„Von nachhaltigem BU-Pricing ist nichts zu spüren“
Die Versicherer werden nicht müde, die Wichtigkeit der Arbeitskraftabsicherung (AKS) zu betonen. Speziell die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) nennen viele in einem Atemzug mit der Privathaftpflichtversicherung als wichtigste Police. Die Nürnberger Versicherung beispielsweise hat sich ein ganzes Beratungskonzept rund um die BU aufgebaut und strebt in diesem „Einkommensschutz“-Bereich über kurz oder lang die Marktführerschaft an.
Doch dafür braucht es Kontinuität und die gelingt, neben guten Leistungen, durch stabile Beiträge. Hier aber sieht Michael Franke, Geschäftsführer der Ratingagentur Franke und Bornberg GmbH, weiterhin deutliche Missstände in der Branche: „Die Analyse der Prämiengestaltung mit Stand des Jahres 2023 zeigt, dass im Markt weiterhin sehr aggressiv kalkuliert wird.“ Zehn verschiedene Berufe hat sein Unternehmen für das aktuelle BU-Stabilitätsrating in Rennen geschickt. Dabei seien die jeweiligen Durchschnittsprämien von einigen Anbietern um 30, teilweise sogar um 40 Prozent unterschritten worden. Bereits im Vorjahr hatte Franke gegenüber procontra solche Missstände angeprangert und auf die dadurch entstehenden konkreten negativen Folgen sowie Risiken hingewiesen.
Riskantes Rosinenpicken
Auch ein Jahr später sieht er bei der Anzahl der Berufsgruppen in der BU das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Spezialisierte BU-Makler wie Tobias Bierl kritisieren, dass eine immer detailliertere Ausdifferenzierung der zu versichernden Berufsbilder den BU-Schutz für Handwerker und andere körperlich Tätige unbezahlbar macht. Am anderen Ende des Spektrums kämpfen die BU-Anbieter mit den besagten Niedrigprämien um die vermeintlich „guten Risiken“ aus den Büro-Jobs und allgemein im Akademiker-Bereich. Doch gerade dieses Vorgehen hält Franke für problematisch: „Fraglich ist, ob diese Rechnung langfristig aufgehen kann. Denn diese Berufe sind von dem Anstieg psychischer Gesundheitsprobleme besonders betroffen.“
Bewahrheitet sich Frankes Vorsehung, drohen Beitragserhöhungen. Denn im Falle von zu knapp kalkulierten Beiträgen müssen die Überschussanteile – also die eingerechneten Beitragsentlastungen aus einem günstigen Leistungsverlauf – gesenkt werden. Je nach vereinbartem Überschusssystem bedeutet das für die Kunden steigende Beiträge oder sinkende Leistungen. Ein besonderes Negativbeispiel hierfür ist die WWK mit ihren heftigen Erhöhungen der Zahlbeiträge in den Jahren 2015 und 2017.
Die stabilen 10
Als besonders beitragsstabil sieht man bei Franke und Bornberg aktuell die folgenden zehn BU-Versicherer, die allesamt einen Stabilitätsindex von über 85 Prozent erreicht haben (insgesamt wurden 60 Lebensversicherer untersucht):
LV 1871 (89,7 Prozent)
Europa (89,2)
Nürnberger (88,7)
Generali (88,1)
Volkswohl Bund (88,0)
Allianz und Ergo Vorsorge Leben (beide 87,6)
Provinzial (87,2)
Continentale (85,5)
Die Bayerische (85,1)
Weitere Informationen zum aktuellen BU-Stabilitätsrating von Franke und Bornberg gibt es hier.
Verwirrender Brutto-Netto-Spread
Eine Kennzahl, auf die man bei der Auswahl des BU-Anbieters in puncto Beitragsstabilität achten kann, ist der Brutto-Netto-Spread. Er beschreibt in Prozent den Abstand zwischen dem kalkulierten Bruttobeitrag und dem tatsächlichen Zahlbeitrag. Je weiter diese beiden auseinanderliegen, desto größer ist zumindest das Potenzial für Beitragssteigerungen.
Das Risiko beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit für Beitragserhöhungen lässt sich vom Brutto-Netto-Spread allein aber nicht ablesen. Aktuell liegt er, laut Franke und Bornberg, im Marktdurchschnitt bei 31,8 Prozent. Mit der Continentale (40,7 Prozent) und der Europa (40,0 Prozent) weisen aber gleich zwei der laut Rating besonders beitragsstabilen BU-Versicherer deutlich höhere Spreads auf. Auch einige andere Top-Anbieter haben einen größeren Spread als der Durchschnitt: Die Bayerische (37,0 Prozent), Nürnberger (35,9 Prozent) und der Volkswohl Bund (35,0 Prozent).
In den vergangenen Jahren habe es Beitragsanpassungen bei diversen Gesellschaften gegeben, betont Franke. In der Öffentlichkeit werde dieses Thema sehr sensibel verfolgt. „Insofern wäre davon auszugehen, dass sich der Preiswettbewerb in der derzeitigen Form nicht weiterentwickelt und die Gesellschaften verstärkt auf Nachhaltigkeit setzen. Davon ist bisher jedoch nichts zu spüren“, kritisiert der Chef der Ratingagentur. Ein Ende des aggressiven Pricings sei zudem nicht in Sicht. Denn die allgemein stark gestiegenen Preise würden den Menschen oft wenig Spielraum lassen bei der Auswahl der so wichtigen AKS. Insofern befürchtet Franke, dass zumindest mittelfristig weiterhin nicht die tatsächliche Beitragsstabilität der Unternehmen über die Vertragsabschlüsse entscheiden werden, sondern erkämpfte Preisunterschiede von wenigen Euro.