Honorarberatung: Die Mär vom Erfolg in Großbritannien

Verbraucherschützer verlangen immer wieder ein Provisionsverbot für Geldanlagen und verweisen auf Großbritannien. Dortige Ergebnisse sind jedoch eine Katastrophe, wie neue Statistiken zeigen. Auf der Insel gibt es eine gewaltige Beratungslücke.

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09:08 Uhr | 17. August | 2020
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Ein Provisionsverbot kann Abhilfe bei schlechter Finanzberatung schaffen, die ein verbreitetes Ärgernis ist, behauptet Dorothea Mohn, Leiterin Team Finanzmarkt beim vzbv, und nennt Großbritannien als positives Beispiel. Die Realität auf der Insel sieht anders aus. Bild: vzbv

Die Kritik von Verbraucherschützern am deutschen Provisionssystem bei der Vermittlung von Geldanlagen und Lebensversicherungen reißt nicht ab. Seit es 2013 gesetzlichen Zwang in Großbritannien mit einem Provisionsverbot in der Anlage- und Altersvorsorgeberatung gibt, stellt vor allem der Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) dies als leuchtendes Beispiel dar und verlangt dasselbe für Deutschland.

Doch die Ergebnisse auf der Insel sind ernüchternd. Vom Provisionsverbot sind auch Beratungen zu Investmentfonds und Lebensversicherungen betroffen. Die Vergütung erhalten Berater seither ausschließlich von ihren Kunden. Diese Maßnahme waren Teil einer Finanzmarktreform. Erste Zwischenergebnisse hatten das britische Finanzministerium und die Aufsichtsbehörde FCA bereits 2015 im „Financial Advice Market Review“ (FAMR) veröffentlicht. Schon da war ersichtlich, dass sich Verbraucher mit mittlerem und geringem Einkommen keine Honorarberatung leisten können (procontra berichtete). Folge: Eine immer größere Beratungslücke tut sich auf.

Mehr Bürger von Anlageberatung ausgeschlossen

Der FAMR-Fortschrittsbericht vom 11. April 2017 setzte darauf, die entstandene Beratungslücke zu schließen. Ein Ansatz: Steuersubventionen sollen die Probleme, die sich die Briten durch das Provisionsverbot selbst geschaffen haben, zumindest abmildern. Konkret heißt das: die Honorarberatung muss in Großbritannien durch Rentenvorschüsse und Steuergutschriften subventioniert werden, um für „Otto Normalverbraucher“ erschwinglich zu werden.

Diesen und anderen Problemen beugt hierzulande das IDD-Umsetzungsgesetz vor. Durch das Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung bleibt in Deutschland der Zugang zum Kapitalmarkt für alle Anleger ebenso gewährleistet wie auch die Wirtschaftlichkeit der Beratungsdienstleistung in der Breite (procontra berichtete).

Neue Zahlen dokumentieren wachsende Beratungslücke

Eine neue Statistik der EU-Wertpapieraufsicht ESMA zur Fonds-Performance belegt die Beratungslücke seit Einführung des Provisionsverbotes im Vereinigten Königreich empirisch. Zudem schneiden Investmentfonds bei der Performance für britische Anleger im EU-Vergleich deutlich unterdurchschnittlich ab – Indiz für fehlende Beratung, denn: Wegen des Provisionsverbotes kaufen 84 Prozent der britischen Anleger notgedrungen Fonds auf eigene Faust.

Aktuelle Daten der britischen Finanzaufsicht FCA zeigen zudem: Nach deren letzten „Retail Investments Product Sales Data (PSD)“ der FCA ist in Großbritannien die Beratungsquote bei Investmentfonds von 57 Prozent der Abschlüsse 2006 auf 10 Prozent 2019 gefallen.

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„Aus der Grafik ist klar abzulesen, dass die Schere zwischen Abschlüssen mit Beratung (Advised Sales) und ohne Beratung (Non-Advised Sales) erst mit der Einführung des Provisionsverbots 2013 aufgeht“, berichtet der Branchendienst „Kapital-Markt intern“ (k-mi). Die FCA hat weitere Statistiken zum „The retail intermediary market 2019“ vorgelegt. Dieser in England seit 2016 vorgenommenen Erhebung zufolge ist der Anteil der Honorare (Initial advice charges) am Gesamtumsatz von Beratern permanent gesunken, allein 2019 um 14 Prozent gegenüber 2018.

Ohne Servicegebühren können Berater nicht überleben

Mittlerweile führt dies dazu, dass der Anteil der laufenden Servicegebühren auf 70 Prozent steigt – ein Plus von 16 Prozent allein 2019 und ein Drittel mehr als 2016. Das bedeutet: Die Haupteinnahmequelle von Anlageberatern in Großbritannien sind damit nicht Honorare, sondern inzwischen mit großem Abstand laufende Servicegebühren.

„Der Mythos der von Interessenkonflikten klinisch gereinigten Honorarwelt in Großbritannien ist damit hinfällig“, meint k-mi. Denn nach der reinen Lehre gilt die Arbeit mit Servicegebühren allenfalls als „Honorarberatung light“: Zwar partizipieren Berater dadurch auch vom Anlageerfolg ihrer Kunden, aber eben auch, wenn diese größere Summen investieren, worauf die FCA explizit hinweist.

Laufkundschaft ohne Abschluss bringt Berater in Not

Der Siegeszug der Servicegebühren bedeutet aber auch, dass sich viele Kunden Upfront-Honorare nicht leisten und Berater nicht davon leben können. Dies bestätigen die neuesten Zahlen von der Insel: Die meisten Honorarberater können – auch angesichts der immer schneller anwachsenden Regulierungskosten – nicht nur von Laufkundschaft leben, so k-mi.

Die Langfristigkeit einer Kundenbeziehung sei auch für Honorarberater entscheidend, und da kämen die Servicegebühren und Abschlüsse ins Spiel, „wodurch sich die Unterschiede zwischen den Vergütungssystemen hinsichtlich Interessenkonflikte deutlich nivellieren“. Das Provisionsverbot erweist sich in Großbritannien als Irrweg, der vor allem sozial Schwächere von der Anlageberatung ausschließt. Umso unverständlicher, dass Verbraucherschützer dies immer wieder negieren (siehe Dokumentation).

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