Digitalisierung

IT-Mängel zwingen Versicherer in den Run-Off

Viele Versicherer unterschätzen anscheinend die Kosten für die Modernisierung der Systeme. Inzwischen alarmieren die immer älter werdenden IT-Systeme auch die Bafin. Wird die Uralt-IT zum neuen Treiber für das Run-Off-Geschäft?

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21:02 Uhr | 22. Februar | 2024

Wer über Run-Off-Auslöser spricht, hat in der Vergangenheit über Niedrigzinsen, stille Lasten und hochverzinste Lebensversicherungsbestände gesprochen. Auf der „SZ-Konferenz Run-Off 2024“ tauchte im Schlepptau der Diskussionsrunden ein Problem auf, dass scheinbar auch in den Vorstandsetagen der Versicherer bislang nicht die Relevanz hat, die es haben sollte. Die Digitalisierung, eine in die Jahre gekommene IT, das Heranstürmen der künstlichen Intelligenz und die damit einhergehenden Kosten, die IT auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Das Problem hat inzwischen auch die Bafin auf den Plan gerufen.

 Größte Herausforderung der Zukunft

„Ich glaube schon, dass die IT die größte Herausforderung für die Branche in der Zukunft ist“, sagt Frank Wittholt, Head of Sales and Marketing bei der Adesso-Tochter Afida. Wittholt, weiß, wovon er spricht. Als ehemaliger Ergo-Vorstand kennt er die IT-Probleme und technischen Herausforderungen, mit denen sich ein Lebensversicherer konfrontiert sieht. „Heute ist die IT die größte Herausforderung. Und ich glaube, dass in der Praxis die IT inzwischen die Versicherer steuert“, so Wittholt.

Seit 2012 seien 16 Versicherer in den Run-Off gegangen. Wittholt erwartet, dass man einen IT-getriebenen Run-Off künftig des Öfteren sehen werde. „Denn ohne IT funktioniert am Ende des Tages gar nichts. Und die alten IT-Systeme haben irgendwann das Ende des Life-Cycles erreicht“, sagt er.

Auch Matthias Ott, Vorstandsvorsitzender der HBA Consulting, ist überzeugt, dass die Effizienz der Systeme abnehmen wird. Im Moment liege der Fokus bei der Digitalisierung insbesondere im Blick auf dem Kunden. „Wir werden uns künftig sehr stark damit beschäftigen, die Digitalisierung nach innen herstellen zu müssen. Das betrifft die IT-Systeme, und zwar alle“, mahnt Ott.

Management-Versagen oder nicht?

Doch war es grobes Management-Versagen, dass die Branche in den vergangenen 20 Jahren in der IT so schlecht aufgestellt ist, wie Herbert Fromme, Moderator der SZ-Fachkonferenz „Run Off 2024“ es zugespitzt formulierte? Vor dem Hintergrund einer sich nur marginal verändernden Zins- und Tarifwelt und eines extrem stabilen Geschäftsmodells hätten viele Versicherer kaum den Zwang zu größeren Investitionen verspürt, betonte Milenko Radic, Vorstandmitglied bei Msg Life.

Insofern sei nachvollziehbar, dass der Bedarf in die Veränderung der IT-Systeme gering sei. „Schauen wir heute in die IT-Systeme und auf die Kosten, die sie verursachen, sind die heute schon hoch. Laut Radic gehe es derzeit vielen Firmen vor allem noch um den Erhalt der alten Systeme. „Würde man in die Renovierung investieren, würden die Kosten quasi explodieren. Und wir würden ganz andere IT-Kostenquoten sehen, als wir sie heute haben“, warnt Milenko.

Viele Systeme seien inzwischen in einem extrem niedrigem Steady-State. Überzogen kann man auch sagen: „Sie werden am Leben gehalten“, so der Experte weiter. Vor dem Hintergrund, dass bei einigen Unternehmen in den kommenden fünf Jahren die Hälfte des IT-Personals in den Ruhestand gehe, erwartet er für die Versicherungswirtschaft einige Probleme. Von Management-Versagen will Radic allerdings nicht sprechen. Allerdings müsse die Branche deutlich mehr in die Erneuerung der Systeme investieren als bisher. „Bislang liegt die Investitionsquote bei 2,7 Prozent. Nötig sei deutlich mehr. „Im hohen einstelligen Prozentbereich“, so der Experte.

Zwingen Uralt-Systeme die Assekuranzen zu Fusionen?

Doch ist Druck so hoch, dass Gesellschaften auf Grund der hohen Kosten, die einzelne Unternehmen kaum stemmen können, einen Zusammenschluss erwägen könnten? „Am Ende des Tages ja“, bestätigt Wittholt. Es gebe eine Reihe von Versicherern, die ihre IT-Probleme frühzeitig erkannt hätten und richtig gut aufgestellt seien. Andererseits stünde eine Reihe von Gesellschaften vor großen Herausforderungen.

„Eine schlechte IT ist ein erheblicher Treiber für die Überlegung, wie ich mit meinem Bestand umgehe. Und da ist der externe Run-Off eine Option“, so Wittholt weiter. Es gebe eine Reihe von Versicherern und Pensionskassen, bei denen die IT das Ende des Lebenszyklus erreicht hätte. In letzter Konsequenz müssten Pensionskassen oder Versicherer dann ihr Neugeschäft einstellen. „Die IT treibt es, und sie treibt es deutlich“, sagt Wittholt.

Der technische Zustand der IT-Systeme ist nicht gut. Und selbst wenn er gut wäre, sei in Zukunft mit 30 Prozent weniger Neugeschäft zu rechnen. Bei gleichbleibenden IT-Kosten wird das in Zukunft nicht mehr funktionieren, befürchtet Ott. HBA Consultig beobachte, dass viele interne Prozesse, die etwa das Rechnungswesen oder das Reporting betreffen, deutlich schlechter organisiert seien als die Kundenprozesse.

Es gebe Lebens- und Sachversicherer, die hätten nicht nur Systeme für die Schaden- und Lebensversicherung, sondern auch noch Systeme für Leistung und Bestand. „Wie lange wollen sie das aufrecht erhalten und wo liegt hier der Nutzen“, fragte Ott in Richtung der Versicherer. „Viele wissen noch gar nicht, wie schwierig die Situation ihrer IT-Systeme gerade ist, weil sie viel zu kurzfristig darauf schauen“, so Ott.

Keine Rückstellungen für neue Systeme 

Allerdings dürfte die Drohung der Bafin, künftig bei Defiziten in den IT-Systemen Zuschüsse auf das Solvency II-Kapital zu erheben, den Druck zur Modernisierung erhöhen, glaubt Adesso-Experte Wittholt. Viele Altsysteme seien inzwischen abgeschrieben. Letztlich seien die Investitionen in den Erhalt derart günstig, dass man mit einem Neusystem und den damit verbunden Kosten nicht konkurrieren könne. „Wenn man kurzfristig rechnet, hat man keine Chance. Langfristig sieht das ganz anders aus“, sagt Wittholt.

Laut Wittholt sei ein großes Problem, dass nahezu kein Versicherer für die zu erwartenden Investitionen in die IT Rückstellungen gebildet hat. „Das sehen wir in keiner Bilanz. Natürlich sieht ein altes System in der Bilanz dagegen bombig aus.“ Die meisten Investitionen, die ins Schaufenster gestellt würden, beträfen die Schnittstellen hin zum Vertrieb und Kunden, kritisiert Wittholt. Das sei schick und neugeschäftsgetriggert und trage weniger den strategischen Gedanken Rechnung, so Wittholt.