Abschlussbericht der Fokusgruppe Altersvorsorge

Naht jetzt die Riester-Reform?

Die Fokusgruppe Altersvorsorge hält an der Riester-Rente fest, wenn auch unter veränderten Vorzeichen. Außerdem könnte ein staatlich gefördertes Altersvorsorgedepot kommen. Weitere Details aus dem Bericht

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22:07 Uhr | 17. Juli | 2023
Verwandlung einer Raupe zu einem Schmetterling

Riester soll nach dem Willen der Fokusgruppe Altersvorsorge bestehen bleiben – wenn auch unter anderen Vorzeichen.

| Quelle: mathisa_s

Seit Januar hat eine Expertengruppe der Bundesregierung an Reformvorschlägen für die private Altersvorsorge gearbeitet. Jetzt hat sie den 132-Seiten schweren Bericht abgeschlossen, der procontra vorliegt. Die erklärten Ziele der Fokusgruppe in Bezug auf die Altersvorsorge: vereinfachen, flexibilisieren und Kosten sparen.

Neben Reformvorschlägen zu bestehenden Altersvorsorgeprodukten, entwirft die Gruppe auch eine neue, staatlich geförderte Altersvorsorge. Die skizzierten Empfehlungen sollen sowohl für das neue Produkt als auch für den Riester-Bestand gleichermaßen gelten: „Die Weichenstellungen, die für eine neue geförderte private Altersvorsorge empfohlen werden, sollten im Rahmen des rechtlich Möglichen auch für den aktuellen Riester-Bestand aufgenommen werden können.“

Interessant beim Stichwort Riester ist die Erklärung, dass die Verträge zwar bestehen bleiben sollen – auch aus rechtlichen Gründen. Dennoch könnten Anpassungen, denen alle Vertragsparteien jedoch zustimmen müssten, zu einem späteren Zeitpunkt noch folgen.

Riester: Hin zur Flexibilität  

Die Riester-Rente steht seit Jahren unter Beschuss, immer wieder ist sie Auslöser für hitzig geführte Debatten. „Der Bestand an Riester-Verträgen stagniert seit 2017 bei etwa 16 Millionen Verträgen und ist mittlerweile sogar rückläufig“, schreiben die Autoren des Abschlussberichts. Dennoch wolle man den Bestand schützen, wie es auch der Koalitionsvertrag vorsieht.

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Riester soll also bestehen bleiben – wenn auch unter anderen Vorzeichen: Von den steifen Auszahlungsmodalitäten der Riester-Rente will man Abstand nehmen. So könnten zu Rentenbeginn höhere Beträge ausgezahlt werden, als es dann später der Fall ist. „Um mehr Flexibilität in der Verwendung der privaten Altersvorsorge und befristet höhere Auszahlungsbeträge zu ermöglichen, könnte auf eine verpflichtende, in der Höhe konstante oder steigende Absicherung des Langlebigkeitsrisikos z. B. ab der Regelaltersgrenze verzichtet werden, und höhere Teilauszahlungen sowie Auszahlungspläne ohne Restverrentung könnten ermöglicht werden“, heißt es in dem Papier.

Darüber hinaus sollen Sparern sich das Altersvorsorgevermögen zu Beginn der Auszahlungsphase komplett auszahlen lassen können. So könnten sie das Geld für eine selbstgenutzte Immobilie nutzen, sei es zur Sanierung, zum altersgerechten Umbau oder zur Tilgung einer Immobilienfinanzierung.

Die Fokusgruppe private Altersvorsorge

Die Expertengruppe setzt sich zusammen aus Vertretern des Bundesfinanz-, Wirtschafts- und Arbeitsministerium, aus Interessenverbänden wie GDV und BVI, Verbraucherschützern wie dem vzbv und der Stiftung Warentest, der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba), Sozialpartner wie dem DGB und BDA sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Jeweils eine Vertreterin oder ein Vertreter von Bundesbank, BaFin und DRV Bund dürften als ständige Gäste an den Sitzungen der Fokusgruppe teilnehmen. Darüber hinaus konnten Vertreterinnen und Vertreter des Bundeskanzleramts an den Sitzungen teilnehmen. Die Fokusgruppe tagt unter dem Vorsitz des Bundesministeriums der Finanzen, in Person Florian Toncar (FDP).

