BU-Gesundheitsfragen: Versicherer darf Antworten nicht uminterpretieren
Was Sie erfahren werden
Wie das OLG Hamm die Anforderungen an BU-Gesundheitsfragen konkretisiert
Warum pauschale Anfechtungen ohne fristgerechte Begründung scheitern
Welche Schlüsse Makler aus dem Urteil für die eigene Beratungspraxis ziehen sollten
BU-Antrag ausgefüllt, Fragen ehrlich beantwortet – und trotzdem später Ärger mit dem Versicherer wegen einer Bronchitis? In einem aktuellen Fall hat das OLG Hamm (Az. 20 U 33/21) einen Versicherer zur Zahlung von über 60.000 EUR sowie zur Beitragsbefreiung verurteilt. Besonders relevant für die Praxis laut Rechtsanwalt Tobias Strübing: Das Gericht setzt enge Maßstäbe an die Auslegung von Gesundheitsfragen sowie an die formelle Wirksamkeit von Rücktritt und Anfechtung durch den BU-Versicherer.
Im Mittelpunkt des Falles standen zwei Fragen im Antragsformular, die der Kläger jeweils mit „nein“ beantwortet hatte:
B4.2: „Sind Sie in den letzten 5 Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden hinsichtlich: Atmungsorgane (z. B. wiederholte oder chronische Bronchitis, Asthma)?”
B4.9: „… Wirbelsäule, Sehnen, Bänder, Muskeln, Knochen oder Gelenke (z. B. Rückenerkrankungen, Arthrose, Rheuma)?”
Der Versicherer warf dem Kläger vor, eine frühere Bronchitis sowie eine diagnostizierte Skoliose verschwiegen zu haben.
Doch das OLG stellte klar: Die Fragen sind eng am Wortlaut auszulegen. Eine einmalige akute Bronchitis ist nach dem eindeutigen Zusatz („wiederholte oder chronische“) nicht anzugeben. Ebenso sei eine bloße Erwähnung einer Skoliose in einem Röntgenbefund aus dem Jahr 2006 – also außerhalb des abgefragten 5-Jahres-Zeitraums – kein auskunftspflichtiges Ereignis, zumal keine Behandlung oder Beratung diesbezüglich stattgefunden habe.
Auch die falsch beantwortete Frage nach solchen Versicherungsanträgen, die der Kläger innerhalb der letzten 5 Jahre bei weiteren Berufsunfähigkeitsversicherungen gestellt hatte, blieb für diesen ohne rechtliche Konsequenz.
Anfechtungsfrist zu beachten
Zwar hatte der Kläger frühere Anträge auf Berufsunfähigkeitsversicherungen nicht vollständig angegeben, doch diese Umstände wurden erst im Prozess – also außerhalb der einjährigen Anfechtungsfrist (§ 124 BGB) – als Anfechtungsgrund nachgeschoben. Das OLG betonte, dass die Anfechtungsgründe bereits in der Erklärung selbst oder jedenfalls innerhalb der Frist von einem Jahr nach § 124 BGB benannt werden müssen. Ein pauschales Berufen auf alte Arztberichte reicht dafür nicht aus und das Berufen erst im Prozess war verfristet.
Gericht: Enge Auslegung der Fragen entscheidend
Das OLG Hamm entschied: Die Fragen seien am Wortlaut zu messen – und dieser lasse keine Auslegungsspielräume zu. Eine einmalige Bronchitis falle nicht unter die Frage, da ausdrücklich nur „wiederholte oder chronische“ Verläufe gemeint seien. Auch die Skoliose sei nicht anzugeben gewesen: Sie wurde 2006 festgestellt und lag damit außerhalb des abgefragten 5-Jahres-Zeitraums, zudem ohne ärztliche Beratung oder Behandlung.
Damit stellt das Gericht klar: Nur tatsächlich behandlungsrelevante Vorerkrankungen im abgefragten Zeitraum sind anzugeben und die bloße Existenz eines Alteintrags in der Akte genügt nicht – weder für Anzeigepflicht noch für Täuschungsabsicht.
„Das Urteil ist ein starkes Signal für Versicherungsnehmer“, so Rechtsanwalt Tobias Strübing. „Wer Gesundheitsfragen klar und im Wortlaut korrekt beantwortet, muss keine spätere nachträgliche Interpretation durch den Versicherer befürchten.“ Die Entscheidung zeigt außerdem: Rücktritt und Anfechtung sind nur dann wirksam, wenn sie gut begründet und innerhalb der gesetzlichen Fristen nachvollziehbar erklärt werden.