Inflationäre Rezession

„Großer Stresstest für die Weltwirtschaft”

Gleichwohl die Inflationsrate zuletzt leicht zurückgegangen ist, warnen Chefökonomen: Der Höhepunkt der Geldentwertung ist hierzulande noch nicht erreicht. Die Folgen der Inflation sind bereits jetzt für die Versicherungsbranche spürbar.

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11:12 Uhr | 02. Dezember | 2022
Inflationäre Rezession: „Ein großer Stresstest für die Weltwirtschaft” Bild: Marina Tikhoplav

Top-Ökonomen erwarten eine inflationäre Rezession in Europa. „Das wird ein großer Stresstest für die Weltwirtschaft“, sagt Jérôme Jean Haegeli, Swiss Re-Chefökonom.

| Quelle: Marina Tikhoplav

Es ist wie das Warten auf den angekündigten Hurrikan: Der Wirtschaftsabschwung wird bereits seit Monaten von Ökonomen prognostiziert, nun scheint die Rezession tatsächlich nur noch wenige Kilometer entfernt. Die Konjunkturaussichten sind düster. Für das kommende Jahr erwartet die Bundesregierung einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Prozent. Der Grund: Die „Energiekrise, die sich immer mehr zu einer Wirtschafts- und Sozialkrise auswächst", so Wirtschaftsminister Robert Habeck.

„Wir haben eine Energiekrise und keine Lösung dafür“, warnte auch Ludovic Subran, Chef-Volkswirt der Allianz SE, am Donnerstag während einer Veranstaltung des GDV zur aktuellen wirtschaftlichen Lage. „Weniger Wachstum, höhere Preise“, bringt er die derzeitige Situation auf den Punkt. „Wir erwarten eine inflationäre Rezession in Europa“, stimmt Jérôme Jean Haegeli, Swiss Re-Chefökonom zu. „Das wird ein großer Stresstest für die Weltwirtschaft.“ Die Stimmungslage in Industrie und bei den Konsumenten sei so schlecht wie nie. Auch Michael Menhart, Global Chief Economist bei Munich Re, schlägt warnende Töne an: „2023 wird ein schweres Jahr für die Weltwirtschaft, insbesondere für Europa.“

Inflationspeak in Europa noch nicht erreicht

Während er glaubt, dass der Höhepunkt der Inflation in den USA bereits erreicht sei, treffe das für Europa „mit sehr hoher Sicherheit“ noch nicht zu. Gleichwohl die Inflationsrate zuletzt leicht gesunken ist, blieb die Kerninflation (Inflationsrate ohne Güter und Dienstleistungen) hingegen stabil bei fünf Prozent. Er geht davon aus, dass die Energiepreise weiter ansteigen werden und die Unternehmen ihre Verträge erst nach und nach anpassen können. Das sei auch der Grund, warum die Folgen der Preiserhöhung erst mit Verzögerung bei den Verbrauchern ankommen. Für Deutschland sehe Menhart deswegen in naher Zukunft keinen Rückgang der Lebensmittelpreise.

Ein Wendepunkt könnte frühestens im Frühjahr nächsten Jahres erreicht werden, allerdings nur dann, wenn weitere Energieschocks – Stichwort: Gasmangellage – ausbleiben. Auch sei entscheidend, wie die Politik in der Eurozone auf die hohen Strom- und Gaspreise reagiere.

Menhart glaubt, dass der Inflationsdruck vorerst noch weiter zunimmt und die Inflationsrate selbst Ende 2023 noch bei drei bis vier Prozent liegt. Damit wäre die Rate immer noch höher als zu Vor-Corona-Zeiten und würde weiterhin über dem von der EZB angestrebten Inflationsziel von rund zwei Prozent liegen.

Nachfrage nach Versicherungsleistungen gedämpft

Die Versicherungsbranche ist bereits vom Inflationsanstieg betroffen, so der Munich-Re-Chefökonom: „Wir sehen das in unseren Versicherungsleistungen, wir sehen das über eine höhere Schadeninflation, die zum Teil deutlich über der Konsumentenpreisinflation liegt. Beispiel: Baukosten in Deutschland, die im dritten Quartal über 17 Prozent angestiegen sind.“ Zudem hätten die operativen Kosten wie Lohn- und Materialkosten zugenommen.

Gleichzeitig sei der Kaufkraftrückgang spürbar, was schon bald die Nachfrage nach Versicherungsleistungen dämpfen könnte. Bei rückläufiger Nachfrage werden auch die Höhe der Versicherungssummen und die Prämien beeinflusst.

Demgegenüber stehen, wenn man so will, als positive Folgen, die gestiegenen Zinsen, die das Lebensversicherungsgeschäft grundsätzlicher wieder attraktiver machen. Eine weitere positive Entwicklung kann auch der Allianz-Chefökonom Subran erkennen: „Die Kunden sind risikobewusster geworden, unsere Relevanz als Risikomanager ist gestiegen.“