GDV-Nachhaltigkeitsbericht

Schutz der Artenvielfalt für Versicherer kaum von Belang

Vor einem Jahr forderte der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft die Unternehmen auf, den Schutz der Artenvielfalt auf die Agenda setzen. Jetzt zeigt sich: Das Gegenteil davon ist passiert. Bei anderen Nachhaltigkeitsthemen sieht es etwas besser aus.

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14:11 Uhr | 08. November | 2023
Schutz der Artenvielfalt für Versicherer kaum von Belang

Nur zehn Prozent der Unternehmen aus der Versicherungsbranche verfolgten 2022 den Schutz der Artenvielfalt. Auch die strategische Ausrichtung auf Biodiversität hat deutlich an Relevanz verloren.

| Quelle: Nektarstock

Die Versicherer sollten den Schutz der Artenvielfalt und Natur eigentlich stärker in den Blick nehmen. Das forderte vor einem Jahr der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) und rief die Unternehmen sowohl in puncto Investitionen als auch bei der Zeichnung von Risiken dazu auf, die natürlichen Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen im Blick zu behalten. Passiert ist seitdem offenbar allerdings wenig. „Beim Schutz von Biodiversität stehen wir noch am Anfang“, erklärt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen anlässlich des dritten Nachhaltigkeitsberichts, den der Verband am Mittwoch veröffentlicht hat.

Das Thema Artenvielfalt müsste die Branche eigentlich umtreiben, schließlich hängt über die Hälfte des globalen Bruttoinlandprodukts von Ökosystemen ab. Der Wert der Biodiversität wird auf bis zu 190 Billionen US-Dollar geschätzt, erklärte Susanne Bergius, Expertin mit Fokus auf Sustainable Finance im April auf einer Veranstaltung von ökofinanz-21. Mit dem Verlust des biologischen Reichtums, geht auch der finanzielle Reichtum verloren. „Das Artensterben bedroht die Fundamente unserer Ökonomie“, warnte die Expertin.

Versicherer bevorzugen Reparatur statt Neukauf

Für den aktuellen Bericht wollte der GDV von seinen Mitgliedsunternehmen unter anderem wissen, wie nachhaltig Kapitalanlagen, Geschäftsprozesse und Lebensversicherungsprodukte aufgesetzt sind. Auch die Schaden- und Unfallversicherer sollten angeben, wie es um deren nachhaltige Ausrichtung steht. Laut Verband haben im vergangenen Jahr in dieser Sparte 81 Prozent der Unternehmen darauf geachtet, dass die Schadenregulierung nach einem Autounfall nachhaltig erfolgt. Im Vorjahr waren es indessen noch 88 Prozent. Die Zahlen lassen sich laut GDV jedoch nur bedingt miteinander vergleichen, weil in 2021 nur 86 Gesellschaften Auskunft gegeben haben, während es im vergangenen Jahr 98 Unternehmen waren.

Was sich tatsächlich verändert hat, ist der Umgang mit der Frage: Reparatur oder Neukauf? 71 Prozent der Anbieter zogen eine Wiederherstellung dem Neukauf vor. Im Vorjahr lag die Zustimmung nur bei 66 Prozent. Die Versicherungsunternehmen haben zudem wesentlich häufiger auf Dienstleister mit Nachhaltigkeitskonzepten gesetzt. Hier stieg der Anteil auf 43 Prozent an, ein Plus 16 Prozent. Zudem haben 41 Prozent der Anbieter ihren Kunden Prämienrabatte bei nachhaltigem Verhalten in Aussicht gestellt (Vorjahr: 29 Prozent).

Der Marktanteil von Produkten mit nachhaltigen Eigenschaften oder Komponenten ist von 45 Prozent auf 51 Prozent gestiegen. Rund ein Drittel der Sach-Versicherer plant ein entsprechendes Angebot einzuführen. Der GDV wollte auch wissen, was genau die Gesellschaften unter „nachhaltigen Produkten“ verstehen: Über die Hälfte (55 Prozent) subsummiert darunter solche mit besonders nachhaltigem Schadenersatz, der über die geltenden gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Darunter fallen energiesparende Geräte, Techniken oder erneuerbare Materialien. Mittlerweile 53 Prozent verstehen darunter auch nachhaltige Dienstleistungen oder Reparaturen (Vorjahr: 25 Prozent).

