Arbeitskraftabsicherung: Innovationsdrang mit Problemen

Die Grundfähigkeitsversicherung etabliert sich als Alternative zur BU. Anbieter fluten den Markt mit immer mehr Leistungsbausteinen, die Beratung und Vergleich erschweren – ein steiniger Weg für Makler zum passgenauen Schutz.

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10:11 Uhr | 15. November | 2022
Arbeitskraft Bild: Vesnaandjic

Auf dem Markt der Grundfähigkeitspolicen gibt es immer mehr neue Leistungsbausteine: Handwerker benötigen beispielsweise die Wahlleistung Grundschutz und Krankschreibung. Bild: Vesnaandjic

Viel Begeisterung löste Viktoria Pardey bei den Versicherungsmaklern aus, die ihrem Vortrag „Wenn die Grundfähigkeitsversicherung die bessere Lösung ist“ auf der diesjährigen Vermittlermesse DKM folgten. So zeigte die Leiterin des Berliner Maklervertriebes der Allianz Lebensversicherung, wie umfangreich und modular die Köperschutz-Police heute ist. „Es gibt eine Passgenauigkeit für jeden Ihrer Kunden“, behauptete Pardey und zeigte auf, wie der Grundschutz – der 2021 nochmals um acht neue Grundfähigkeiten und neuen verbesserten Grundfähigkeiten erweitert wurde – mit Wahlleistungen bestückt werden kann.

Als „wählbare“ weitere Leistungsauslöser gibt es beispielsweise den Verlust des Lkw- oder Busführerscheins sowie das Nicht-Bestehen einer von drei arbeitsmedizinischen Prüfungen, die – wie das Tragen von Atemschutzgeräten – sehr speziell sein können. Zudem gibt es die Wahlleistung „schwere Depression und schwere psychische Erkrankung“, den Baustein „schwere Krankheiten“ und „Pflegezusatzrente inklusive Pflegeanschlussoption“.

Mit diesem Füllhorn an Mehrleistungen könne man über das Angebot Zielgruppen bedarfsgerecht ansprechen. So benötigen beispielsweise Handwerker oder Friseure nach Meinung von Pardey lediglich Grundschutz und Krankschreibung, während für Kraftfahrer und Feuerwehrleute zusätzlich die Leistungsauslöser „spezielle Berufe“ und „psychische Erkrankungen“ sinnvoll seien. Die Allianz-Empfehlungen gibt es dann auch mundgerecht auf dem Maklerprogramm.

Problematische Vielfalt

Doch der immer umfassendere Bausteinschutz bei der Grundfähigkeitsversicherung (GFV) stellt Versicherungsmakler zunehmend vor Probleme. Zum einem müssen die Wünsche der Kunden berücksichtigt werden und nicht jeder Handwerker ist gleich. Noch schwieriger wird es, wenn man die Grundfähigkeitstarife und ihre Kombinationen am Markt vergleichen will. Denn die Allianz ist mit der Explosion der Möglichkeiten bei der GFV nicht allein.

Insgesamt 3.475 Produktkombinationen hat das Ratinghaus Franke & Bornberg am Markt gezählt. Spitzenreiter ist die Alte Leipziger, die es bei drei GFV-Produkten auf 1.834 Varianten bringt, bei der Nürnberger sind es mit vier Tarifen noch 450 Alternativen, bei der Swiss Life, die ebenfalls mit vier GFV-Tarifen unterwegs ist, gibt es noch 240 Konfigurationen. Da sind HDI (1 Tarif / 128 Kombis), Stuttgarter (1 / 64), Baloise (5 / 80) und Allianz (1 / 48) schon fast übersichtlich.

