Früh berät sich, wer vererben will

Deutsche vererben jährlich mehrere Hundert Milliarden Euro. Bei den Nachkommen ist das Erbe oft Grund für Zwist. Finanzberater können ihre Kunden beim Generationenmanagement unterstützen – und so wichtige Geschäftsansätze schaffen.

09:12 Uhr | 21. Dezember | 2021

Über der Familie Lemesurier schwebt ein schrecklicher Fluch. Jeder Erstgeborene ist dazu verdammt, zu sterben, bevor er sein Erbe antreten kann. Als Vincent Lemesuriers Vater nach einem Reitunfall im Sterben liegt, erahnt er sein Schicksal bereits, kann seinen eigenen Tod aber nicht mehr verhindern. Kurze Zeit später verstirbt auch der nächste in der Erbfolge, sein jüngerer Bruder Ronald. Wie Agatha Christies Meisterdetektiv Hercule Poirot in einem seiner ersten Fälle, „Das Erbe der Familie Lemesurier“, schlussendlich aufdeckt, steckt natürlich kein Fluch, sondern Mord hinter den kuriosen Geschehnissen. Der missgünstige Onkel, Hugo Lemesuriers, wollte sich auf diese grausame Art sein Erbe sichern.

Ganz so dramatisch läuft es im wahren Leben wohl eher selten ab, doch gemäß dem Spruch „redet ihr noch miteinander oder habt ihr schon geerbt?“ sorgt der Nachlass bei Erben oft für Streit. Dabei wird das Thema in Deutschland immer wichtiger: Allein zwischen den Jahren 2015 und 2024 werden in Deutschland 3,1 Billionen Euro vererbt, schätzt das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA). Mit steigendem Wohlstand hat das Erbvolumen in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen.

Um Streit zu verhindern, sollten sich Erblasser noch zu Lebzeiten Gedanken über das Thema machen und ihren Nachlass klar regeln. Dabei können Berater eine wichtige Stütze sein. „Sobald Vermögenswerte vorhanden sind, sollte man sich mit dem Thema Nachlass befassen“, sagt Markus Richert, Anlageberater beim Vermögensverwalter Portfolio Concept. „Der Berater kann dabei für verschiedene Möglichkeiten und wichtige Fragen sensibilisieren.“

Berater sollten ihren Kunden vor allem eines klarmachen: Wenn sie sich nicht mit dem Thema Erbe befassen, greift nach dem Tod automatisch die gesetzliche Erbfolge. Dann erben in erster Linie Ehepartner, Kinder und Enkelkinder, in späterer Reihenfolge weitere Verwandte. „Im schlimmsten Fall greift die Erbengemeinschaft. Dabei treffen unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Interessen aufeinander“, warnt Richert.

Bei einer Erbengemeinschaft verwalten alle Erben den Nachlass nämlich so lange gemeinsam, bis das Erbe aufgeteilt ist – Streit ist also vorprogrammiert. Besonders dann, wenn die Familienkonstellation kompliziert ist, es also beispielsweise Kinder aus unterschiedlichen Ehen gibt. Manchmal zanken Erben dabei um große Summen – etwa, ob das Elternhaus verkauft werden soll oder ob einer der Erben darin wohnen darf. Oft geht es aber auch um ideelle Werte: Wer beispielsweise die Manschettenknöpfe des Großvaters bekommt, kann ebenfalls zum Streitthema werden.

Den Anfang machen

Eine der wichtigsten Aufgaben des Vermittlers ist deshalb, seine Kunden auf solche Probleme aufmerksam zu machen und unter Umständen alle Familienmitglieder an einen Tisch zu setzen. Der Berater kann als eine Art Moderator dabei helfen, das Gespräch zu strukturieren. Das Problem dabei: Der Tod gilt als Tabuthema, mit dem sich viele Menschen nur ungern befassen. Für Berater stellt sich also die Frage, wie sie dieses unangenehme Thema möglichst sensibel beim Kunden angehen können. Richert sieht dafür viel Gelegenheit: „Finanzplaner haben die perfekte Grundlage, über das Thema Nachlass zu sprechen. Im Finanzplan sind alle Vermögenswerte erfasst, davon ausgehend kann der Berater ein Gespräch darüber anstoßen, was später mal damit passieren soll.“

Dabei muss es nicht zwangsläufig um den Tod gehen – immerhin lässt sich das Erbe oder ein Teil davon auch schon zu Lebzeiten über Schenkungen weiterreichen. An Ehegatten und eingetragene Lebenspartner sind Schenkungen in Höhe von bis zu 500.000 Euro steuerfrei möglich, an Kinder von jedem Elternteil bis zu 400.000 Euro und an Enkel bis zu 200.000 Euro. Gerade bei großem Vermögen können Erblasser ihren Nachkommen einen Gefallen tun, wenn sie zu Lebzeiten einen Teil des Vermögens verschenken, denn so können die Erben später Erbschaftssteuer sparen.

