pro/contra: Zinswende – geht den Fintechs jetzt das Geld aus?

Durch die Zinswende ergeben sich für Investoren attraktive Alternativen. Wie schlägt sich das bei den Fintechs nieder? Darüber diskutieren Dr. Nils Beier, Managing Director bei der Unternehmensberatung Accenture, und Christian Macht, CEO des Berliner Insurtechs Element.

08:10 Uhr | 21. Oktober | 2022

Dr. Nils Beier (Managing Director bei Accenture): Pro

Im Vergleich zu den vergangenen zwei Jahren ist es heute deutlich schwerer für FinTechs, Funding zu bekommen. Dies gilt nicht für alle FinTechs in gleichem Maße, aber die Zeiten des unbegrenzten Geldes sind erst mal vorbei.

Die prognostizierten Fundings in Deutschland werden im Jahr 2022 sehr deutlich unter denen aus 2021 liegen. Das ist ein klares Zeichen für eine deutliche Abkühlung. Allerdings war 2021 für FinTechs auch ein extremes Jahr mit sehr hohen Fundings. Vergleicht man die Jahre 2022 und 2020, so sieht man einen klaren Anstieg. Nichtsdestotrotz: FinTechs haben es jetzt schwerer, an Gelder zu kommen, als vorher.

Hierfür gibt es einen wesentlichen Grund: die gestiegenen Zinsen. Der Zinsanstieg führt zu einer Abwertung der Aktienmärkte. Dies wirkt sich negativ auf die Bewertungen der größeren FinTechs aus. Größere FinTechs lassen sich recht gut mit den börsennotierten „FinTechs“ vergleichen. Unterschiedliche Multiples sind nicht mehr erklärbar. Somit drohen den Investoren in diesem Teil ihrer Bestände deutliche Kurskorrekturen nach unten. Dies gilt es zu verhindern.

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Anders als an den Aktienmärkten, materialisiert sich eine solche Abwertung aber erst dann, wenn eine neue Finanzierungsrunde und damit Bewertung ansteht. Deshalb zögern Investoren die Finanzierung derzeit möglichst lange hinaus. Der Fokus aller Investoren liegt auf ihren bestehenden Investments mit dem Ziel, diese schnell zu „profitabilisieren“. Das bedeutet, ganz klassisch: Kosten runter, Erträge hoch. Mittelfristig muss zudem ein nachhaltig profitables Geschäftsmodell vorgezeigt werden, denn die Zinswende wird nicht übermorgen wieder vorbei sein.

Der Fokus liegt klar auf den Beständen

Wenn sich über kurz oder lang eine Finanzierung nicht vermeiden lässt, wird „ausgesiebt“. Nur wer klar und nachvollziehbar aufzeigen kann, wie die Profitabilität zügig erreicht werden kann, bekommt eine Finanzierung. Die anderen werden zum Beispiel verkauft oder abgewickelt. Bei wirklich großen FinTechs kann auch ein „Too big to fail“-Effekt entstehen. Obwohl es keinen klaren Plan gibt, um profitabel zu werden, erhalten diese Mega-FinTechs weitere Finanzierungen, auch weil schon zu viel Geld dort gebunden ist.

Der Fokus der Investoren liegt also derzeit klar auf den Beständen. Aufs Neugeschäft vollständig verzichten derzeit jene Investoren, die eher Mitläufer sind, zum Beispiel Family Offices. Professionelle Venture-Capital-Investoren schauen sich neue Investments natürlich weiterhin an. Es gibt noch immer viel Geld im Markt, und die Fundraisings waren sowohl in 2021 als auch 2022 sehr hoch. Aber eben mit deutlich mehr Zeit und ohne den Druck, den Deal möglichst schnell zuzusagen aus der Angst heraus, ihn sonst zu verlieren. Das bedeutet aber gerade für kleinere FinTechs auch, dass das Geld der Investoren nicht mehr „so locker sitzt“ wie vorher.  

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Christian Macht (Vorstandsvorsitzender von Element): Contra

Warum den FinTechs im Generellen nicht das Geld ausgehen wird, liegt meiner Meinung nach an deren Agilität und Innovationsfreude, aber vor allem auch am Innovationsstau der Finanzindus­trie! Der Gründungsboom von vor 2017 hat sich abgeschwächt, der Wettbewerb nimmt zu, die Akquisitionskosten an der Kundenschnittstelle sind hoch und Finanzierungsmittel schwerer zu beschaffen.

Die derzeitige Marktsituation um Krieg, Inflation und die Erwartung weiter steigender Zinsen übt enormen Druck auf die FinTechs aus, schneller profitabel zu werden. Wenn man in diesem Kontext als FinTech dann auch noch Geld braucht, erhöht sich der Druck durch die Investoren.

Die Finanzindustrie steckt im Innovationsstau

FinTechs verfolgen ganz unterschiedliche Ansätze, vor allem in der Wertschöpfungskette. Manche sind im Versicherungssektor mit innovativen Lösungen im Vertrieb tätig, andere bieten Apps an, die die finanzielle Situation der Nutzer analysieren, und wieder andere stellen Banken oder Versicherern IT-Lösungen zur Verfügung.

Die Finanzindustrie steckt im Innovationsstau, die technologische Entwicklung schreitet aber weiter voran, daher wird es zu weiteren Gründungen kommen, die sich als lukrative Geschäftsmodelle erweisen werden. Die Zukunft wird – wie in anderen Branchen – durch Schnelligkeit, Flexibilität und Effizienz entschieden. Essenzielle Vorteile werden das Einbinden von KI-Mechanismen und Big Data bringen. Viele Neugründungen fokussierten sich in jüngster Zeit eher auf B2B. Vorteile sind im Wesentlichen die Synergieeffekte auf beiden Seiten. Während FinTechs ihre Agilität und ihr IT-Know-how einbringen, bringen die Etablierten ihren Zugang zu den Kunden, ihre großen Datenbestände sowie regulatorisches Know-how ein. Auch ist der B2B Approach – wenn die ersten großen Hürden genommen sind – meist das resilientere Modell.

Etwas M&A schadet dem Markt nicht

Die aktuelle Krise wirkt potenzierend, weil sich der Markt konsolidiert. Die Geschäftsmodelle, die nachhaltig sind, werden gestärkt daraus hervorgehen. Inves­toren erkennen sehr wohl, welche Start-ups – risikogewichtet – lukrativ sind, und es wird weiter finanziert und investiert. Investments werden nicht aufhören. Es wird nur – ich würde fast behaupten: endlich – genauer geprüft, wer es verdient.  Ich gehe von nicht wenigen Fusionen und Übernahmen aus, aber etwas M&A schadet dem FinTech-Markt definitiv nicht!

Nach dem Winter wird der Frühling kommen. Der größte Fehler, den die Branche jetzt machen kann, ist zu glauben, das FinTechs verschwinden. Ganz im Gegenteil: FinTechs – ein paar weniger sicherlich – werden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um zu guten Konditionen einzusteigen.

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