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Die GFV nimmt als Alternative zum Königsweg Berufsunfähigkeitsschutz (BU) mächtig Fahrt auf. Seit 2021 ist die Anzahl der Basistarife von 49 auf 61 gestiegen. Und schon Ende 2020 hat sich die GFV endgültig in der Öffentlichkeit etabliert. Damals veröffentlichten die Verbraucherschützer der Stiftung Warentest unter der Überschrift „Die Existenz sinnvoll schützen“ ihre erste Marktübersicht. Sinnvoll ist die GFV laut den Testern für Menschen, die keinen BU- oder Erwerbsunfähigkeitsschutz (EU) abschließen können und natürlich für „Angehörige von Risikoberufsgruppen wie stark körperlich arbeitende Handwerker“. Hier finde man einen viel eher bezahlbaren Schutz.

Doch nun stellt Michael Franke, Chef der Rating-Agentur Franke & Bornberg, auch ein „Stripping Down“, also eine Fragmentierung der GFV fest. Der Grundschutz muss dann gegebenenfalls um ausgegliederte Leistungen ergänzt werden. Das macht die Vergleichbarkeit noch schwieriger. Franke: „Jeder Versicherer bemüht sich um eine exklusive GFV.“ Daher wären nicht einmal vergleichbar klingende GFV identisch definiert. Bei jedem Produkt und jeder Kombination müssen Versicherungsmakler nun genau prüfen: Sind die wichtigsten Leistungsauslöser und Krankheiten für meinen Kunden auch gedeckt?

Auf der Suche nach Standards

Wer als Versicherungsmakler seinen Kunden mit einer optimalen GFV-Variante ausstatten möchte, braucht daher ein Vergleichsmaß, dass Preis und Leistung ergreift. Hierfür hat Franke einen Arbeitskraft-Index (AKS-Index) entwickelt, der marktweit, aber auch produktspezifisch die Risikoabdeckung und per Wirkungsgrad die Preiswürdigkeit ermittelt. Mit diesem Softwaretool können Versicherungsmakler die komplexe GFV nicht nur zielgenauer marktweit beraten, sondern auch ihre Beratung hochwertig dokumentieren.

Immerhin gibt es auch noch einen Kompromiss, der zwischen GFV und BU liegt, und von Maklern für Handwerker durchaus geschätzt wird. „Die Deutsche Handwerker BerufsunfähigkeitsVersicherung ,Aktivschutz' des Münchener Vereins ist eine sehr gute Alternative“, sagt der Biometrie-Spezialist Phillip Wenzel. Der Tarif „Deutsche Handwerker BU Aktiv“ leistet bei jeder Krankheit und bei jedem Unfall wie ein Vollschutz. Doch die Leistung ist eingeschränkt, wenn die Berufsunfähigkeit nicht durch einen Unfall oder einer „Erkrankung oder Verletzung der Gelenke, Bänder, Sehnen und Muskeln oder der Wirbelsäule und der sie umgebenden Strukturen“, ausgelöst wird.

In allen übrigen Fällen der Berufsunfähigkeit zahlt der Versicherer nur 50 Prozent der versicherten Rente. Nach Darstellung des Münchener Vereins, wird mit diesem Angebot der BU-Schutz für Handwerker „bezahlbarer“. Die Beratung sollte nach Vorschlag des Münchener Vereins immer mit dem Top-Schutz starten. „Falls sich der Kunde diesen Schutz nicht leisten kann oder will, kann als Alternative die Aktiv-Variante angeboten werden“, so der Münchener Verein. Natürlich muss der Kunde darauf hingewiesen werden, dass in einigen Fällen nicht die volle BU-Rente gezahlt wird.

Die Arbeitskraftberatung wird also künftig nicht leichter. Mit der GFV kann aber das große Potential der handwerklich Tätigen grundsätzlich besser erreicht werden. Immerhin sind rund 73 Prozent aller Erwerbstätigen ohne Einkommenssicherung, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft noch 2018 ermittelt hat. Tendenziell sind von der Schutzlücke Handwerker mehr betroffen. Wer klassisch von der BU über die GFV zur EU berät dürfte somit immer öfter einen Abschluss erreichen. Transparenz hinsichtlich der Produkte bleibt dabei das „A und O“ der Beratung.

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