Urteil des OLG des Saarlands

Haftung – Wie weit geht die Aufsichtspflicht der Eltern?

Ein Kind hatte sich unbemerkt aus der Wohnung geschlichen und war von einem Auto angefahren worden. Der Haftpflichtversicherer des Autofahrers sah jedoch eine Teilschuld der Eltern und klagte.

Author_image
09:02 Uhr | 08. Februar | 2023
Kind auf dem Zebrastreifen

Wie weit geht die Aufsichtspflicht der Eltern? Mit dieser Frage hatte sich unlängst das OLG des Saarlands zu befassen.

| Quelle: Dobrila Vignjevic

Eltern haften für ihre Kinder – das gilt bei Kindern unter sieben Jahren allerdings nur dann, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Immer wieder wird entsprechend vor Gericht verhandelt, ob den Eltern hier ein Vorwurf gemacht werden kann.

Ein entsprechender Fall wurde neulich auch vor dem Oberlandesgericht des Saarlands (Az: 14 O 13/19) verhandelt. Konkret ging es um einen Verkehrsunfall, der sich im Jahr 2017 im saarländischen Leitersweiler ereignet hatte. Ein Autofahrer war kurz hinter der Ortseinfahrt mit einem vierjährigen Kind kollidiert, das zusammen mit seinem Bruder und einem Freund auf seinem Dreirad die Fahrbahn überquerte.

Haben Eltern eine Teilschuld?

Die Schuldfrage war eindeutig, doch der Haftpflichtversicherer forderte im Anschluss von den Eltern des Kindes die Rückzahlung eines Teils der gezahlten Versicherungsleistung, da die Eltern – so zumindest die Auffassung des Versicherers – ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten. Sie hätten somit eine Teilschuld am Unfall und müssten selbst für 30 Prozent der Unfallfolgen aufkommen.

Die Eltern, die 2016 aus Syrien geflüchtet waren, argumentierten dagegen. So habe das Kind die Wohnung unbemerkt verlassen, während die Mutter duschte und der Vater mit seinem in Syrien verbleibenden Bruder telefonierte. Zudem stammten sie aus einer ländlich geprägten Gegend in Syrien, in der es üblich und gefahrlos möglich sei, dass Kinder auf der Straße spielten. Darüber hinaus lasse es ihr Bildungsstand nicht zu, das geltende Aufsichtsrecht in Deutschland zu kennen.

Nachdem das Landgericht Saarbrücken der Klage des Versicherers Recht gegeben hatte, landete der Fall vor dem OLG Saarbrücken. Dieses erkannte wiederum keine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern.

Gefahrenträchtigkeit der konkreten Situation

Laut der ständigen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes bestimme sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, aber auch danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden könne. „Dabei kommt es für die Haftung stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist. Das Maß der geschuldeten Aufsicht erhöht sich mit der Gefahrenträchtigkeit der konkreten Situation“, führte das OLG aus.

Spielen Kinder in der Nähe einer Straße ist entsprechend ein höheres Maß an Aufmerksamkeit der Eltern notwendig. Im vorliegenden Fall spielte das Kind jedoch in der Wohnung. Anders als Kleinkinder, die prinzipiell ständig unter Aufsicht stehen müssen, trifft das auf Kinder ab einem Alter von drei Jahren nicht mehr zu. In einer geschlossenen Wohnung können diese auch einmal unbeobachtet bleiben um diesen die Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung zu geben.

Dass sich der Sorgfaltsmaßstab, was die Teilnahme des Kindes am Straßenverkehr anbelangt, an ihrer syrischen Heimat orientierte, sei im vorliegenden Fall nicht relevant, befand das OLG. Es gehe allein um die Frage, ob die beiden Elternteile darauf vertrauen durften, dass das Kind vor dem Fernseher sitzen bleibt, während sie den Raum verließen.

Da das Kind als ruhig galt und in der Vergangenheit häufiger für ein bis zwei Stunden vor dem Fernseher gesessen hätte, mussten die Eltern nicht damit rechnen, dass es auf eigene Faust die Wohnung verlassen würde. Ein solcher Fall war zuvor auch noch nie vorgekommen, so dass es keine Veranlassung gab, entsprechende Sicherheitsvorkehrungen, wie das Absperren der Haustür, vorzunehmen.

Da den Eltern keine Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht vorzuwerfen sei, habe der Haftpflichtversicherer keinen Anspruch auf eine Rückzahlung eines Teils der Versicherungsleistung.