Elementarpflicht

Die Debatte zieht an

Bis Ende des Jahres soll auf Drängen der Bundesländer die Regierung eine Elementarpflichtversicherung prüfen. Im Vorfeld ringen Versicherer, Politik und Wirtschaft um die Deutungshoheit.

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15:10 Uhr | 13. Oktober | 2022
zerstörte Häuser

Die Bundesregierung will bis Ende des Jahres die Einführung einer Pflichtversicherung prüfen – auf Drängen der Länder.

| Quelle: Thomas Lohnes

In die Debatte um die Elementarpflichtversicherung kommt wieder mehr Bewegung. Schließlich will die Bundesregierung bis Ende des Jahres die Einführung einer Pflichtversicherung geprüft haben – auf Drängen der Länder. Allerdings ist die Pflicht kein Thema im Koalitionsvertrag.

Dass der Gesamtverband der Deutschen Versicherugswirtschaft (GDV) einer „pflichtzentrierten Diskussion skeptisch gegenübersteht“ (GDV-Präsident Jörg Asmussen) ist dabei kein Geheimnis. Stattdessen wirbt der Verband für eine Opt-out-Option, fordert das Baurecht müsse angepasst werden und schlägt nun vor, dass der Staat vorsorgen solle, sollte es zu einem Kumulschaden kommen. Eine Pflicht hingegen würde, so Asmussen, dazu führen, dass die Kosten auf die Hausbesitzer ausgelagert werden würden.

Im Sommer haben sich der Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für eine Pflichtversicherung starkgemacht. Verfassungsrechtliche Bedenken, wie sie in der Vergangenheit immer wieder ins Feld geführt worden waren, wurden erst durch ein Gutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen und im Anschluss noch durch die Justizminister der Länder entkräftet.

BMJ: „Dann muss man in die Fläche gehen.“

„Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind ausgeräumt“, sagt auch Christian Meyer-Seitz, Leiter der Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht im Bundesministerium der Justiz (BMJ) auf einer GDV-Veranstaltung zur Frage „Wie schützen wir die Gesellschaft vor Naturgefahren?“. „Wir müssen die Versicherungsdichte erhöhen, da sind wir uns alle einig, jetzt geht es um den Weg dorthin.“ Derzeit arbeite das Bundesjustizministerium an einem Modell für eine flächendeckende Pflichtversicherung. Denn: Wenn es so ist, dass Naturgefahren zu einem Risiko für alle Hausbesitzer werden, müssen auch alle geschützt werden oder wie es Meyer-Seitz formuliert: „Dann muss man in die Fläche gehen.“

Dabei müsse geklärt werden, wie hoch der Selbstbehalt der Versicherungsnehmer dann ausfallen solle. Die mitunter hitzig geführte Debatte werde, so der Jurist, beeinflusst durch unterschiedliche Menschenbilder: Da sind die einen, die eine Pflicht als Freiheitsbeschränkung kritisieren; die glauben, dass dadurch präventive Maßnahmen in den Hintergrund rücken.

Dazu gehört auch Heinz Gressel, Mitglied des Vorstandes, LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster. Er habe die Sorge, dass die Vorsorge mit einer Versicherungspflicht abnehme. „Ich halte eine Elementarpflichtversicherung für schwer vorstellbar und umsetzbar“, so Gressel auf der Branchenveranstaltung der Versicherungswirtschaft. Gleichwohl übt er durchaus Kritik an den Versicherern selbst: Dass sich der Elementarschutz noch nicht gut genug verkaufe, liege auch an den Anbietern selbst. Interessant ist dabei, dass den Bestandskunden die Relevanz eines solchen Schutzes seltener bewusst sei, während Neukunden laut Gressel eher „Elementarschutz-affin“ seien. Über 70 Prozent von ihnen haben bei der LVM einen Schutz abgeschlossen. Im Vergleich zu etwa 50 Prozent bei den Bestandskunden.

Prävention steht Sorge nicht im Weg

Aber zurück zur Frage, ob eine Pflichtversicherung die Menschen davon abbringe, vorsorgend ihre Häuser zu schützen. Genau das glaubt eine, die es wissen muss, nämlich nicht: Cornelia Weigand, Landrätin Ahrtal, einem von der Hochwasserkatastrophe im Sommer vergangenen Jahres besonders betroffenen Gebiet. „Prävention kann man auch betreiben, wenn man versichert ist“, sagt sie und vergleicht die Situation mit dem Krankenversicherungsschutz: Wer privat versichert ist, hört schließlich auch nicht auf sich um seine Gesundheit zu kümmern.

Die Landrätin fordert, der Schutz dürfe nicht zum Russisch Roulette verkommen. Sie ist überzeugt, dass es neben besserem Schutz und stärkeren Regulierungen auch mehr Wissen innerhalb der Bevölkerung brauche. Das Problem sei, dass nach wie vor Menschen an Gewässern wohnen und weniger auf den Anhöhen. Gleichzeitig waren viele Häuser von dem Hochwasser betroffen, obwohl sie nicht im Überschwemmungsgebiet lagen. „Es muss einen konkreten Handwerkskasten geben, der für alle gilt“, sagt sie.

Hochwasserkarten: Ein deutschlandweiter Flickenteppich

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der durch den Umstand, dass jedes Bundesland für sich entscheiden kann, wie es mit dem Thema umgeht, zum Flickenteppich wird. Vor diesem Hintergrund wird derzeit darüber diskutiert, warum manche Bundesländer beziehungsweise Städte sogenannte Hochwasserkarten veröffentlichen (Köln) und andere wiederum nicht (Berlin). „Ich halte solche Karten für sinnvoll und wichtig“, erklärt Susanne Lottermoser, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und verspricht: „Wir werden die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen.“ Offenbar geht es bei der Veröffentlichung um Datenschützgründe, doch wie diese gelöst werden sollen, bleibt offen.

Auf der Suche nach einer sinnvollen Lösung, da sind sich Experten einig, sind zwei Punkte maßgeblich: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung und der Blick ins Ausland. „Man muss den Blick über die Grenzen hinaus richten“, sagt Stefan Schmidt, Mitglied des Bundestags (Bündnis 90 / Die Grünen). In Frankreich sei der Elementarschutz verpflichtend, in Großbritannien wird ein entsprechender Schutz als Komplettangebot offeriert.