Aufgeben statt nachbessern: Sollte die EU-Kleinanlegerstrategie weg?
Die regulatorische Schraube ist bereits überdrehtMartin Klein
Geschäftsführender Vorstand Votum e.V.
Die EU steht an einem Kipppunkt, sie muss jetzt zeigen, dass sie für die historischen globalen Herausforderung die richtigen Antworten findet. Die dynamisch wachsenden Länder Asiens haben technologisch aufgeschlossen und können ihren Wachstumspfad auf eine junge und leistungsbereite Bevölkerung stützen.
Amerika meint, dass es sich angesichts der eigenen hohen Verschuldung ein freundschaftliches Engagement in der Welt nicht mehr leisten kann und nutzt die immer noch starke wirtschaftliche Position zur Zollerpressung. Verstärkt wird der Druck durch die kriegstreibende russische Aggression. Es gibt kaum ein europäisches Land, was nicht mit der Herausforderung einer alternden Gesellschaft und explodierenden Renten-, Sozial- und Pflegekosten kämpft.
Europa kann nicht weitermachen wie bisher
Angesichts dieser Herausforderungen kann Europa nicht weitermachen wie bisher, sondern muss alles daransetzen, die ohnehin schwierigen Wachstumspotenziale der europäischen Wirtschaft zu entfesseln.
Zwischen 2019 und 2024 hat die EU gemäß dem Draghi-Report rund 13.000 neue Rechtsakte verabschiedet, über das Dreifache von den USA (3.500). Wenn man sich vor Augen führt, dass die USA über 100 Millionen weniger Bürger als die EU hat (340/450 Millionen), dafür aber ein um 50 Prozent höheres BIP (27/18 Billionen Euro) gelangt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass immer mehr Regulierung kein Wirtschaftsmotor ist.
Es ist illusionär zu glauben, dass eine Verschärfung von Richtlinien alle fünf Jahre Verbesserungen bringt. Neue Berichtspflichten und aufsichtsrechtliche Eingriffe machen aus Sparern keine Anleger und schaffen keinen breiten Kapitalmarkt. Im Gegenteil: Sie entziehen europäischen Kapitalmarktunternehmen wichtige Ressourcen für den globalen Wettbewerb.
Die Retail Investment Strategy (RIS) ist ein ideologiegetriebenes Relikt der früheren EU-Kommission und zielt letztlich auf ein Provisionsverbot ab, nachdem ein direktes Verbot keine Zustimmung fand. Keine der Maßnahmen vertieft den europäischen Kapitalmarkt.
Wir erreichen den vertieften europäischen Kapitalmarkt nicht, indem wir die hier agierenden Unternehmen mit immer noch mehr Berichts- und Vergleichspflichten belasten. Es muss vielmehr daran gearbeitet werden, wie durch eine Vereinheitlichung und Simplifizierung Dynamik entfaltet werden kann.
Die Einstellung der gesetzgeberischen Arbeiten an der unnötigen RIS ist daher das einzig richtige und wichtige Signal.
Der Verbraucherschutz in der EU ist stark
Die Verbraucher müssen nicht befürchten, dass ihnen hierdurch ein Schaden droht. Der Verbraucherschutz in der europäischen Union ist stark und detailliert ausgestaltet. Die Chefs der Aufsichtsbehörden selbst sind es, die – wie etwa Mark Branson von der BaFin – feststellen, dass man die regulatorische Schraube bereits überdreht hat.
Wir haben inzwischen flächendeckend in Europa äußerst günstige und seriöse Kapitalanlagemöglichkeiten. Es gibt beispielsweise ETF-Anbieter mit weniger als 0,1 Prozent Verwaltungskosten. Die EIOPA hat in ihrem aktuellen Kosten- und Performancereport 2025 festgestellt, dass Fondsgebundene Versicherungen mit höherem Risikoanteil (SRI 4-7) zwar einen höheren Kostenanteil aufweisen, jedoch auch die höchsten Nettorenditen erzielten. Für Deutschland ermittelte sie von 2019 bis 2023 durchschnittliche Nettorenditen von über 7 Prozent im Jahr.
Der richtige Weg geht daher nicht in eine immer mehr staatlich regulierte Produktwelt. Hier hat das PEPP aufgezeigt, dass man sich damit in eine Sackgasse begibt. Es gilt vielmehr durch die Förderung von finanzieller Bildung und qualifizierter Beratung, den Kunden aufzeigen, wann das Eingehen von Anlagerisiken der richtige und das Beharren auf Garantien der falsche Weg ist.
