Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags

Wird die Schuldenbremse zum Hemmschuh für die Aktienrente?

Für die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse gelten nur wenige Ausnahmen. Eine davon heißt „selbstständiges Sondervermögen“ und genau darum soll es sich bei der Aktienrente handeln. Ein Gutachten, das procontra vorliegt, streut jedoch Zweifel daran.

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15:08 Uhr | 04. August | 2023
Christian Lindner

An Christian Lindners Generationenkapital, vormals Aktienrente genannt, regen sich Zweifel. Die Ergebnisse eines Gutachtens werfen die Frage auf, ob es mit der Verfassung vereinbar ist.

| Quelle: sean gallup

Ist das Konzept des Finanzministeriums zum Generationenkapital (vormals Aktienrente) verfassungsfeindlich? Zumindest wirft es nach derzeitigem Stand erhebliche finanzielle, beihilferechtliche und verfassungsrechtliche Fragen auf, wie der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, unlängst kritisierte.

Vor diesem Hintergrund hat Kurth, der auch im Arbeits- und Sozialausschuss sowie im Haushaltsausschuss sitzt, ein Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Auftrag gegeben. Angesichts der Ergebnisse könnte sich Grünenpolitiker nun bestätigt sehen.

Doch von Anfang an: Eine Frage im Gutachten, das procontra vorliegt, lautet: Darf der Bund als Rücklage für Dritte – wie etwa Sozialversicherungsträger – überhaupt ein Sondervermögen errichten? Schließlich gilt die Schuldenbremse als oberstes Prinzip. Unterwandert also das Generationenkapital die verordnete Pflicht zum Sparen beziehungsweise das Verbot weitere Schulden aufzunehmen? Für die Beantwortung muss erst einmal der etwas komplexe Begriff des Sondervermögens genauer definiert werden – und der hat es in sich.

Zur Erinnerung: Zehn Milliarden Euro Kapitalstock will das Bundesfinanzministerium als Kredit beim Bund aufnehmen. Das Geld soll eine Stiftung in Form eines selbstständigen Sondervermögens verwalten. Das ist deswegen wichtig, weil ein solches nicht von der Schuldenbremse erfasst wäre. Die Frage ist aber: Handelt es sich überhaupt um ein selbstständiges Sondervermögen?

Gretchenfrage: Wie hast du´ s mit dem Sondervermögen? 

Als rechtlich selbstständige Sondervermögen werden Sondervermögen des Bundes, die mit eigener Rechtsfähigkeit ausgestattet sind sowie selbstständige Träger, sei es in öffentlich-rechtlicher, sei es in privatrechtlicher Organisationsform verstanden. Doch dafür brauche es eine besondere Rechtfertigung. Es geht also darum, dass das Sondervermögen eine konkrete Sachaufgabe zu erfüllen hat. Und eine solche liegt nicht vor, wenn es überwiegend oder ausschließlich um finanzwirtschaftliche Funktionen geht.

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Genau daran entzündet sich Kurths Kritik. Denn: Die Aktienrente soll einzig und allein die Rentenversicherung stabilisieren. Ein Vorhaben, das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) offenbar auch in ihrem noch unveröffentlichten zweiten Rentenpaket verfolgen. Demnach soll die Haltelinie für das Rentenniveau von 48 Prozent dauerhaft gesichert werden, um die gesetzliche Rente auch für die heute junge Generation verlässlich zu gestalten, sagte eine Sprecherin des Arbeitsministeriums der „Rheinischen Post“ vor zwei Wochen. Mit dem „Aufbau eines ergänzenden Generationenkapitals“ soll die langfristige Beitragssatzentwicklung stabilisiert werden.

Doch damit würde die Aktienrente keine eigenen Sachaufgaben erfüllen, wenngleich durch die Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt worden ist, was darunter konkret zu verstehen ist. Dennoch schreiben die Gutachter: „Eine eigene Sachaufgabe dürfte jedoch zumindest dann vorliegen, wenn das jeweilige rechtlich selbstständige Sondervermögen nicht lediglich Finanzierungsaufgaben für den Bund wahrnimmt, sondern auch darüberhinausgehende Zwecke verfolgt.“ Damit würde aus dem selbstständigen ein unselbstständiges Sondervermögen werden – und wäre von der Schuldenbremse betroffen.

Schuldenbremse unter Beschuss

Und natürlich darf ein Sondervermögen nicht nur deswegen als solches aufgelegt werden, um die Schuldenbremse zu umgehen. Hier greift das sogenannte „Umgehungsverbot“, das einem Missbrauch vorbeugen soll. Weil das aber offensichtlich nicht ganz so wirksam zu sein scheint, erwägen die Autoren, „Kreditaufnahmen rechtlich selbstständiger Einheiten dem Bund zuzurechnen, wenn sie sich als Umgehung der verfassungsrechtlichen Vorgaben darstellen“. Das heißt im Klartext: Auch ein möglicher Kniff, das Sondervermögen als rechtlich selbstständiges Vermögen anzulegen, könnte es nicht vor der Schuldenbremse schützen.

Nun ließe sich einwenden, dass angesichts der Polykrisen ja vielleicht an der Schuldenbremse geschraubt werden könnte? Vielleicht mit einem Aussetzen der Sparmaßnahme für fünf Jahre, so wie es der regierende Bürgermeister Berlins Kai Wegner mit Zuspruch des Chefs des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft unlängst vorgeschlagen hat? Diese Idee lehnt der designierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann jedoch strikt ab. Demnach sei die Schuldenbremse „unverrückbar“, sagte er gegenüber der NZZ. Und auch Finanzminister Christian Lindner erklärte im Frühjahr, ein Aufweichen der Schuldenbremse werde es mit ihm nicht geben. Inwiefern er bei seiner Vehemenz bleibt, sollte sich die Schuldenbremse als Sargnagel der Aktienrente entpuppen, bleibt offen.

Aktienrente: Wettbewerbsnachteil für Anbieter

Jenseits der Sparmaßnahmen-Problematik gibt es aber noch ein anderes Problem mit dem Generationenkapital. So könnten dadurch andere Wettbewerber auf dem Markt benachteiligt werden, warnte kürzlich Thomas Weck von der Frankfurt School of Finance & Management gegenüber dem Handelsblatt. Für Anbieter von privaten Altersvorsorge-Produkten haftet der Staat nämlich nicht bei mauer Rendite oder Totalverlust. Das sieht bei dem BMF-„Produkt“ hingegen anders aus. Zumal die Stiftung den Kredit zu einem Zinssatz bekommen würde, der deutlich besser wäre als der im Markt übliche Satz.

Kurth ist nicht der erste, der die Idee des Generationenkapitals bemängelt. Die zehn Milliarden für den Kapitalstock wurden in der Vergangenheit bereits häufig als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnet. Noch dazu ist von der ursprünglichen Idee einer Aktienrente nach dem schwedischen Modell nichts mehr übriggeblieben. Schließlich würden Rentnerinnen und Rentner damit nicht etwa einen regelmäßigen zusätzlichen Geldbetrag überwiesen bekommen. Vielmehr soll das Geld, das Lindner am Kapitalmarkt anlegen will, lediglich zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente dienen. Und genau das könnte dem Konzept nun auf die Füße fallen.