Prämien-Paradoxon in der BU

Während die Inflation galoppiert, drückt der Wettstreit um die „guten“ BU-Risiken weiter das Preisniveau im Markt. Doch das erschwert Maklern die Arbeit, irritiert Kunden und sorgt für Gefahren bei den Versicherern.

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12:06 Uhr | 01. Juni | 2022

Wer die Inflation in den vergangenen Jahren vermisst haben sollte: Sie ist längst zurück. Im März und April lag die Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr bei über sieben Prozent, im Mai wird sie voraussichtlich bei knapp acht Prozent liegen, teilt das Statistische Bundesamt mit. Doch während augenscheinlich alles teurer wird, sinken die Preise in der Berufsunfähigkeitsversicherung – zumindest für lukrative Neukunden.

„Die Analyse der Prämiengestaltung mit Stand des Jahres 2022 zeigt, dass im Markt weiterhin sehr aggressiv kalkuliert wird“, sagen die Versicherungsexperten der Rating-Agentur Franke und Bornberg (F+B). Laut ihren Studienergebnissen vom April diesen Jahres wird die jeweilige Durchschnittsprämie für bestimmte Musterfälle um bis zu 40 Prozent unterschritten. Dies offenbare deutliche Tendenzen einer Unterkalkulation.

Als Beleg führt F+B ein paar solcher Musterfälle ins Feld: Identische Gesundheitszustände und Rentenhöhen vorausgesetzt, sei der durchschnittliche marktweite Monatsnettobeitrag (tatsächlich zu zahlender Beitrag) für einen Ingenieur von 69,97 Euro im Jahr 2015 auf 64,75 Euro im Jahr 2022 gefallen. Eine nur marginale Erhöhung habe es beim Tischler gegeben, von 162,86 auf 164,25 Euro. Einen merklichen Preisanstieg gab es vergleichsweise nur beim Bankkaufmann: von 75,19 Euro auf 85,86 Euro.

Beiträge müssten eigentlich steigen

Dabei müssten die BU-Beiträge eigentlich über alle Berufsgruppen hinweg viel kräftiger gestiegen sein. Mit marktweit durchschnittlich zehn Prozent allein zum Jahreswechsel hatte Dr. Jürgen Bierbaum, Vorstandsmitglied der Alte Leipziger Lebensversicherung und der Deutschen Aktuarvereinigung, im Dezember-Interview mit procontra gerechnet. Dies machte er unter anderem an der Senkung des Höchstrechnungszinses (HRZ) von 0,9 auf 0,25 Prozent per 01.01.2022 fest. Jede HRZ-Senkung würde automatisch zu einer Erhöhung der Reserveprämie führen und die Lebensversicherer ihr Pricing und ihre Überschussbeteiligung überdenken lassen, so Bierbaum. Wohlgemerkt: Zwischen den Vergleichsjahren für die BU-Beiträge von Franke und Bornberg lagen sogar zwei HRZ-Senkungen.

„In der Vergangenheit ließ sich beobachten, dass Prämien für die Neukundengewinnung günstig kalkuliert wurden. In den Folgejahren wurde dann teilweise die Überschussbeteiligung für den Bestand gekürzt, da sich die Prämien als zu günstig herausstellten“, berichtet uns F+B-Chef Michael Franke (siehe Interview). Je nach vereinbartem Überschusssystem führe das entweder zu steigenden Nettobeiträgen oder sinken Leistungen für die Kunden. Trotz solcher Vorkommnisse ist aus Frankes Sicht ein aggressiver Preiskampf in der BU-Versicherung schon seit Jahren Usus.

Das können auch Makler bestätigen, die sich auf die Arbeitskraftabsicherung spezialisiert haben. Nach Philip Wenzels Einschätzung würde das entweder bedeuten, dass die Tarife noch vernünftig kalkuliert seien und die Versicherer mit der niedrigen Marge leben könnten. „Oder, und das wäre nicht ok, die Versicherer nehmen jetzt noch Neugeschäft mit, weil sich die Bestände nicht mehr aus sich selbst tragen und fahren das Ding einfach mal an die Wand“, formuliert es der Biometrieexperte. Schließlich müssten die Lebensversicherer, neben allen aktuellen Statistiken, vor allem die BU-Leistungsfälle der Zukunft auf dem Schirm haben. „Kurzfristig hole ich mir als Gesellschaft so neues Geschäft – langfristig aber auch Risiken, die ich nicht haben will und die dann in Kombination mit einem sehr günstigen Beitrag ‚explodieren‘ können“, warnt Makler Guido Lehberg. Dann könne im Extremfall auch der Bruttobeitrag erhöht werden, sofern er schon voll ausgeschöpft wurde.

Herausforderungen für Makler

Wie weit der kalkulierte Bruttobeitrag einer BU-Versicherung und der tatsächlich aktuell zu zahlende Nettobeitrag auseinander liegen, beschreibt der Brutto-Netto-Spread. Im marktweiten Durchschnitt lag dieser, laut F+B, im April bei 29,6 Prozent. Die höchsten Werte betragen 40 Prozent, zum Beispiel bei der Huk-Coburg-Gruppe und der Continentale. Sprecher beider Unternehmen betonten jedoch gegenüber procontra ihre nachhaltige Prämienkalkulation und Beitragsstabilität. Noch kein einziges Mal, seit sie das BU-Geschäft betreiben, hätten sie die Überschussbeteiligung in ihren Tarifen anpassen müssen.

Anders die WWK. Sie hatte Ende 2015 und Ende 2017 die Zahlbeiträge für viele ihrer BU-Versicherten angehoben – teilweise um bis zu 40 Prozent. Im F+B-Vergleich wird die WWK als Anbieter mit dem kleinsten Spread gelistet (14 Prozent). Fällt dieser nur aufgrund der zuvor erfolgten Preiserhöhungen so gering aus? Eine entsprechende Anfrage ließ die WWK bislang unbeantwortet.

Auch für Makler ist der Unterbietungswettbewerb der Versicherer mit Herausforderungen behaftet. Zunächst einmal, weil nicht alle Beiträge sinken, sondern der BU-Schutz vor allem für Handwerker durch die zunehmende Berufsgruppendifferenzierung praktisch unbezahlbar wird, sagt Tobias Bierl. Zudem komme es bei bereits versicherten Akademikern schon mal vor, dass ein Neuabschluss trotz des höheren Eintrittsalters plötzlich günstiger ist, merkt Wenzel an. Gleichzeitig könnten aufgrund von Vorerkrankungen nun Ausschlüsse drohen. Hier sei der Makler gefragt, den Markt stets im Auge zu behalten und die Vor- und Nachteile aus dem Preiskampf für seine Kunden abzuwägen.

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