Die Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) aus Kassel musste als erste deutsche Pflegekasse im Frühjahr dieses Jahres beim zuständigen Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) einen Antrag auf Finanzhilfe stellen. Dabei soll es um einen Fehlbetrag von 8,5 Millionen Euro gegangen sein.
Liquiditätshilfe läuft weiter
Wie procontra nun erfuhr, hängt die SVLFG immer noch am BAS-Tropf. Zum Hintergrund: Die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung wird über den BAS-Ausgleichsfonds organisiert. Pflegekassen, deren Einnahmen die Ausgaben übersteigen, führen ihre Einnahmeüberschüsse an den Ausgleichsfonds ab. Dieser stellt Mittel für alle Pflegekassen mit Ausgabenüberschüssen bereit.
Trotz abgesenkter Deckungsquote war die SVLFG offenbar nicht mehr in der Lage, ihre Ausgaben zu stemmen und musste deshalb Anfang des Jahres Liquiditätshilfe beantragen. Diese wird nun seit Ende Februar als Abschlagszahlung im Vorgriff auf die reguläre Auszahlung aus dem Ausgleichsfonds an die SVLFG gezahlt. Das Verfahren, so war zu erfahren, soll mindestens bis einschließlich Januar 2026 fortgesetzt werden.
Geht bald die erste Pflegekasse pleite?
Anträge auf Hilfe anderer Kassen sollen beim BAS derzeit nicht vorliegen. „Dennoch bleibt die finanzielle Situation angespannt“, teilt die Behörde gegenüber procontra mit. Der Bund will den Fonds und damit die soziale Pflegeversicherung (SPV) jetzt mit Darlehen in Milliardenhöhe stabilisieren. So hat sich die Koalition darauf verständigt, der SPV im Jahr 2026 neben dem bereits zugesicherten Darlehen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ein weiteres in Höhe von 1,7 Milliarden Euro zu gewähren. Doch reicht das? Oder erleben wir bald womöglich, dass die erste Pflegekasse in Deutschland pleitegeht?
Laut BAS ist die isolierte Schließung einer Pflegekasse rechtlich nur möglich, wenn die mit ihr verbundene Krankenkasse Insolvenz anmelden muss. „Sollte eine Krankenkasse Insolvenz anmelden oder leistungsunfähig werden, würde auch die mit ihr verbundene Pflegekasse schließen, da sie über die sogenannte Organleihe mit der Krankenkasse verbunden ist“, erklärt ein BAS-Sprecher. Ein Szenario, das nicht gänzlich unwahrscheinliche erscheint.
SPV-Beiträge bleiben 2026 stabil
Mit der Aufstockung des Darlehens will die Politik auch eine kurzfristige Beitragserhöhung in der sozialen Pflegeversicherung vermeiden. Tatsächlich bleibt der Beitragssatz 2026 vorerst stabil bei 3,6 Prozent; für Menschen ohne Kinder fällt zusätzlich ein Zuschlag in Höhe von 0,6 Prozent an.
Aus Sicht der Krankenkassen kann die Ausweitung der Kreditlinie jedoch nur eine Übergangslösung sein. Es sei zwar gut, dass Versicherte und Arbeitgeber nun vor neuen Beitragssatzsteigerungen bewahrt würden, an einer grundsätzlichen Reform der Pflege führe aber kein Weg vorbei, meint etwa Boris von Maydell, Vertreter des Vorstandes des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek). „Wir fordern daher, die Darlehen in verbindliche Zahlungen zur Abdeckung bzw. Abgeltung der von der SPV finanzierten versicherungsfremden Leistungen – zum Beispiel Beiträge für pflegende Angehörige für die Renten- und Unfallversicherung – umzuwandeln“, so von Maydell. Zudem fehlten der SPV noch mehr als 5,5 Milliarden Euro aus der Corona-Pandemie.
Heimbewohner zahlen immer mehr
Wie sehr das System unter Druck steht, zeigt auch eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Danach zahlen Heimbewohner in der stationären Pflege einen immer höheren Eigenanteil für Pflege, Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten. Im Bundesdurchschnitt liegt dieser im ersten Jahr ihres Aufenthalts monatlich bereits bei 2.948 Euro. Am niedrigsten ist die durchschnittliche Eigenbeteiligung in Sachsen-Anhalt (2.456 Euro), am höchsten in Nordrhein-Westfalen (3.314 Euro).
Massiver Anstieg bei Zahl der Pflegebedürftigen
Laut dem aktuellen Barmer-Pflegereport 2025 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen den Jahren 2015 und 2023 von 3,0 auf 5,7 Millionen erhöht, also nahezu verdoppelt. Allerdings lässt sich dieser Anstieg dem Report zufolge nur zu 15 Prozent auf die älter werdende Gesellschaft zurückführen. Haupttreiber der Entwicklung sei vielmehr die Leistungsausweitung durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017. „Durch die leichtere Inanspruchnahme von Pflegeleistungen wurden immer mehr Menschen als pflegebedürftig anerkannt und haben frühzeitig Unterstützung erhalten“, sagt Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen.
Brisant ist diese Erkenntnis vor allem vor dem Hintergrund, dass die von der Gesundheitsministerkonferenz im Juli einberufene Bund-Länder-Arbeitsgruppe noch in diesem Jahr Eckpunkte einer großen Pflegereform vorlegen soll. Im „Zukunftspakt Pflege“ dürfen allerdings keine Vorschläge mit Mehrausgaben unterbreitet werden, soweit diese nicht unmittelbar auf die demografische Entwicklung zurückzuführen sind.
Long Story short
Die Pflegekasse SVLFG ist weiterhin finanziell angeschlagen und erhält mindestens noch bis Januar 2026 Abschlagszahlungen aus dem BAS-Ausgleichsfonds.
Der Bund stabilisiert die soziale Pflegeversicherung mit zusätzlichen Milliardenkrediten, doch Krankenkassen sehen darin nur eine kurzfristige Notlösung und fordern eine strukturelle Reform.
Die Belastung im Pflegesystem steigt drastisch: Eigenanteile der Pflegebedürftigen wachsen, Fallzahlen explodieren – und Reformvorschläge dürfen keine zusätzlichen Ausgaben erzeugen.
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