pro/contra: Rettet die Aktienrente das System der gesetzlichen Altersversorgung?

Geht es nach dem von Arbeitsminister Hubertus Heil angekündigten Rentenpaket, soll noch in diesem Jahr der Zehn-Milliarden-Euro-Kapitalstock für die Aktienrente gebildet werden. Ob damit das System der gesetzlichen Altersversorgung tatsächlich auf einen zukunftssicheren Weg gebracht wird, darüber diskutieren für procontra der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Teutrine und Henriette Wunderlich vom Sozialverband Deutschland (SoVD).

09:05 Uhr | 23. Mai | 2022

Jens Teutrine (Mitglied im FDP-Bundesvorstand): Pro

„Unser Umlagesystem befindet sich am Rande des Zusammenbruchs“, urteilt der Rentenexperte Axel Börsch-Supan – im Jahr 1999. Heute hält es über die Hälfte der unter 40-Jährigen mindestens für wahrscheinlich, keine gesetzliche Rente zu erhalten. Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt beträgt jetzt schon etwa 100 Milliarden Euro im Jahr, bis 2035 werden es voraussichtlich 132 Milliarden Euro sein. Während 1962 sechs Beitragszahler eine Rente finanzierten, lag das Verhältnis im Jahr 2019 bei 2,1 Beitragszahlern pro Rentner. Das Problem dürfte klar sein: Die Umlagefinanzierung ist angesichts der demografischen Entwicklung gescheitert.

Diese Legislatur ist die letzte, bevor die Generation der Babyboomer in Rente geht und um das Ruder herumzureißen, wenn auch die Generation meiner Kinder noch Hoffnung auf eine gesetzliche Rente haben soll. Und weil sich Demografie nicht staatlich kontrollieren lässt, braucht es jetzt Reformen.

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Gesetzliche Aktienrente ist keine Zockerei

Ein erster Schritt ist im Ampelkoalitionsvertrag festgeschrieben. Schon in diesem Jahr werden der Rentenversicherung zehn Milliarden Euro zugeführt, die, von einer unabhängigen Stelle verwaltet, global an den Finanzmärkten angelegt werden.

Die gesetzliche Aktienrente ist eben keine Zockerei, sondern die vorausschauende Sicherung des Rentenniveaus. Die große Stärke der Aktienmärkte ist ihre langfristige Entwicklung. Wie gut und sicher das funktioniert, macht beispielsweise der schwedische Staatsfonds vor. Bei Anlagen über 15 Jahre haben sie ein verlässliches Plus. Darum geht es bei der Altersvorsorge. Durch globale Streuung und Langfristigkeit fallen einzelne Kursschwankungen wenig ins Gewicht. Viele junge Menschen haben dieses Prinzip schon erkannt und sorgen mit diversifizierten Indizes privat für das Alter vor. Seit 2019 haben sich über 650.000 unter 30-Jährige in Deutschland zum ersten Mal an die Börse gewagt, über 70 Prozent geben an, mit ihren Investitionen für das Alter vorzusorgen. Wenn die gesetzliche Rente nun neben der Beitragsfinanzierung auf ein zweites Bein gestellt wird, bleiben die Vorteile der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten und mehr Menschen profitieren vom Wachstum der Weltmärkte. Langfristig lässt sich sogar auf ein steigendes Rentenniveau hoffen.

Gerade Menschen mit kleinen Einkommen profitieren von der teilweisen Kapitaldeckung. Sie können sich die ergänzende betriebliche und private Vorsorge häufig nicht leisten. Durch die Aktienrente werden sie Anteilseigner globaler Unternehmen und profitieren von der Produktivität der Weltwirtschaft.

Die Aktienrente wird unser Rentensystem nicht von heute auf morgen retten, dafür wurde die Schieflage zu lang verschlafen. Aber sie ist der einzig sinnvolle Weg, um mehr Menschen am globalen Wachstum teilhaben zu lassen und das Rentensystem zukunftsfähig zu machen, ohne den Steuerzuschuss immer weiter explodieren zu lassen.

