontra: Was bedeutet das konkret?

Paus: Mit einem Gesetz und einem Bundesprogramm in Höhe von drei Milliarden Euro jährlich wollen wir Bau, Kauf, Modernisierung und Bindung von dauerhaft günstigen Mietwohnungen fördern. Das Programm soll in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten greifen, also zum Beispiel in den Großstädten. Die Bestände, die noch im Besitz des Bundes sind, sollen zudem nicht mehr an private Investoren veräußert, sondern ausschließlich verbilligt an Kommunen mit einer dauerhaften Sozialbindung abgegeben werden. Die geförderten gemeinnützigen Wohnungsunternehmen würden von Grunderwerbsteuer, Grundsteuer, Umsatzsteuer und Ertragssteuern freigestellt. Aber auch die Baukosten müssen wir senken. Hier stecken große Potenziale im seriellen Bauen und einer besseren Digitalisierung und Planung.

procontra: Mit Anteilskäufen, so genannten „Share Deals", konnten Immobilieninvestoren bislang die Grunderwerbsteuer sparen. Seit Juli wird diese Praxis durch eine Gesetzesänderung erschwert, die Immobilienbranche spricht von einem „Bärendienst am Wirtschaftsstandort Deutschland“. Wie bewerten Sie die Änderung?

Paus: Union und SPD haben bei der Neuregelung der Share Deals auf ganzer Linie versagt. Statt einen eigenen effektiven Vorschlag vorzulegen, ist sie bei einem alten, komplizierten und noch stärker verwässerten Vorschlag der Länder stehen geblieben. Und das, obwohl der schon vor zwei Jahren in der öffentlichen Anhörung im Bundestag von Experten zerrissen wurde. Konkrete Alternativen liegen dabei seit langem auf dem Tisch, wie zum Beispiel die Vorschläge der Grünen Bundestagsfraktion: ein quotales Modell erweitert nach niederländischem Vorbild. Dabei würden bei einer Anteilsübertragung eines Unternehmens die darin enthaltenen Immobilien anteilig und nicht vollständig, wie bisher, besteuert. Das wäre ein echter Systemwechsel und ein innovativer Ansatz.

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