Schulden explodieren - was bedeutet das für Staatsanleihen?
procontra:
Zahlreiche Industrieländer sind hochverschuldet. Schuldenpolitik mithilfe von Geld aus der Notenbankpresse geht im Grunde nur so lange auf, wie Staatsanleihen eine positive Realverzinsung bieten. Mittlerweile seien real allerdings keine positiven Renditen mehr zu erwarten, sondern nach Abzug von Inflation, Steuern und Abgaben dauerhafte Verluste, betonen einige Profianleger. Wie ist Ihre Einschätzung?

Tilmann Galler:
Diese Einschätzung haben wir vor einigen Jahren noch geteilt. Aber nach dem Katastrophenjahr für Anleihen 2022 hat sich die Einschätzung deutlich gedreht. Anleihen, so auch Staatsanleihen, trauen wir zu, dass sie nicht nur der Inflation standhalten können, sondern in der Lage sein sollten, mittel- bis langfristig leicht positive Realerträge zu erwirtschaften. Aus unserer Sicht sind Anleihen als Option für Anleger wieder zurück, als Investment und als wichtiges Instrument für die Portfoliokonstruktion und -stabilisierung.
procontra:
Bedeutet das, die teilweise immense und weiter steigende Verschuldung von Industrieländern wie Frankreich, Italien, den USA ist weniger das Thema?

Galler:
Es ist natürlich ein Thema, das sich auf das Renditeniveau der Staatsanleihen niederschlägt. Sehr wichtig ist aber immer die Frage, was im Markt eingepreist ist und über was der Markt sich noch nicht so ganz bewusst ist. Bei den USA beispielsweise liegen die Renditen der 10-jährigen Treasuries aktuell bei 4,3 Prozent – und das bei einer Wirtschaft, die im Vergleich zum vergangenen Jahr an Fahrt verliert. Unserer Meinung nach werden die US-Wachstumsrisiken angesichts der Zollpolitik noch etwas größer, gleichzeitig ist die Inflation in der Nähe des Zentralbankziels. In einem solchen Umfeld könnte das Renditeniveau sehr viel niedriger sein. Das ist es aber nicht. Das ist ein Hinweis darauf, dass schon einiges aus der schwächer werdenden US-Bonität eingepreist ist. Für uns ist das daher kein Punkt zu vermuten, dass US-Treasuries auf dem jetzigen Niveau unattraktiv sind.
procontra:
Welche Rolle spielen für Sie mittel- und langfristige Staatsanleihen von Industriestaaten in einem Portfolio für Privatanleger?

Galler:
Ich glaube, dass es zum Anteil von Anleihen in einem Portfolio ein Umdenken geben muss. Vor zehn Jahren hatten Anleger das Privileg, dass Anleihen und Aktien weitgehend negativ korreliert waren. Man hat sehr gute Diversifikationseffekte durch Anleihen in einem Portfolio bekommen. Für die Zukunft sehen wir allerdings ein inflationäreres Bild als wir damals hatten. Da die Staaten ausgabenfreudiger geworden sind – der letzte Staat, der die Ausgabenfreude entdeckt hat, ist Deutschland – sind Risiken aus Inflationsschocks und inflationärer Entwicklung ein Thema, das sich im Portfolio widerspiegeln muss. Von daher muss man umdenken und sehen, dass man auch von anderer Seite Inflationsschutz in das Portfolio bekommt. Das heißt aber nicht, dass es nicht wieder Phasen von wirtschaftlicher Schwäche und Rezession gibt, in denen Zinsen eher sinken. In einem solchen Umfeld können Anleihen und damit auch Staatsanleihen positive Renditen liefern.

Galler:
Wenn wir allein die vergangenen drei Rezessionen betrachten, gab es bei den 10-jährigen Bundesanleihen im Schnitt einen Renditerückgang von mehr als 2 Prozent und bei den US-Treasuries von knapp 1,5 Prozent. Dann hat man bei dem aktuellen Renditeniveau einen Kursgewinn zwischen 10 und 20 Prozent. Aber wir müssen uns auch mit Phasen auseinandersetzen, in denen es Inflationsschocks geben kann. Staatsanleihen sind dann weniger geeignet.

Galler:
Bei deutlich steigender Inflation ziehen die Zentralbanken geldpolitisch die Zügel an. Das führt zu Zinssteigerungen und das wiederum zu einem Renditeanstieg. Wenn die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen vom jetzigen Niveau zum Beispiel um ein halbes Prozent ansteigen, rutschen Anleger in die Verlustzone. Das wäre das Szenario, wenn es inflationärer wird und die Zentralbanken die Preisstabilität durch eine restriktivere Geldpolitik wiederherstellen müssen.
procontra:
Staatsanleihen von Industrieländern mit guter Bonität gelten traditionell als sicherer Hafen, als konservatives Investment. Wenn unter dem Strich mittel- und langfristig teils aber selbst Kapitalerhalt nicht mehr gewährleistet ist, wäre ist es nicht angezeigt, dies zu überdenken?