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„Es ist nie zu früh, sich Gedanken über den eigenen Nachlass zu machen“, meint auch Rolf Tilmes, Finanzprofessor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Er sieht den nahenden Tod ebenfalls nicht als einzigen Anlass für ein Beratungsgespräch zum Thema Erbe. Eine angenehmere Gelegenheit sei etwa eine Eheschließung beim Kunden. „Dann wird zum Beispiel das Thema Güterstand interessant, ebenso wie die Versorgung des Partners, für den Fall, dass dem Kunden etwas zustößt“, erklärt Tilmes. So können Versicherungsmakler zum Beispiel auf Risikolebensversicherungen aufmerksam machen.

Auch die Themen Betreuungsvollmacht und Patientenverfügung sind erste Ansatzpunkte, um Kunden für das Thema Erbe zu sensibilisieren. „Sollte der Kunde eines Tages nicht mehr zurechnungsfähig sein, ist es vorab wichtig zu entscheiden, wer stellvertretend handeln soll. Das alles sind Themen, die auch schon junge Menschen betreffen“, sagt Tilmes. Eine Dienstleistung, die der Berater seinem Kunden in diesem Zusammenhang anbieten kann, ist das gemeinsame Erstellen eines Notfallordners. Darin sind nicht nur Patientenvollmacht und Betreuungsverfügung, sondern auch der digitale Nachlass gesichert. Für den Todesfall ist es nämlich auch wichtig, einer Person seines Vertrauens ein aktuelles Dokument mit den eigenen Online-Konten sowie Passwörtern zu hinterlassen – entweder in gedruckter Form oder auf einem USB-Stick.

Ein weiterer Tipp des Experten: Eine Info-Veranstaltung zum Thema Erbe aufsetzen, gemeinsam mit einem Rechtsanwalt und einem Steuerberater. „Solche Veranstaltungen sind in der Regel ausgebucht, das Interesse ist groß“, sagt Tilmes. Davon ausgehend können sich Anlageberater als Experten positionieren und den ein oder anderen Kunden an Land ziehen.

Chance für Kundenbindung

Berater sollten sich bei diesem Thema auf jede Menge Kundenfragen einstellen, denn oft fehlt grundlegendes Wissen. „Viele wissen zum Beispiel nicht, wie die Erbquoten geregelt sind, welche Steuerfreibeträge es gibt oder wie der Zugewinnausgleich zwischen Ehepartnern geregelt ist“, erzählt Tilmes. Bei Letzterem kann der Berater die Kunden zum Beispiel zum Nachrechnen bringen – wie war das Anfangsvermögen vor der Ehe und was war der gemeinsame Zugewinn?

Auch wie die Bewertung des Nachlasses funktioniert, ist vielen nicht bewusst, etwa dass sich der Depot-Wert an den Aktienkursen am Todestag orientiert, der Immobilienwert am Verkehrswert und der Wert eines Unternehmens vom Bewertungsverfahren abhängt. So mancher Erblasser lebt außerdem in dem Irrtum, er könnte ein aus seiner Sicht „missratenes“ Kind einfach enterben. Doch in Deutschland ist das nur in absoluten Ausnahmefällen möglich, etwa nach einem Mordversuch. Für Berater gibt es also jede Menge Gelegenheit für Aufklärungsarbeit.  

Das alles mag zunächst nach viel Mühe klingen, doch die zahlt sich aus. „Jemand, der bloß Lebensversicherungen oder Fonds verkauft, ist für den Kunden austauschbar“, sagt Tilmes. „Doch wer mit dem Kunden über dessen Nachfolge spricht, hat schnell eine engere Bindung zu ihm.“ Nebenbei erfahre man auch allerhand über den Kunden, seine Familienkonstellation und Wünsche. „Als Finanzdienstleister habe ich so jede Menge Ansatzpunkte mein Geschäftsfeld zu erweitern“, betont der Wirtschaftsprofessor.

Auf diese Art finde man Details heraus, wie etwa, dass der Ex-Ehemann noch Begünstigter bei der Lebensversicherung der Kundin ist und die Auszahlung bekommt, wenn sie stirbt. Auf diese Weise können Berater ihre Kunden über Fallstricke aufklären, die andernfalls womöglich nicht ans Tageslicht gekommen wären.

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