Haben Nettopolicen noch eine Zukunft?
procontra: Die BaFin hat kürzlich die Ergebnisse einer Untersuchung von Versicherern, die Nettopolicen anbieten, veröffentlicht. Darin kritisiert die Aufsicht unter anderem, dass viele der befragten Versicherer den Vermittlern ihrer Nettoprodukte keine Empfehlungen oder Vorgaben zur maximalen Vergütungshöhe geben würden. Dies führe dazu, dass der Kundennutzen des Produkts fraglich sei. Können Sie diesen Eindruck bestätigen und glauben Sie, dass dieser Umstand in der Praxis durch überhöhte Honorare ausgenutzt wird?
Thomas Nierhaus: Meiner Meinung nach sollte nicht allein der Versicherer, sondern vor allem der Gesetzgeber klare Grundlagen für Nettopolicen und Vergütungshöhen schaffen. Einheitliche Regeln würden Kunden wie Vermittlern Orientierung geben. In anderen Branchen wie bei Steuerberatern oder Anwälten gibt es feste Gebührenordnungen oder transparente Rahmen. Bei Nettopolicen fehlt diese Vergleichbarkeit bislang. Ohne Obergrenzen oder transparente Modelle erkennen Kunden schwer, ob eine Nettopolice wirklich rentabel ist. In unserer Beratung lösen wir das durch eine finanzmathematische Analyse, bei der Brutto- und Nettotarife inklusive Honorarkosten objektiv gegenübergestellt werden. So sieht der Kunde schwarz auf weiß, wie sich Kosten und Renditen entwickeln. Am Markt gibt es jedoch Auswüchse: Manche Vermittler berechnen 2,5 bis 5 Prozent der Beitragssumme und zusätzlich Betreuungshonorare von bis zu 1 Prozent des Fondsguthabens. In solchen Fällen fährt der Kunde oft schlechter als bei einer Bruttopolice.
procontra: Es gibt noch weitere Kritikpunkte: So würden die Versicherer bei Nettopolicen nicht über die Höhe von Kickbacks der Fondsgesellschaften an die Vermittler Bescheid wissen. Zudem würden sie es tolerieren, dass in den Beratungsgesprächen regelmäßig nicht darüber aufgeklärt wird, dass das dem Vermittler bezahlte Honorar nicht anteilig der Stornohaftung unterliegt wie die Provision. Halten Sie diese Kritikpunkte nur für ein theoretisches oder auch ein praktisches Problem zur Benachteiligung der Kunden?
Nierhaus: Wenn Kickbacks zusätzlich an den Vermittler fließen und nicht offengelegt werden, fehlt es an Transparenz und die tatsächlichen Kosten für den Kunden sind kaum nachvollziehbar. In unseren Beratungen stellen wir fest, dass die meisten Kunden kostenneutrale ETFs bevorzugen. Bei reinen ETF-Lösungen sind Kickbacks daher praktisch irrelevant, was die Kostentransparenz zusätzlich erhöht. Dennoch braucht es eine Lösung, um die bestehende Intransparenz bei Kickbacks insgesamt zu beseitigen. Vielen Kunden ist außerdem nicht bewusst, dass eine Provision im Fall einer vorzeitigen Kündigung nicht wie ein Honorar anteilig geschützt ist. Besonders kritisch sehen wir Honorarmodelle, bei denen Beratungshonorare über separate Ratenverträge finanziert werden und trotz Kündigung des Vertrags weiterlaufen. Solche Konstruktionen hebeln den Verbraucherschutz aus. Wir setzen stattdessen auf vollständige Kostenoffenlegung und eine klare Aufklärung über die Unterschiede zwischen Honorar- und Provisionsmodellen.
procontra: Wenn man die Kritikpunkte der BaFin liest, bekommt man den Eindruck, dass vor allem die Versicherer ihre Pflichten verletzen. Haben Nettopolicen so überhaupt noch eine Zukunft?
Nierhaus: Ja, definitiv haben Nettopolicen eine Zukunft. Die Kritik der BaFin richtet sich vor allem an fehlende Transparenz bei den Versicherern und nicht an das Nettokonzept selbst. Nettopolicen sind für Kunden oft die kosteneffizienteste Lösung, weil sie Abschlussprovisionen und hohe Betreuungskosten vermeiden. In unseren finanzmathematischen Analysen sehen wir regelmäßig, dass Nettotarife selbst bei konservativen Annahmen bessere Ergebnisse erzielen als klassische Provisionstarife. Damit dieses Potenzial genutzt wird, brauchen wir aber gewisse Standards für Honorarmodelle, transparente Vergleichsmöglichkeiten und mehr Aufklärung. Dann kann sich die Nettopolice als fairere Alternative am Markt durchsetzen und wird langfristig weiter an Bedeutung gewinnen.
procontra: Man liest ja häufiger mal, dass die Verbraucher das Konzept Nettopolice ganz gut finden. Was müsste sich ändern, damit es auch endlich in der Breite angenommen wird und das Angebot dafür wächst?
Nierhaus: Das größte Hindernis ist das Verständnis für die tatsächliche Kostenstruktur. Kunden sehen bei Nettopolicen ein offenes Honorar und empfinden es auf den ersten Blick als hoch, weil ihnen der Vergleich zu den versteckten Kosten von Provisionstarifen fehlt. Erst wenn sie in unseren Beratungen eine finanzmathematische Gegenüberstellung erhalten und die Gesamtkosten sowie die langfristige Wirkung auf die Ablaufleistung nachvollziehen können, erkennen sie den echten Mehrwert. Viele entscheiden sich dann bewusst für die Nettopolice, weil sie sehen, wie viel Kapital sie dadurch langfristig sparen. Damit dieses Konzept breiter angenommen wird, brauchen wir mehr transparente Nettotarife und einheitliche Standards zur Kostenoffenlegung, damit Kunden von Anfang an eine faire Grundlage für ihre Entscheidung haben.
procontra: Was sollten Versicherungsmakler, die Nettopolicen vermitteln wollen, unbedingt beachten, um Probleme wie die oben genannten – obwohl diese ja eher Pflichten der Versicherer sind – zu vermeiden?
Nierhaus: Makler sollten Nettopolicen mit maximaler Transparenz vermitteln. Dazu gehören klare Honorarmodelle, vollständige Aufklärung über mögliche Kickbacks, Stornohaftungen und eine fundierte Analyse, die dem Kunden den Mehrwert des Nettomodells nachvollziehbar macht. In unseren Beratungen erstellen wir einen transparenten Kostenvoranschlag und vergleichen Nettotarife und Bruttopolicen detailliert. So sehen Kunden auf einen Blick, welche Lösung langfristig die besseren Ergebnisse liefert. Diese Offenheit wird von Kunden honoriert, weil sie ihnen eine informierte und faire Entscheidung ermöglicht. Wer Nettopolicen so vermittelt, vermeidet nicht nur spätere Diskussionen und Haftungsrisiken, sondern hebt sich deutlich von klassischen Vertriebswegen ab und positioniert sich als vertrauenswürdiger Experte.