Versicherungsschutz für Anlagen zur alternativen Energiegewinnung

Darüber hinaus boten im vergangenen Jahr bereits 74 Prozent der Unternehmen einen Versicherungsschutz für innovative Entwicklungen, wie beispielsweise die Energiegewinnung aus Wasserstoff, die Entwicklung von Batteriespeichern oder den Bau großer Offshore-Windanlagen. Im Vorjahr waren es noch 69 Prozent. 46 Prozent der Versicherer beachteten ESG-Kriterien, und damit ökologische und soziale Aspekte, bei der Übernahme von Risiken (Vorjahr: 33 Prozent).

Zum ersten Mal hat der GDV auch die Lebensversicherer nach ihrem Produktangebot in puncto Nachhaltigkeit befragt. Zwei Drittel der Anbieter führten solche Produkte. 200 Produkte waren es insgesamt, die Nachhaltigkeitskriterien gemäß der EU-Offenlegungsverordnung erfüllten. Die Produktgestaltung war allerdings recht unterschiedlich: teilweise wies das Sicherungsvermögen Nachhaltigkeitsmerkmale auf, teilweise konnten Kunden nachhaltige Anlageoptionen auswählen.

Auch die Kapitalanlagen richtet die Branche offenbar immer stärker entlang von ESG-Kriterien aus: Ihr Anteil ist von 88 Prozent in 2021 auf 90 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Ebenso viele Unternehmen streben die Klimaneutralität ihrer Kapitalanlagen an, 70 Prozent haben dafür konkrete Pläne vorgesehen.

In den Unternehmen selbst ist offenbar ebenfalls ein Wandel im Gange: 83 Prozent der Versicherer haben ihre Beschäftigten in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen weitergebildet, 62 Prozent haben Nachhaltigkeitsexperten eingestellt. 

Wie Finanzberater den Schutz der Artenvielfalt fördern können

Während sich knapp die Hälfte der Versicherer nachhaltige Investitionsziele gesetzt und sich immerhin ein Drittel der Schaden- und Unfallversicherer an der EU-Taxonomie orientiert hat, verfolgten nur zehn Prozent der Unternehmen explizit den Schutz der Artenvielfalt. Das sind sieben Prozent weniger als im Jahr 2021. Auch die strategische Ausrichtung auf Biodiversität hat an Gewicht verloren: Nannten im Jahr 2021 noch 28 Prozent der Unternehmen den Schutz der Artenvielfalt als Schwerpunkt, waren es im vergangenen Jahr nur noch 19 Prozent.

„Am nachhaltigsten ist jedoch, wenn Schäden gar nicht entstehen“, heißt es im aktuellen GDV-Bericht. Der Verband bezieht sich an dieser Stelle zwar auf Schäden in der Gebäude- und Hausratversicherung. Gleichwohl lässt sich dieser Satz pars pro toto anwenden. Denn: „Die Klimakrise bedroht, wie wir leben. Das Artensterben bedroht, ob wir leben“, warnte Nachhaltigkeitsexpertin Bergius.

Die Finanzberatung mag hierbei vielleicht nur ein kleiner Hebel sein. Doch legen Kunden Wert auf Vermögensverwalter, die das Thema Biodiversität berücksichtigen, empfiehlt Bergius den Beratern, die Anbieter konkret zu fragen: „Haben Sie eine Richtlinie gegen Entwaldung? Ist sie veröffentlicht worden? Welche Maßnahmen planen Sie? Wann gibt es einen Bericht dazu? Wann treten Sie einer Richtlinie gegen Entwaldung bei?“ Entwaldung gilt nämlich als der Artenkiller schlechthin. Wenn immer mehr Investoren ihr Portfolio entsprechend danach ausrichten, zwingt das auch die Vermögensverwalter zum Umdenken. Und das könnte am Ende auch die Wirtschaft vor großem Schaden bewahren.