Aktuelles Gutachten

Wird Elementarschutz jetzt Pflicht?

Bisher hieß es, eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden greife zu stark in die Vertragsfreiheit ein. Ein Gutachter kommt zu einem anderen Ergebnis.

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12:02 Uhr | 24. Februar | 2022
Zerstörte Häuser im Ahrtal

Während der GDV eine Pflichtversicherung ablehnt und auf einen sogenannten Opt-Out-Elementarschutz setzt, fordert der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) grundlegende Veränderungen.

| Quelle: picture alliance/imageBROKER/Stefan Ziese

Stürme, Überflutungen und Hitzewellen haben zwischen 1980 und 2020 europaweit zu einem wirtschaftlichen Gesamtschaden von bis zu 520 Milliarden Euro geführt, wie eine aktuelle Erhebung der EU-Umweltagentur zeigt. Mit Schäden in Höhe von rund 107 Milliarden Euro war insbesondere Deutschland stark betroffen. Die Unwetter des vergangenen Jahres sorgten hierzulande für einen weiteren Negativ-Rekord: Mit 11,5 Milliarden Euro war 2021 das Jahr mit den höchsten Naturgefahren-Schäden seit 50 Jahren.

Und diese Zahl betrifft nur die versicherten Schäden – nicht einmal die Hälfte der Hausbesitzer verfügten nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) über den notwendigen Elementarschutz. Der Staat musste am Ende mit einem 30-Milliarden-Euro schweren Aufbaufonds in die Bresche springen. Seitdem debattieren Versicherer, Politiker und Verbraucherschützer leidenschaftlich über das Thema Pflichtversicherung.

SVRV-Vorschlag: Basispolice mit ergänzenden Bausteinen

Während der GDV allerdings eine Pflichtversicherung ablehnt und auf einen sogenannten Opt-Out-Elementarschutz setzt, bei dem die Abdeckung automatisch im Vertrag enthalten ist und Versicherungsnehmer sich aktiv gegen die Absicherung entscheiden müssen, fordert der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) grundlegende Veränderungen: „Die Politik wird nicht darum herumkommen, den gesetzlichen Rahmen anzupassen – das sehen Versicherer und Verbraucherschützer auch so“, erklärte Professor Gert G. Wagner, SVRV-Mitglied und Mit-Autor der aktuellen Studie zum Thema „Versicherungspflicht gegen Naturgefahren“ am Donnerstag anlässlich der Veröffentlichung der Untersuchung.

Der SVRV, der 2014 als unabhängiges Beratergremium gegründet worden war, schlägt eine sogenannte verpflichtende „Basisversicherung für Wohngebäude“ vor, über die alle Eigentümer von Wohngebäuden gegen Naturschäden abgesichert wären. Je nach individuellem Risiko oder finanziellem Spielraum ließe sich diese Police dann erweitern: „Ergänzung der Versicherung um weitere Naturgefahren (z. B. Sturmflut sowie theoretisch bis hin zum Versicherungsumfang der Allgefahrenversicherung) bzw. Ausschluss von Ereignissen ist von einem Expertengremium zu prüfen“, heißt es in dem Konzeptpapier. Bestandkunden sollen mindestens über die Basisversicherung für Wohngebäude verfügen, wie sie heute überlicherweise als Wohngebäudepolice mit erweiterter Naturgefahrendeckung angeboten werde. Eine Opt-Out-Option lehnt der Sachverständigenrat hingegen ab.

Wichtig zu wissen: In der Basisversion der Police sind nur katastrophenbedingte Schäden versichert, das bedeutet, dass ein recht hoher Selbstbehalt angesetzt werde. Der Richtwert liege bei 25.000 Euro, was rund einem Zehnter des durchschnittlichen Werts eines Einfamilienhauses entspreche.

Die erwartete Höhe der Versicherungsprämie würde niedriger ausfallen als die heute marktüblichen Prämien, so der SVRV, da in der gesetzlich verpflichtenden Police der Versicherer nur für schwere Schäden aufkomme und das Versichertenkollektiv im Falle einer Versicherungspflicht am größten sein. Allerdings sollen finanzschwache Eigentümer von Bestandsbauten in Hochrisikolagen möglicherweise finanzielle Unterstützung bei der Versicherungsprämie erhalten – analog zum Wohngeld. Während einer Schadenregulierung solle ein staatlicher Vorleistungsfonds greifen bis es zur tatsächlichen Leistung durch die Versicherer komme.

Elementarpflicht wäre verfassungskonform

Während noch 2017 eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Justizminister zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Einführung einer Pflichtversicherung ohne Veränderung der Verfassung nicht gerechtfertigt sei, kommt der Verfassungsrechtler Professor Thorsten Kingreen (Universität Regensburg) in seinem aktuellen Gutachten anlässlich des SVRV-Positionspapiers zu einem anderen Ergebnis. Kingreens Fazit: Der Vorschlag des SVRV ist verfassungskonform. Die Elementarpflicht wäre demnach sowohl mit dem europäischem Unionsrecht als auch mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar.

