Großbritannien will aus Solvency II aussteigen

In Großbritanniens Wirtschaft läuft derzeit nicht alles rund. Nun will die Regierung offenbar die Solvency-II-Regeln für Versicherer über Bord werfen, um sich nach dem Brexit als Wirtschaftsstandort wieder aufzuwerten.

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13:04 Uhr | 28. April | 2022

Großbritannien möchte aus Solvency II aussteigen, zumindest was die Vorgaben für Versicherungsunternehmen betrifft. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und bezieht sich dabei auf konkrete Pläne, die die Johnson-Regierung heute kommuniziert hat. Auch die Süddeutsche Zeitung hat bereits darüber berichtet. Ziel sei es, Großbritannien als Standort für Versicherer nach dem Brexit wieder lukrativer zu machen und damit langfristige Infrastrukturinvestitionen durch die Unternehmen zu erzielen.

Während seiner EU-Mitgliedschaft war Großbritannien, wie auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten, dazu verpflichtet, die Einhaltung der Solvency-II-Vorgaben durch die dort ansässigen Finanzdienstleistungsunternehmen so gewährleisten. Nach dem Brexit vom 01.02.2020 ist das Vereinigte Königreich aber nichtmehr daran gebunden. Solvency II schreibt unter anderem vor, dass Versicherungsunternehmen für Extremsituationen mindestens 100 Prozent ihrer Verbindlichkeiten als Eigenkapital bereithalten müssen. Bei einem kompletten Ausstieg aus dem Eigenkapitalregime würde diese Maßgabe finanzieller Stabilität wegfallen oder zumindest eingeschränkt werden.

Dem Reuters-Bericht zufolge wolle die britische Regierung durch die Lockerungen für Finanzdienstleister Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe ins Land holen und die Innovationskultur ankurbeln. Gleichzeitig solle der Schutz für die Versicherungsnehmer, zum Beispiel im Falle der Insolvenz eines Lebensversicherers, aufrechterhalten werden.

Keine Sonderregeln für UK-Versicherer in Deutschland

Ob ein Ausstieg britischer Versicherer aus Solvency II die Ermittlung ihrer finanziellen Stabilität erschwere, dazu wollte der GDV heute auf procontra-Nachfrage keine Einschätzung abgeben. Ein Sprecher des Gesamtverbands betonte aber, dass für britische Versicherer beziehungsweise deren Tochterunternehmen, die auf dem deutschen Markt aktiv sind, weiterhin die Solvency-II-Regeln gelten.

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Auf diesem Wege Investitionen ins Vereinigte Königreich zu holen, ist das Eine. Doch Geld und Unternehmen allein reichen nicht, es braucht auch Fachkräfte. An diesen hat Großbritannien aber anscheinend gerade einen deutlichen Mangel. Laut einer Umfrage des britischen Handelskammerverbands British Chambers of Commerce (BCC) haben derzeit 78 Prozent der dortigen Unternehmen aus allen Branchen Schwierigkeiten, passendes Personal für ihre offenen Stellen zu finden. Kritiker sehen dafür vor allem die verschärften Einwanderungsregeln als Folge des Brexits als Ursache.

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