CDU-Finanzexperte Carsten Brodesser

„Eine andere EU-Kommission kann das Provisionsverbot wieder anstreben“

Die Kleinanlegerstrategie erhitzt weiterhin die Gemüter, wobei Politiker und Interessenvertreter aus der Finanzbranche sich in einem Punkt einig sind. Vermittler würden an der derzeitigen Diskussion eine Mitschuld tragen, ist derweil ein Verbraucherschützer überzeugt.

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17:11 Uhr | 17. November | 2023
„Eine andere EU-Kommission das Provisionsverbot wieder anstreben“

Constantin Papaspyratos, Jochen Ruß, Moderator Marc Surminski, Carsten Brodesser, Stefan Schmidt und Norman Wirth diskutierten über die EU-Kleinanlegerstrategie.

| Quelle: Standard Life

Die Frage, ob die Europäische Union Versicherungsmaklern die Provision verbieten will, bleibt ein Dauerbrenner. „Die Kleinanlegerstrategie wird Kleinanleger nicht zur Anlage motivieren“, warnte CDU-Finanzexperte Carsten Brodesser im Rahmen einer Podiumsdiskussion am Donnerstag in Berlin. Er fürchtet zudem, dass zukünftige Beratungspflichten dazu führen, dass Kunden abgeschreckt werden angesichts der Masse der Unterlagen, die ihnen Berater mitgeben müssten. „Das ist ein Information-Overload, den der Kunde nicht will.“ Er glaubt, dass Kunden angesichts der großen Anzahl von Dokumenten, zu denen Berater dann aber verpflichtet wären, von einem Vertragsabschluss Abstand nehmen könnten.

Brodesser moniert, die EU-Kommission habe während ihrer Auseinandersetzung mit den Vergütungssystemen in der Versicherungsbranche die besondere Situation in Deutschland nicht auf dem Schirm gehabt, also das dreigliedrige System aus Versicherungsmakler, Exklusiv- und Mehrfachvertreter. Die einhellige Kritik der Versicherungs- und Finanzbranche: Die Pläne, die die EU-Kommission unter dem Namen „Retail Investment Strategy“ (RIS) im Mai veröffentlicht hat, haben bislang mehr zur Verwirrung geführt und Fragen aufgeworfen als Klarheit geschaffen. Das Problem: Im kommenden Jahr stehen Europawahlen an. „Wenn Detailfragen offengelassen werden, könnte eine andere EU-Kommission das Provisionsverbot wieder anstreben“, vermutet Brodesser.

Sein Politiker-Kollege, der Grünen-Finanzexperte Stefan Schmidt, sieht das ähnlich: „Es muss klarer formuliert werden, wann ein Makler unabhängig ist und wann nicht“, fordert er. Schmidt geht nicht davon aus, dass der Entwurf, so wie er aktuell vorliegt, vor der EU-Wahl verabschiedet wird. Das sieht Constantin Papaspyratos vom Bund der Versicherten (BdV) ähnlich. „Dieser Entwurf wird im Entwurfsstadium bleiben und wird nicht darüber hinaus gehen.“ Die nächste EU-Kommission werde weiter darüber beraten.

Das langfristige Ziel der Verbraucherschützer sei die Abschaffung der Provisionsberatung. „Wir möchten die Honorarberatung stärken“, so Papaspyratos. Er ist davon überzeugt, dass die Branche die Verantwortung dafür trage, dass das Thema überhaupt auf die Agenda der EU gerückt ist. „Vermittler haben die Frage, ob vergütet wird oder nicht, selbst provoziert, wenn sie auf ihrer Website damit werben, dass das Gespräch kostenlos ist“, glaubt er.

Künftige Zauberformel: „nicht unabhängig“?

Immer wieder wird darüber gestritten, ob die Kleinanlegerstrategie nun ein partielles Provisionsverbot beinhaltet oder nicht. Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand vom Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW), zeigt sich nach wie vor vorsichtig: „Wir wissen noch nicht, was da genau auf uns zukommt“, so Wirth. Dennoch sieht auch er „das große Provisionsverbot vom Tisch“.

In den vergangenen Monaten waren der AfW und der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) in einen Schlagabtausch verwickelt. Beide Verbände ließen unabhängig voneinander wissenschaftliche Gutachten erstellen, deren Fazit unterschiedlich ausgefallen ist. Während der eine die Möglichkeit eines teilweisen Provisionsverbots weiterhin nicht ausschließt (AfW), steht für den anderen fest, dass die provisionsabhängige Vergütung für Versicherungsmakler auch zukünftig Bestand haben wird.

Professor Christoph Brömmelmeyer von der Europa-Universität der Viadrina, der das Gutachten im Auftrag des BVK erstellt hat, geht davon aus, dass Makler lediglich angeben müssen, „dass die von ihm angebotene Beratung auf Provisionsbasis und deswegen „nicht unabhängig“ erfolgt“. Das würde bedeuten, dass Makler künftig gegenüber den Kunden erklären müssten, ob seine Beratung „unabhängig“ oder „nicht unabhängig“ erfolgt – je nachdem, ob es sich um eine Honorarberatung handelt, die dann als unabhängig gelten würde oder um eine Beratung auf Provisionsbasis (nicht unabhängig). Nichtsdestotrotz fordert der BVK von der EU-Kommission eine Klarstellung. Ein Ansinnen, dass er mit dem AfW teilt. „Wenn sich die Wissenschaftler schon nicht einig sind, dann muss es in der Kleinanlegerstrategie klarer dargestellt werden“, resümiert AfW-Vorstand Wirth.

Um den Entwurf zu verabschieden, müssen sich EU-Kommission, Europaparlament und Ministerrat in sogenannten Triloggesprächen einigen. Sobald die Einigung erzielt ist, haben die Mitgliedstaaten ein Jahr Zeit, die Beschlüsse in nationales Recht umzusetzen. Die Regelungen müssten dann innerhalb von sechs Monaten umgesetzt werden. Der BVK rechnet damit frühestens 2026.