Seite 1: Kursschwankungen fallen durch globale Streuung und Langfristigkeit wenig ins GewichtSeite 2: Der demografsche Druckmacht nicht an den Kapitalmärkten Halt

Henriette Wunderlich (Referentin für Alterssicherung und Arbeitsmarkt, Sozialverband Deutschland): Contra

Es ist richtig, dass wir über die Zukunft der gesetzlichen Altersversorgung in Deutschland reden müssen. Hintergrund ist die demografische Entwicklung: Auf immer mehr Rentner*innen kommen immer weniger Beitragszahlende. Wird hier nicht gegengesteuert, gerät das sogenannte Umlageverfahren, nach dem die aktuellen Beitragszahler*innen die Renten der aktuellen Rentner*innen finanzieren, in eine Schieflage. Daraus schlussfolgern die einen, dass die gesetzliche Rente nicht mehr finanzierbar sei, ein Generationenkonflikt zwischen den Jungen und Alten ausbreche und die einzige Lösung in mehr Kapitaldeckung zu finden sei. Die Aktienrente sei dafür eine geeignete Lösung.

Dem widersprechen wir als SoVD ganz deutlich. Denn es ist eine Illusion zu glauben, dass der demografische Druck an den Kapitalmärkten haltmacht. Er wird dort genauso zu spüren sein, wenn sich die Zahl der Einzahlenden verringert und die der Empfänger*innen anwächst. Außerdem ist es auch wichtig zu sehen, aus welcher Ecke genau solche Forderungen kommen und welche wirtschaftlichen Interessen dahinterstehen. Dazu nur ein Vergleich: Die Verwaltungskosten bei der gesetzlichen Rentenversicherung belaufen sich auf ca. 1,4 Prozent; bei Riester-Verträgen fließen im Durchschnitt bis zu 25 Prozent in die Verwaltungsgebühren.

Aktienrente wälzt individuelle Risiken auf den Einzelnen ab

Die gesetzliche Rentenversicherung hat in den vergangenen 130 Jahren nur einmal verspätet die Rente ausgezahlt. Das war nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Sie zahlt zudem nicht nur Altersrenten aus, sondern auch Hinterbliebenen- und Erwerbsminderungsrenten. Außerdem bietet die gesetzliche Rente Rehabilitationsleistungen und Elemente des sozialen Ausgleichs, wie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die sogenannte Mütterrente, und Zeiten von Pflege. Die gesetzliche Rente übernimmt damit eine wichtige solidarische Funktion in unserer Gesellschaft.

Deshalb weisen wir ganz deutlich darauf hin, dass mit der Einführung der Aktienrente genau diese solidarischen Elemente unter die Räder geraten würden, da diese vorsieht, dass ein Teil des Beitragssatzes in die Aktienrente fließt. Einmal ganz davon abgesehen, dass dadurch noch kein Cent mehr für die Rente insgesamt ausgegeben wird. Auch ist bisher nichts darüber bekannt, wie eine Aktienrente beispielsweise eine Erwerbsminderung absichern kann und soll. Individuelle Risiken werden damit auf den*die Einzelne*n abgewälzt.

Es ist außerdem ein Fakt, dass niemand weiß, wie sich die Aktienmärkte tatsächlich in den kommenden Jahrzehnten entwickeln werden. Die Rentenversicherung hingegen hat schon 130 Jahre bewiesen, was sie leisten kann, obwohl sie schon des Öfteren tot geschrieben wurde. Bewahrheitet haben sich diese Prognosen nicht. Im Gegenteil: Es sah immer besser aus als befürchtet. Deshalb: Lassen Sie uns das Geld lieber in ein sicheres, erprobtes und kostengünstiges System stecken – die umlagefinanzierte gesetzliche Rente. Dass dafür auch Nachbesserungen am aktuellen System notwendig sind, bleibt unbestritten. Wir sollten aber ehrlich sein: In der aktuellen Debatte um Kapitaldeckung geht es vor allem um eine Verteilungsfrage. Sollen die Aufwendungen für die Altersvorsorge weiterhin solidarisch von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden gezahlt werden oder wird die Altersvorsorge weiter zu einer privaten Verantwortung der Menschen?

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