Absage an 100-Prozent-Garantien

Zudem sollen die Garantieanforderung bei Fondsprodukten sowie reinen fondsgebundenen Versicherungsprodukten entfallen. Eine Empfehlung, der sich die Versicherungswirtschaft nicht anschließen möchte: „Die Menschen erwarten bei der geförderten Altersvorsorge Verlässlichkeit. Die gäbe es bei einem kompletten Garantieverzicht nicht“, so Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer vom Gesamtverband der Versicherer (GDV).

Allerdings scheinen die Empfehlungen der Expertengruppe ohnehin nicht ganz entschieden zu sein: So heißt es nämlich auch, wer als Vorsorgender eher die Sicherheit vorzieht, solle auch weiterhin Produkte mit Garantien abschließen können.

Anbieter-Wechsel vereinfachen

Der Wechsel zwischen den Vorsorge-Anbietern soll künftig erleichtert werden. Das soll den Wettbewerb zwischen den Unternehmen ankurbeln und in Folge die Produktkosten senken. „Abschlusskosten könnten in laufende Kosten auf die gesamte Vertragslaufzeit umgerechnet werden. Ferner könnte auf Abschlusskosten beim Wechsel von Altersvorsorgeprodukten und Anbietern verzichtet werden“, schlägt die Fokusgruppe vor.

Nicht immer ganz einheitlich sind auch hier wieder die Empfehlungen der durchaus aus widerstreitenden Kräften zusammengesetzten Fokusgruppe: Einerseits sollen Altersvorsorgeprodukte vereinfacht werden, andererseits fordert die Fokusgruppe „im Riester-Verfahren noch an mehreren Stellen die Schriftform bei Einwilligungen, Anzeigen und Anträgen“. Was jedoch im Sinne mancher Sparer sein könnte: eine elektronische Übersendung soll auf Wunsch der Riester-Sparer zulässig sein.

Wer privat vorsorgt, könnte sich schon bald über steuerliche Begünstigungen freuen: So plant die Fokusgruppe, dass Sparer bis über 2.100 Euro pro Jahr als Sonderausgaben bei der Steuer geltend machen können. Die Höhe des Betrags solle jedoch noch weiter nach oben angepasst werden.

Altersvorsorgedepot mit staatlicher Förderung

Dass sich Vorstellungen der Ampelparteien und Interessenvertreter voneinander unterscheiden, wurde bereits im Vorfeld deutlich: Während Grüne, SPD und vzbv einen öffentlichen verwalteten Fonds präferierten, hat eine Mehrheit von zwölf Mitglieder diesen Vorschlag abgelehnt.

Stattdessen könnte künftig ein förderfähiges und zertifiziertes Altersvorsorgedepot kommen. Das Depot könnte beispielsweise in Fonds und ETFs, aber auch in andere geeignete realwertorientierte Anlageklassen investieren, „um eine private Altersvorsorge mit höheren Renditen als bei den bisherigen Riester-Verträgen zu ermöglichen“. Für eine höhere Rendite solle das Geld „insbesondere Aktien, aber auch Beteiligungen und Immobilien“ angelegt werden.

Wer seine Anteile bis zum Rentenbeginn hält, soll zudem eine staatliche Förderung erhalten. Das Depot sollen Banken oder Versicherern anbieten und ist ausschließlich für die Altersvorsorge gedacht sein.

Verpflichtend mit Opt-out

Nach den Plänen der Fokusgruppe könnten Arbeitnehmer künftig automatisch, also verpflichtend, in den öffentlich verantworteten Altersvorsorgefonds einzahlen. Eine Abwahlmöglichkeit (Opt-out) solle es aber geben.

