Sven Gábor Jánszky im Interview

Zukunftsforscher gibt BaFin recht: Quantencomputer bedrohen Versicherer

Die BaFin warnt Versicherer: Quantencomputing könnte schon bald klassische Verschlüsselungsverfahren aushebeln und ganze Geschäftsmodelle umkrempeln. procontra sprach mit Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky über Risiken, Handlungsbedarf und Chancen.

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11:11 Uhr | 03. November | 2025
Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky

Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky

| Quelle: 2b AHEAD

procontra: Herr Janszky, die BaFin hat jüngst vor den Risiken durch Quantencomputer gewarnt. Ist diese Sorge berechtigt?

Jánszky: Absolut. Wenn man sich nicht darauf vorbereitet, besteht tatsächlich eine erhebliche Gefahr. Wir beobachten die Quantentechnologie schon seit vielen Jahren – 2017 haben wir dazu unsere erste große Studie veröffentlicht, und inzwischen sind wir sogar an einem Quantencomputer-Unternehmen beteiligt.

Die Entwicklung verläuft rasant: Wirklich relevante Quantencomputer, also solche, die komplexe Berechnungen durchführen können, erwarten wir etwa bis 2028. Und nach 2030 dürften Geräte mit über einer Million verschränkter Qubits verfügbar sein – das sind Systeme, die Berechnungen durchführen können, die heute schlicht unmöglich sind.

procontra: Das klingt nach einer realen Bedrohung für IT-Sicherheit und Datenschutz.

Jánszky: Ja, insbesondere für klassische Verschlüsselungsverfahren. Schon die mittleren Modelle werden in der Lage sein, herkömmliche Codes in sehr kurzer Zeit zu knacken, etwas, wofür heutige Computer Jahrtausende bräuchten. Das ist natürlich ein Albtraum für jede Organisation, die mit sensiblen Daten arbeitet – also gerade für Versicherer.

procontra: Bedeutet das, dass Versicherungen jetzt handeln müssen?

Jánszky: Unbedingt. Wir Zukunftsforscher warnen seit rund zehn Jahren davor. Das Risiko ist groß, wenn man nichts tut. Beschäftigt man sich aber rechtzeitig mit der Technologie, ist es beherrschbar. Denn Quantencomputer ermöglichen nicht nur Entschlüsselung, sondern auch neue, quantensichere Verschlüsselungsverfahren.

procontra: Haben die Versicherer das Thema schon auf dem Schirm?

Jánszky: Nur zum Teil, würde ich sagen. Viele IT-Vorstände haben Quantencomputer lange als Science-Fiction abgetan. Sie konzentrieren sich darauf, ihre Bestandssysteme zu pflegen – was verständlich, aber kurzsichtig ist. Ich kenne bislang keine Versicherung, die eine echte „Quantenstrategie“ hat. Doch der Druck wächst: Je stärker Quantenunternehmen in den Fokus geraten, desto mehr beginnt auch die Branche, sich zu bewegen.

procontra: Wie viel Zeit bleibt den Unternehmen noch, um sich vorzubereiten?

Jánszky: Nicht mehr viel. Drei Jahre Vorbereitungszeit sind realistisch, wenn man Systeme auf quantensicheren Stand bringen will. Der Aufwand hängt natürlich vom Alter und der Komplexität der IT-Systeme ab, aber über Nacht geht so eine Umstellung nicht. Deshalb sagen wir: Die Ampel steht auf Gelb, und bevor sie auf Rot springt, sollte man losfahren.

procontra: Kommen wir mal weg von den Risiken: Welche Chancen eröffnet Quantencomputing für Versicherungen?

Jánszky: Ganz wesentliche. Quantencomputer sind unschlagbar in der Simulation und Prognose komplexer Zusammenhänge. Sie können Millionen Szenarien gleichzeitig berechnen – etwa Wetterentwicklungen, Klimarisiken oder Schadenhäufigkeiten. Damit lassen sich Risiken wie zum Beispiel Unwetter oder Dürreperioden präziser vorhersagen und vorbeugende Maßnahmen treffen.

Für Versicherer bedeutet das: Sie werden sich vom Schadenregulierer zum Schadenverhinderer entwickeln, zukünftig also nicht mehr nur für das Regulieren, sondern für das Verhindern von Schäden bezahlt. Prävention wird so zum zentralen Geschäftsmodell.

procontra: Und was passiert, wenn Künstliche Intelligenz (KI) und Quantencomputing zusammenkommen?

Jánszky: Dann wird es wirklich spannend. Aktuell haben KI und Quantencomputer noch wenig miteinander zu tun – KI ist Software, Quantencomputing ist Hardware. Doch künftig wird Quantencomputing KI mit „Zukunftsdaten“ versorgen.

Heute arbeitet KI vor allem mit Daten aus der Vergangenheit; sie ist gut im Erkennen von Mustern, aber schwach in Prognosen. Wenn Quantencomputer nun Simulationen der Zukunft liefern, hebt das die gesamte KI-Technologie auf ein neues Niveau. Das wird ein sehr spürbarer Unterschied zu der KI, die wir heute benutzen.

Jedes Versicherungsunternehmen braucht jetzt eine Quantenstrategie
Sven Gábor Jánszky

Zukunftsforscher

procontra: Könnte das sogar zu autonomen, KI-gesteuerten Versicherern führen?

Jánszky: Grundsätzlich ja. Alle Prozesse einer Versicherung lassen sich theoretisch durch KI abbilden – von der Mathematik über Risikomodelle bis hin zur Kundenbetreuung. Das passiert nicht morgen, aber mittelfristig ist das realistisch.

procontra: Wenn Sie einen Appell an die Branche richten könnten, wie würde der lauten?

Jánszky: Jedes Versicherungsunternehmen braucht jetzt eine Quantenstrategie. Wer keine eigene formulieren will, sollte das Thema zumindest in die IT- oder Digitalstrategie integrieren. Es geht nicht darum, dass Vorstände Quantenphysiker werden – aber sie müssen verstehen, was kommt, und Verantwortung übernehmen. Spätestens jetzt ist es fahrlässig, das Thema zu ignorieren. Wir sehen heute schon, wie Kriminelle Daten stehlen, um sie später mit Quantencomputern zu entschlüsseln. Das zeigt, wie dringend Handlungsbedarf besteht.

procontra: Ist es also tatsächlich schon „fünf vor zwölf“?

Jánszky: Vielleicht eher „zehn vor zwölf“. Noch ist Zeit, aber nicht mehr viel. Die BaFin-Warnung kommt genau richtig – vielleicht sogar etwas spät.

procontra: Ihr Fazit in einem Satz?

Jánszky: Quantencomputing wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einer der zentralen Technologien der Versicherungsbranche – wer sich jetzt vorbereitet, wird profitieren, wer wartet, riskiert seine Datensicherheit und sein Geschäftsmodell.

Zur Person

Sven Gábor Jánszky gehört zu den bekanntesten und gefragtesten Zukunftsforschern Deutschlands. Er ist unter anderem Chairman und Geschäftsführer von 2b AHEAD, des größten unabhängigen Zukunftsforschungsinstituts Europas. Jánszkys neuestes Buch trägt den Titel „2030: Wie viel Mensch verträgt die Zukunft?"