Dank KI: So gelingt Versicherungsberatung über Sprachgrenzen hinweg
„Günaydin“ statt Guten Morgen, „dobranoc“ statt gute Nacht: Die Zahl der Haushalte hierzulande, in denen ausschließlich Deutsch gesprochen wird, geht zurück. Aktuelle Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt zeigen: In 77 Prozent der Haushalte wird ausschließlich Deutsch gesprochen. In den übrigen Haushalten wurde entweder mehrsprachig (17 Prozent) oder ausschließlich in einer anderen Sprache (6 Prozent) kommuniziert. Summa summarum ergibt das 15,6 Millionen Menschen, die sich vorwiegend oder hauptsächlich in einer anderen Sprache verständigen – die meisten davon übrigens in Türkisch (14 Prozent), Russisch (12 Prozent) und Arabisch (9 Prozent).
Deutschland ist ein Einwanderungsland, in dem mittlerweile rund 30 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. Diese Menschen stehen vor einer besonderen Herausforderung – vor allem, wenn ihre Deutschkenntnisse noch ausbaufähig sind. Doch auch sie benötigen Versicherungsschutz. Wie kann eine Beratung gelingen, wenn das sperrige Versicherungsdeutsch selbst viele Muttersprachler überfordert?
Enormes Potenzial
Aus Sicht der Versicherer aber auch Versicherungsmakler bieten Zugewanderte ein enormes Potenzial. Ein Potenzial, das zumindest einige Versicherer auch zu heben versuchen. „Viele unserer Agenturen sind mehrsprachig und mit einem entsprechenden Hintergrund fest in ihrer Community verbunden“, berichtet eine Allianz-Sprecherin auf procontra-Anfrage. Ihren kulturellen Hintergrund würden viele Vertreter auch nutzen, um sich vom Markt zu differenzieren und die wachsende Zielgruppe gezielt anzusprechen. „Wir stellen unseren Agenturen dafür Material zur Verfügung, beispielsweise Schaufensterdeko in Türkisch, Arabisch, Polnisch, Englisch, oder auch individuelle Plakate, die auf die gesprochenen Sprachen in der Agentur hinweisen“, erläutert die Sprecherin.
Zudem verweist sie auf AllianzGPT, das im September 2023 eingeführte KI-Tool des Münchener Versicherers, das nach eigenen Angaben auf mittlerweile mehr als 60.000 Nutzer innerhalb des Unternehmens kommt.
KI erleichtert den Zugang
Tatsächlich bietet Künstliche Intelligenz ein großes Potenzial, die Beratung fremdsprachiger Menschen zu erleichtern. Davon zeigt sich zumindest Simon Moser überzeugt. „Künstliche Intelligenz ist prädestiniert dafür“, erklärt der Chef des KI-Startups Muffintech gegenüber procontra. Schließlich sei generative KI ursprünglich als Weiterentwicklung von Übersetzungsprogrammen entwickelt worden. Ihr Vorteil gegenüber diesen: „Die KI übersetzt die Texte nicht wortwörtlich, sondern sie kontextualisiert und versucht, den Sachverhalt möglichst verständlich rüberzubringen.“
Dass sich auf diese Weise Kunden in anderen Sprachen als Deutsch beraten lassen, kann Moser aus eigener Erfahrung bejahen. Bevor sich das Unternehmen an die Entwicklung von KI-Lösungen für die Versicherungsbranche machte, war es selbst als Makler aktiv und vertrieb Versicherungen über WhatsApp. „Die Hälfte unserer Kunden bestand damals aus Expats“, erinnert sich Moser – also Menschen, die aus beruflichen Gründen nach Deutschland gezogen waren. Die Beratungen erfolgten folglich in Englisch, doch auch Beratungen in Spanisch oder Arabisch waren üblich, so Moser. „In unserem Team sprach aber von den Beratern keiner Arabisch.“ Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz gelang die Beratung dennoch. „Gerade für eine Beratung, die asynchron, also per Mail, WhatsApp etc., stattfindet, ist der Einsatz von KI perfekt“, ist Moser überzeugt. Schließlich kann es so gelingen, selbst komplexe Sachverhalte zu vermitteln – insbesondere in der Beratung essentieller Produkte wie einer Berufsunfähigkeitsversicherung oder einer PKV eine absolute Notwendigkeit.
Ermöglicht wird so eine Beratung nicht nur in Englisch, Französisch oder anderen Weltsprachen. „Der Einsatz von KI macht eine Beratung in jeder Sprache möglich“, sagt Moser, schränkt jedoch ein: „Sofern diese in einer relevanten Größenordnung im Internet vertreten ist.“ Dies sollte aber Landessprachen auch kleinerer Staaten wie Litauen oder Slowenien einschließen.
„Bekanntester polnisch sprechender Versicherungsmakler Deutschlands“
Sprachliche Barrieren lassen sich durch den Einsatz von KI also immer mehr abbauen. Bei kulturellen Hürden sieht es indes anders aus. Häufig fällt es Menschen leichter, Vertrauen zu jemandem aufzubauen, der über den gleichen kulturellen Hintergrund verfügt. Sei es aufgrund der gleichen Mentalität, sei es aufgrund der gleichen Erfahrungen. „Meine Herkunft hilft mir auf jeden Fall dabei, dass meine Kunden mehr Vertrauen zu mir aufbauen“, berichtetet Versicherungsmakler Andreas Niemiec.
1989 wanderte Andreas Niemiec mit seiner Familie aus Polen nach Deutschland ein, selbstbewusst bezeichnet er sich mittlerweile im Internet als den „bekanntesten polnisch sprechenden Versicherungsmakler Deutschlands“. Dass Andreas Niemiec Beratungen nicht nur in deutscher, sondern auch in polnischer Sprache anbietet, wird somit schnell für potenzielle Kunden ersichtlich. Ein Service, den diese gerne in Anspruch nehmen. „90 Prozent aller Beratungen finden mittlerweile auf Polnisch statt“, erzählt der Makler aus dem südlichen Nordrhein-Westfalen.
Für Andreas Niemiec ist die Beratung auf Polnisch zu seinem Markenzeichen geworden. Ein Markenzeichen, das sich in der polnischen Community herumgesprochen hat. „Viele polnische Firmen, darunter viele Handwerker, kommen mittlerweile gezielt auf uns zu“, so Niemiec. Seit gut 30 Jahren berät er mittlerweile Kunden – ein Umstand, der natürlich auf die eigene Bekanntheit einzahlt.
Die Nachfrage nach einer Versicherungsberatung auf Polnisch ist groß. Mittlerweile beschäftigt Andreas Niemiec 13 weitere Angestellte, die ebenfalls als auf Polnisch beraten.
Für Makler mit Migrationshintergrund oder guten Fremdsprachenkenntnissen stehen die Chancen gut, mit entsprechenden Angeboten eine hilfesuchende Zielgruppe zu erreichen. Eine Chance, die sich mittels Künstlicher Intelligenz jedoch mehr und mehr allen anderen Maklern bietet. „Viele Makler haben das hier schlummernde Potenzial noch nicht erkannt“, ist sich Moser sicher.
Long Story short
In Deutschland sprechen immer mehr Menschen zu Hause andere Sprachen als Deutsch, was insbesondere für die Versicherungsbranche neue Herausforderungen und Chancen schafft. Versicherer und Makler setzen zunehmend auf Mehrsprachigkeit und Künstliche Intelligenz, um sprachliche Barrieren.