In der EU heißt es daher Abschied zu nehmen von der RIS und für Deutschland die staatlich geförderte private Altersvorsorge endlich zu reformieren.
Forderungen nach einer vollständigen Rücknahme der EU-Kleinanlegerstrategie sind strikt zurückzuweisenDr. Christian Gülich
Bund der Versicherten, Mitglied von EIOPA IRSG
Als vor zwei Jahren die damalige EU-Kommissarin für den Finanzsektor Mairead McGuinness den Entwurf für die EU-Kleinanlegerstrategie veröffentlichte, waren die Zielsetzungen sehr hoch: Stärkung der unabhängigen Beratung, ein teilweises Provisionsverbot, zielgenauere Produktgestaltung, verbesserte Berufsqualifikationen von Vermittlern und erhöhte finanzielle Allgemeinbildung von Verbrauchern, um nur einige zu nennen.
Die fundamentale Bedeutung dieser Themen wird durch neuere Untersuchungen etwa zu überteuerten Fonds- und Nettopolicen und Falschberatung immer wieder unterstrichen, die nicht nur von „böswilligen“ Verbraucherschützern, sondern von der Finanzaufsicht veröffentlicht werden.
Intensive Lobbyarbeit der Verbände
Seitdem ist es durch intensive Lobbyarbeit, insbesondere vonseiten der Vermittlerverbände, gelungen, selbst das nur teilweise Provisionsverbot (für Produktverkäufe ohne Beratung) aus dem Entwurf zu streichen. Um das Problem der Interessenskonflikte dennoch verstärkt anzugehen, sollen „Best Interest“-Prüfungen und ein Anreiztest eingeführt werden, was wir als Minimalbedingungen unterstützen.
Die mögliche Einführung einer Kategorie von „vertraglich nicht-gebundenen“ Vermittlern, die aber auf Provisionsbasis vergütet werden, stellt eine Verwässerung der Abgrenzung zu „unabhängiger Beratung“ auf Honorarbasis dar, was wir ablehnen. Hier sollte an der ursprünglich vorgesehenen Stärkung der „unabhängigen Beratung“ festgehalten werden.
Aber es geht um deutlich mehr in dem EU-Entwurf:
Produktfreigabeverfahren: konkretere Zielmarktbestimmungen und dementsprechend angepasste Preisfindungsverfahren inklusive Offenlegung aller Vertriebs- und Abschlusskosten sowie Rückvergütungen von „dritter Seite“;
Stärkung des angemessenen Preis-Leistungsverhältnisses durch Vergleichsindizes („Benchmarks“) für entsprechende Finanzmärkte und Peer-Gruppenvergleiche zur Identifizierung besonders teurer Produkte;
Online-Version von Produkt-/Basisinformationsblättern als Standard mit Möglichkeiten „interaktiver“ Nutzung zu weiterführenden Informationen;
Präzisierung der Anforderungen einer ausreichend breiten Produktauswahl durch einen Vermittler einschließlich des Hinweises, welches das kostengünstigste ist;
Basisinformationsblätter: Einführung der Möglichkeit, Wertentwicklungen in der Vergangenheit anzuzeigen, wenn Szenarien für zukünftige Wertentwicklungen als „irreführend“ erscheinen;
strengere Anforderungen an jährliche Weiterbildung der Vermittler durch „zertifizierte“ Kurse und Einschluss von Nachhaltigkeitskriterien;
Einführung der Beaufsichtigung zumindest von den Finfluencern, die Verträge mit Produktanbietern (inklusive nicht-monetärer Anreize) haben.
Angesichts der Bandbreite der vorgeschlagenen Änderungen müssen Forderungen nach einer vollständigen Rücknahme der EU-Kleinanlegerstrategie vonseiten einiger Verbände der Finanzindustrie strikt zurückgewiesen werden. Es handelt sich sowieso nur um einen bereits stark verwässerten Entwurf, sodass zumindest dieser umgesetzt werden sollte.
EU-Kleinanlegerstrategie abschaffen?
Pro
Zu viel Regulierung bremst Wirtschaft & Wettbewerb
Mehr Pflichten machen keine neuen Anleger
RIS ist ideologisch motiviert und unnötig
Contra
Nötig für bessere Beratung & Transparenz
Schutz vor überteuerten Produkten
Rücknahme wäre ein Rückschritt im Verbraucherschutz