Gamification in der Finanzberatung

So wurde ich beinahe Millionär

Billionen Euro liegen unverzinst auf deutschen Konten, viele Menschen scheuen aufgrund mangelnder Finanzbildung renditestärkere Investments. Das glauben zumindest zwei Finanzberater und haben ein Spiel entwickelt, das Makler in ihrer Beratung einsetzen können. Ein Selbstversuch

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13:07 Uhr | 12. Juli | 2023
Gamifikation

Zwei Finanzberater aus Österreich haben ein Spiel entwickelt, das Beratern dabei helfen soll, Finanzbildung bei ihren Kunden zu schaffen und diesen Investment-Ängste zu nehmen.

| Quelle: jemastock

„Ich wär‘ so gerne Millionär, dann wär mein Konto niemals leer.“ So wie die Prinzen kurz nach der Wende musikalisch ihre monetären Gelüste erklärten, fühle auch ich mich an diesem Dienstagnachmittag dem Ziel verpflichtet, mein Geld möglichst schnell zu vermehren. Eine Million soll es im besten Fall werden und es läuft nicht schlecht für mich. Die von mir ausgewählten Aktien gehen durch die Ecke, die Immobilienanteile in Wien entwickeln sich prächtig und selbst meine Startup-Wette in irgendeine Autofolierungs-Klitsche scheint sich zu rentieren.

Kaufen, verkaufen, umschichten, abwägen, alles auf eine Karte setzen – eine halbe Stunde fühle ich mich wie Peter Lynch, Neil Woodford oder andere berühmte Fondsmanager. Bis Spielleiter Alexander Oberenzer das Spiel abbricht und ich mich urplötzlich nicht mehr auf dem Börsenparkett, sondern an meinem Berliner Schreibtisch befinde.

Erst Brett-, jetzt Onlinespiel

Was ich erlebte, war „My First Million Game“. Ein Spiel, das die beiden österreichischen Finanzberater Alexander Oberenzer und Wolfgang Tritsch entwickelt haben – zuerst als Brettspiel, später dann auch als Online-Variante. 

Das Spiel ist schnell erklärt: Man versucht – zumindest in der Version, die ich gespielt habe – aus einem Betrag von 100.000 möglichst eine Million Euro zu machen. Dafür investiere ich: Wahlweise in Aktien, in Immobilien oder aber in Startups – vom Yoga-Studio bis zur Eismanufaktur ist so manches dabei.

Das Spiel beginnt für mich mit einem kleinen Schock: Die Kurse meiner Aktien, die ich in der ersten Runde getreu dem Motto „Viel hilft viel“ gekauft habe, brechen ein. Das fängt ja gut an. Was soll ich machen? In Panik verfallen? Oder die Chance der niedrigen Kurse ergreifen und billig nachkaufen? Glücklicherweise muss ich mir um meine Immobilien-Investments – ich habe mich hier für ein Wohnung in Wien entschieden – keine Gedanken machen. Sowohl die Mietpreise als auch die Immobilienbewertung gehen nach oben – so bleibe ich auch bei nachgebenden Börsenkursen weiter flüssig.

Werkzeug für die Beratung

Das Spiel haben Oberenzer und Tritsch als Werkzeug für die Beratung entwickelt. Spielerisch sollen auf diese Weise Hemmungen abgebaut und Finanzbildung sowie der Wunsch nach dem eigenen Vermögensaufbau geschaffen bzw. gestärkt werden. „Rund 40 Prozent des Gesamtvermögens der Deutschen sind nahezu unverzinst“, bemerkt Oberenzer. Sprich: Das Geld wird in bar vorgehalten oder liegt nur gering verzinst auf irgendwelchen Sparkonten.

Gleichzeitig gebe es 5,66 Millionen Menschen mit einem Einkommen von über 50.000 Euro brutto im Jahr, die sich ein hohes monatliches Investment leisten könnten. Gerade diejenigen von diesen, die ihr Geld auf dem Konto belassen, weil sie Angst vor möglichen Verlusten haben, wollen die zwei österreichischen Finanzberater mit ihrem Spiel ansprechen. Durch das Spiel sollen nicht nur Marktmechanismen erklärt und somit Finanzbildung geschaffen werden. Durch über 400 Entscheidungen, die der Spieler während des Spiels treffen muss, sollen auch Phänomene wie die sogenannte „Aufschieberitis“ angegangen werden.

Im Spiel läuft es derweil wieder besser für mich. Die Aktienkurse haben sich mehr als erholt und sogar mein Investment in ein Autofolierungs-Start-up hat – wenn auch nur geringe – Früchte getragen. Mit jeder Runde wird ein Börsenjahr simuliert, 13 Jahre schaffen wir am Ende. Aus meinen 100.000 Euro sind am Ende 432.048 Euro geworden – mehr als die anderen Spielteilnehmer vorweisen können.

Zugang zur jungen Zielgruppe

Normalerweise dauert ein Spiel 20 Runden. Dieser Zeitraum ist bewusst gewählt, schließlich sollen hier die Vorteile langfristiger Investments illustriert und kein kurzfristiges Zockertum propagiert werden. Die 4 Szenarien, die durchgespielt werden können, entsprechen alle realen Gegebenheiten. Am Ende unserer Runde offenbart uns Spielleiter Oberenzer, dass wir den Zeitraum von 2007 bis 2020 gespielt haben.

Dass die sogenannte Gamification mittlerweile auch bei der Geldanlage eingesetzt wird, ist kein gänzliches neues Phänomen. Vor allem die Neobroker praktizierten diesen Ansatz. Dass es aber auch ein Tool für Finanzberater sein kann, ist relativ neu. Bis zu 15 Menschen gleichzeitig können laut Oberenzer das Spiel spielen. 80 Finanzberater seien bereits zum Spielleiter ausgebildet worden, 60 von diesen würden „My First Million Game“ bereits effektiv in Deutschland sowie Österreich einsetzen. „Tendenz steigend.“

Dass dieser Trend anhält, davon ist Oberenzer überzeugt: „Schließlich stößt jetzt eine sehr Gaming-affine Zielgruppe auf das Thema Vermögensbildung.“ Nicht nur die vielen Finanzberatern so fremde Zielgruppe der Jungen könne auf diese Weise erschlossen werden, glaubt Oberenzer. „Viele Türen lassen sich über Finanzbildung öffnen.“