Galler:
Bei Industrieländern, auch bei jenen mit hoher Bonität, sehen wir keinen Grund zu der Annahme, dass es zu erheblichen Ausfallrisiken kommt. Auch bei dem jetzigen Renditeniveau ist es weiterhin berechtigt, Staatsanleihen als sicheres Investment zu sehen, zumindest aus nominaler Sicht. Wie weit die Schuldenspirale gedreht werden kann, ohne dass auf der festverzinslichen Seite Dramatisches passiert, kann man am Beispiel Japans sehen. Dort ist die Verschuldung erheblich höher als bei uns und in den USA. Trotzdem haben wir immer noch ein Renditeniveau von 1,5 Prozent bei den 10-jährigen japanischen Staatsanleihen. Natürlich ist die wachsende Verschuldung von Staaten ein ungesunder Trend. Aber es ist nicht etwas, was in der näheren Zukunft zu einem Punkt der Eskalation und einer Schuldenkrise führt. Es ist mehr ein schleichender Prozess.
procontra:
Wenn eine Staatsanleihe nominal aufgeht, ist natürlich die Frage, was ein Privatanleger davon hat, wenn er real Verluste macht.

Galler:
Auf der einen Seite sind wir der Meinung, dass man nach unseren Ansätzen, bei denen wir mit einer etwas höheren Inflation rechnen als in den vergangenen zehn Jahren, immer noch positive reale Renditen erwarten kann. Das ist zurzeit auch der Fall. In den USA etwa rentieren 10-jährige Treasuries wie erwähnt mit 4,3 Prozent, die US-Inflation liegt bei 2,7 Prozent. Dennoch, was kann man als Privatanleger noch zur Absicherung tun? Da sind wir beim Punkt Inflationsschutz. Wenn die Inflation doch nicht so im Griff ist, wie jeder es sich erhofft, heißt das nichts anderes, als dass man sich Gedanken darüber machen sollte, mehr reale Vermögenswerte in das Portfolio zu nehmen. Im Bereich von alternativen Anlagen, die zum Beispiel in Infrastruktur, Transport, Private Equity investieren, haben wir in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gesehen. Mit dem Vehikel des ELTIFs ist es jetzt möglich, auch mit kleineren Volumina in diesen Bereich zu investieren. Dies bietet unserer Ansicht nach einen größeren Inflationsschutz als Staatsanleihen.
procontra:
Falls einige Staatsanleihen von Industrienationen guter Bonität aus Renditegesichtspunkten nun doch zu unattraktiv werden sollten: Was könnten Manager von Publikumsfonds einsetzen, um das Risiko zu minimieren?

Galler:
In näherer Zukunft stellt sich für uns dieser Fall nicht. Man sieht, dass in Frankreich und in Spanien oder auch in Italien die fiskalische Situation etwas kritischer ist. Deshalb haben die Papiere auch einen Renditeaufschlag gegenüber Bundesanleihen. Wenn man allein das Rating betrachtet, sind wir in Frankreich zum Beispiel bei einem AA-. Das ist immer noch ein Rating sehr hoher Bonität, auch wenn sich einige Schwierigkeiten auf der fiskalischen Seite abzeichnen. Das bedeutet, mittel- bis langfristig ist keine massive Erosion zu erwarten. Das mag in einigen Ländern der Emerging Markets problematischer sein, die im Hochzinsbereich liegen, also ein deutlich schwächeres Rating haben. Wenn wir aber in die Eurozone schauen, gerade mit den Unterstützungsmechanismen und Schutzmechanismen von EU-Seite und EZB-Seite her, ist das Risiko zurzeit relativ gering.
procontra:
Was würden Sie zum Thema Staatsanleihen von Industrienationen mit hohen Schuldenquoten im Privatanlegerbereich noch ergänzen?

Galler:
Eine mögliche Investition ist einerseits immer eine Frage des Preises. Was ist die Rendite, die bei Staatsanleihen von Industrieländern mit hohen Schuldenquoten für das höhere Risiko geboten wird? Wenn die Rendite attraktiv gepreist ist im Vergleich zum inhärenten Risiko, kann das ein attraktives Investment sein. Auf der anderen Seite muss man sich bewusst sein, dass Staatsanleihen an sich relativ niedrige Renditen aufweisen – weil es eben mit das sicherste Investment im festverzinslichen Bereich betrifft. Als Privatanleger legt man sich damit aber womöglich auf einen Bereich fest, ohne andere Segmente mit ähnlich niedrigem Risiko – vielleicht nicht ganz so niedrig wie bei Staatsanleihen – zu nutzen, um etwas mehr Rendite zu bekommen. Ob es nun Agency Bonds sind, also Agenturanleihen, die von autorisierten Finanzinstituten der US-Regierung ausgestellt werden, Anleihen von supranationalen Unternehmen, hypothekenbesicherte Anleihen oder teilweise auch Unternehmensanleihen mit sehr hoher Bonität. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten ist es sicherlich ratsam zu überlegen, ob man nicht in Fonds oder ETFs investiert, die nicht nur in Staatsanleihen, sondern auch in andere Segmente des Anleihenmarktes hoher Bonität investieren, mit denen man etwas mehr Rendite erzielen kann.
