Berufsunfähigkeit: Welche Einkommenseinbußen sind zumutbar?

Im Rahmen der Berufsunfähigkeit geht es häufig um die Vergleichbarkeit bestimmter Berufe - schließlich hängt davon ab, ob der Versicherer leistet oder nicht. Worauf es beim sozialen Status ankommt und welche Einbußen beim Gehalt als vertretbar gelten, zeigt nun ein aktuelles Urteil.

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07:07 Uhr | 23. Juli | 2021

Wer nach seiner Berufsunfähigkeit einer neuen Tätigkeit nachgeht, kann Probleme mit seiner BU-Versicherung bekommen. Häufig geht es dann um die Frage, ob die neue Tätigkeit vergleichbar im Hinblick auf Einkommen und soziale Wertschätzung zur alten Tätigkeit ist – dann nämlich kann die BU-Versicherung ihre Leistungen einstellen. Bei der Einschätzung können die Meinungen von Versicherungsnehmer und Versicherer dabei deutlich auseinander gehen, wie ein Fall des OLG Köln zeigt.    

Ein Dachdeckergeselle hatte im Jahr 2009 eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Nach einer operativen Versteifung der Lendenwirbelsäule konnte der Mann ab November 2013 seinem Beruf nicht mehr nachgehen – die Berufsunfähigkeitsversicherung sprang ein und zahlte dem Mann eine monatliche BU-Rente in Höhe von 1.263,79 Euro aus.  

Statt sich mit seinem Schicksal abzufinden, begann der einstige Dachdecker eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann, die er 2016 erfolgreich beendete. Seit diesem Zeitpunkt war er als kaufmännischer Angestellter für mehrere Unternehmen tätig.  

Voraussetzungen für Berufsunfähigkeit entfallen

Im Rahmen der Nachprüfung teilte die Versicherung dem Mann daraufhin mit, ab Dezember 2018 keine Leistungen ihm gegenüber mehr erbringen zu wollen – schließlich seien die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeit entfallen. So übe der Mann eine vergleichbare berufliche Tätigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen aus.

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Hier heißt es:  

Als eine der Ausbildung und den Fähigkeiten sowie der bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entsprechende Tätigkeit wird dabei nur eine solche Tätigkeit angesehen, die keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch hinsichtlich Vergütung und Wertschätzung nicht spürbar unter dem Niveau des bislang ausgeübten Berufs liegt.  

Genau über diesen Punkt herrschte jedoch zwischen den beiden Parteien Streit: Der Versicherungsnehmer vertrat die Auffassung, dass seine neue Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter nicht mit seiner ursprünglichen Tätigkeit als Dachdecker gleichgestellt werden könne. So sei er vor seiner Berufsunfähigkeit Vorarbeiter und Fachkraft für Arbeitssicherheit gewesen, habe zudem Überstundenzahlungen und Schlechtwetterzulagen erhalten. Auch sein Nettoeinkommen, auf das es maßgeblich ankomme, sei höher gewesen.  

Mit seiner Klage, mit der er die Versicherung zur weiteren Zahlung seiner BU-Rente verpflichten wollte, scheiterte der Mann zunächst vor dem Bonner Landgericht (Az: 4 O 55/19).  

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Das Urteil  

Auch das Kölner Oberlandesgericht (Az: 20 U 29/20) lehnte die Klage des Mannes ab. Die Kölner Richter befanden ebenfalls, dass die neu ausgeübte Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter sowohl bezüglich Ausbildung und Erfahrung als auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht unter der des Dachdeckergesellen lag. Kurz gesagt: Es gab keine entscheidenden Unterschiede hinsichtlich Qualifikation, erzieltem Einkommen und sozialer Wertschätzung.  

So hatte der Mann unter anderem argumentiert, dass durch den Bauboom Fachkräfte auf dem Bau besonders gesucht würden. Allerdings lasse sich hieraus nach Sicht des Gerichts keine besondere soziale Wertschätzung ableiten. Auch das Argument, dass seine Kunden ihn als Dachdecker besonders geschätzt hätten, ließ das Gericht nicht gelten – schließlich gehe es nicht um die individuelle Wertschätzung, sondern um das Ansehen, das der Beruf als solcher dem verleiht, der ihn ausübt.  

Zwar hatte der Mann, der zuvor als Kolonnenführer tätig war, keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber seinen Kollegen mehr, allerdings hatte er – im Unterschied zu seiner Ursprungstätigkeit – keinen Meister bzw. Büroleiter mehr über sich und war dementsprechend in seinem Tätigkeitsbereich freier. Alles in allem konnte das Gericht somit keine geringere soziale Wertschätzung seiner neuen Tätigkeit ausmachen.

Keine deutlichen Einbußen

Beim Vergleich der Einkommen konnte das OLG ebenfalls keine deutlichen Einbußen feststellen. Beim Vergleich der Nettoeinkommen ermittelte das Gericht, dass das Gehalt als kaufmännischer Angestellter maximal um sechs Prozent niedriger war als das, was der Mann als Dachdeckergeselle verdient hatte. Dies stellte zwar eine Einbuße dar, jedoch müssen nach geltender Rechtsprechung Einbußen, die sich in einem zumutbaren Rahmen bewegen, hingenommen werden. Schließlich handele es sich bei der BU-Versicherung nicht um eine Einkommensversicherung, stellte das Gericht klar. So knüpfe die Höhe ihrer Leistungen weder an das bei Vertragsabschluss gegebene Einkommensniveau an, noch wird vom Versicherer die Angabe grundlegender Einkommensveränderungen verlangt.

Was als zumutbar gilt, könne nur für den Einzelfall entschieden werden, erklärte das Gericht. „Denjenigen, der nur über ein bescheidenes Monatseinkommen verfügt, trifft ein Einkommensverlust von lediglich 10 bis 20 Prozent bereits hart und bringt ihn unter Umständen an den Rand der Sozialhilfe. Deshalb kann auch eine Einkommensminderung unter 20 Prozent in der Gesamtschau bereits unzumutbar sein.“ Einbußen von weniger als zehn Prozent gelten aber in aller Regel als zumutbar.  

Das OLG Köln lehnte damit die Berufung des Mannes ab – die Einstellung der Leistungen des BU-Versicherers waren rechtens.  

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