Außerdem will die Fokusgruppe diese geförderte zusätzliche private Altersvorsorge perspektivisch allen Erwerbstätigen, also auch Selbstständigen, anbieten. Und auch sie sollen, sobald sie verpflichtend, wenn auch mit Opt-out-Option, in die gesetzliche Rente einzahlen, von der staatlichen Förderung profitieren können.

Eine mögliche Absicherungspflicht kritsiert der GDV: „Ein höheres Maß an Verpflichtung wäre ein deutlicher Eingriff in die Freiheit des Einzelnen und ist auch deshalb sorgfältig abzuwägen, weil eine Teilnahmepflicht noch lange nicht die Herausforderung für sozialpolitisch sensiblen Zielgruppen löst, wie ihre Sparfähigkeit gestärkt werden kann“, heißt in der Stellungnahme des Verbands im Abschlussbericht.

Vergleichsportal für mehr Transparenz

Die Fokusgruppe spricht sich für ein Vergleichsportal für Altersvorsorgeprodukte aus, durch das Verbraucher eine bessere Übersicht über die Abschluss- und Verwaltungskosten bekommen sollen. „Die Produktinformationen sowohl für die Anspar- als auch für die Auszahlungsphase sollten den Altersvorsorgenden über eine unabhängige, digitale und kostenlos zugängliche Vergleichsplattform in verständlicher Form bereitgestellt werden.“ Die benötigten Informationen sollen die Anbieter selbst bereitstellen.

Offenbar ist auch eine verpflichtende Beratung angedacht, wenn es heißt: „Darüber hinaus sollte sowohl zu Beginn der Ansparphase als auch vor Beginn der Auszahlungsphase eine zusätzliche unabhängige und individuelle Altersvorsorgeberatung erfolgen.“ Wie die konkrete Ausgestaltung der Beratung aussehen soll, lässt das Papier jedoch offen.

Die Bürgerrente

Im Abschlussbericht heißt es, dass eine rein beitragsproportionale Förderung, wie sie das Konzept der Bürgerrente, das der GDV vorgeschlagen hat, vorsieht, ihre sozialpolitische Wirkung auf Menschen mit unteren Einkommen oder Familien mit Kindern verfehle.

Die Verbraucherschützer kritisieren zudem, dass bei der Bürgerrente Lösungen fehlen würden, die auf die Kostenproblematik eingehen. „Zudem fehle eine Beschreibung zur Kapitalanlage, mit der nachvollzogen werden kann, wie nach wissenschaftlichen Kriterien entsprechend renditeorientiert angelegt werden soll“, heißt es seitens des vzbv.

„Hinreichende Sparfähigkeit“?

Ein grundlegendes Problem wird in dem Bericht gleich zu Beginn des Berichts deutlich: Darin erklärt die Fokusgruppe, sie wolle ein Angebot zur Sicherung des Lebensstandards beim Renteneintritt für breite Bevölkerungsgruppe machen, „sofern sie über eine hinreichende Sparfähigkeit verfügen“. Doch genau daran hapert es bei vielen angesichts der anhaltenden Inflation.

Der Abschlussbericht, der die Grundlage für die angestrebte Reform der Altersvorsorge bildet, wird nun dem Bundeskabinett vorgelegt. Inwiefern die Bundesregierung die Vorschläge der Fokusgruppe tatsächlich umsetzt, bleibt angesichts des angespannten Haushalts, über den zuletzt auch hinsichtlich des Elterngeldes stark diskutiert worden ist, fraglich.

Der GDV warnt bereits davor, dass es die Empfehlungen der Arbeitsgruppe womöglich nicht in die Realpolitik schaffen könnten: „Das Wichtigste ist, dass die Vorarbeit der Fokusgruppe nicht versandet, sondern noch in dieser Legislaturperiode in eine Reform mündet. Ein Festhalten am Status quo wäre das Schlechteste, was passieren könnte“, warnt Asmussen.