„Ja, die Pflicht greift in die Grundrechte ein, das ist unstrittig“, so Kindgreen. Wie lässt sich also ein solcher Eingriff rechtfertigen? Die Änderung des Gesetzes müsste, so der Jurist, einen legitimen Zweck erfüllen. Der Zweck sei jedoch durch den Schutz des Wohnraums gegeben, der auch eine soziale Dimension habe: Eine unfreiwillige Obdachlosigkeit sei demnach eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Noch dazu sei es dem Staat erlaubt, auf neue Gefahrenlagen zu reagieren: Als der Elementarschutz in der Vergangenheit als Pflichtversicherung ausgeschlossen worden war, sei die Gefahr von extremen Unwetterereignissen schlichtweg noch nicht in dem Ausmaß präsent gewesen. Jetzt gebe es allerdings eine neue erhöhte Gefahrensituation bedingt durch den Klimawandel, die auch zukünftig noch anhalten werde.

Dadurch, dass die Folgen der Klimakrise nach wie vor für viele Menschen abstrakt seien, würden Hausbesitzer weiterhin auf den Elementarschutz verzichten. Eine ähnliche Situation habe es beim Thema Plegeversicherung gegeben: Junge Menschen, für die das Thema Pflege oft noch nicht relevant war, haben einen solchen Schutz ebenfalls nicht freiwillig abgeschlossen. Deswegen wurde die Pflegeversicherung letztlich obligatorisch. Eine Argumentation, die für Kingreen auch auf die Elementarpflicht zutrifft. Sein Fazit: Der verbindliche Elementarschutz ist geeignet, erforderlich und angemessen.

Eine Opt-Out-Option, wie sie der GDV fordert, „klingt erst einmal gut, ist aber juristisch fragwürdig, weil Versicherer nicht darüber entscheiden dürfen, was der Staat zu tun oder zu lassen hat“, kritisiert der Verfassungsrechtler.

Argumente gegen staatlichen Hilfsfonds

Kingreen sieht eine staatliche Unterstützung für unversicherte Schäden kritisch, denn Schutzpakete führten zu einem sogenannten „Charity Hazard“: „Jedes Schadensereignis, für das die öffentlichen Haushalte aufkommen, bremst die Bereitschaft von Grundstückseigentümern aus, sich selbst um eine Versicherung gegen Elementarschäden zu bemühen, und löst bei Versicherten die Frage aus, warum sie sich weiterhin versichern sollen, wo doch im Notfall staatliche Haushalte einstehen.“

Ein Problem, das auch Gert G. Wagner vom SVRV sieht. „Viele scheinen sich ganz bewusst gegen eine Versicherung zu entscheiden, so zeigt es unsere empirische Erhebung. Die Gründe sind unzureichendes Vertrauen in Versicherer und mangelndes Risikobewusstsein“, so der Sachverständige. Versicherer genießen ein eher geringeres Vertrauen in der Bevölkerung, was den freiwilligen Abschluss einer Elementarschadenversicherung erschwere. Der SVRV hatte bereits 2019 ein Positionspapier unter dem Titel „Maßnahmen für eine zukunftsgerechte Naturgefahren-Absicherung“ vorgelegt, passiert war allerdings bis zur Flutkatastrophe im Sommer vergangenen Jahres nichts.

„Gravierender Eingriff in die Grundrechte von Grundstückseigentümern“

Im Juli vergangenen Jahres, also nach dem verheerenden Unwetterereignis, brachten die Grünen ein Konzeptpapier auf den Weg, in dem sie für einen Mittelweg aus staatlicher Unterstützung und Eigenverantwortung plädieren. „Weder dürfen die Menschen, deren Häuser oft seit Generationen an Flüssen oder in Niederungen liegen, allein gelassen werden, noch ist eine Art Vollkasko-Mentalität richtig, dass egal was, der Staat oder die Gemeinschaft schon zahlt“, hieß es damals. Der Elementarschutz müsse deswegen zum Standard werden, so die Grünen, die für den Übergang die Förderung risikobasierter Tarife vorgeschlagen haben.

In Rheinland-Pfalz, wo nur 37 Prozent aller Häuser gegen Elementarschäden versichert waren, forderte die dortige CDU-Fraktion kürzlich, dass Versicherer künftig nur noch Wohngebäudeversicherungen inklusive Elementarschutz anbieten sollten und bestehende Verträge entsprechend umgestellt werden sollten. Über eine Opt-Out-Option könnten Hausbesitzer allerdings aktiv diesem Schutz widersprechen, dürfen dann aber im Schadenfall keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen – ein Vorschlag, der jener der Versicherungswirtschaft gleicht. Die rheinland-pfälzische CDU bezeichnete die Einführung einer Pflichtversicherung indessen als „ultima ratio“ und verwies auf den dadurch herbeigeführten „gravierenden Eingriff in die Grundrechte von Grundstückseigentümern“.

Eine Begründung, die der Sachverständigenrat mit Bezug auf das aktuelle Gutachten entkräften kann. Zumal eine Versicherungspflicht von einer Mehrheit der Deutschen akzeptiert werde, so das Ergebnis einer Online-Befragung des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap im Auftrag des SVRV.