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Flexibles Rentenalter: Wird das Rentensystem so zukunftssicher?

Die Debatte um ein höheres Renteneintrittsalter geht weiter: Die FDP fordert einen flexiblen Rentenbeginn sowie den Wegfall der offiziellen Eintrittsgrenze. Dazu beziehen Pascal Kober, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP, und Anja Piel, Vorstandsmitglied beim DGB, für procontra Position.

12:02 Uhr | 06. Februar | 2023
Pascal Kober und Anja Piel

Flexibler Rentenbeginn – ja oder nein? Darüber diskutieren MdB Pascal Kober von der FDP (links) und DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel (rechts), für procontra.

| Quelle: Stephanie Trenz/Joana Kosowska (DGB)

„Ich bin überzeugt: Niemand muss den Menschen mehr vorschreiben, wann sie in Rente zu gehen haben – auch, weil die Lebensläufe immer unterschiedlicher werden.“ Mit diesem Statement gegenüber der Nachrichtenagentur dpa brachte FDP-Vizechef Johannes Vogel kürzlich die Debatte um ein höheres Renteneintrittsalter erneut ins Rollen. Die FDP fordert eine weitgehende Flexibilisierung beim Rentenbeginn. Kurz zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz den Anteil derer steigern wollen, „die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können.“ Auf den Zug waren die Liberalen aufgesprungen. Doch wird das Rentensystem mit einem flexiblen Eintrittsalter zukunftssicher?     

Pascal Kober (arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag): Pro 

Wenn wir über die Zukunftssicherheit unseres Rentensystems sprechen, müssen wir uns alle drei Elemente, die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche und die private Altersvorsorge, ansehen. Alle drei Säulen müssen stabil sein, um das System zu tragen.

Was die gesetzliche Rentenversicherung betrifft, steuern wir auf ein eklatantes Problem zu: Ddie geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, stehen kurz vor der Rente. In den kommenden 15 Jahren werden 12,9 Millionen Menschen am Arbeitsmarkt fehlen. Während 1962 noch sechs Beschäftigte auf einen Rentner kamen, sind es heute nur noch 1,8. Gleichzeitig steigt die Dauer des Rentenbezugs stetig an: 1960 haben Rentner im Schnitt 9,9 Jahre Rente bezogen. Heute sind es 20,5 Jahre. Wenn die Beitrags- und Steuerzahler nicht weiter belastet werden sollen, müssen wir jetzt handeln.

Freiwilligkeit und Flexibilität lassen Menschen länger arbeiten

Wie können wir also gegensteuern? Schauen wir dazu nach Schweden: Dort kann jeder zwischen 62 und 68 Jahren selbst entscheiden, wann er in Rente gehen möchte. Natürlich bekommt derjenige, der länger arbeitet, mehr als derjenige, der sich für einen früheren Renteneintritt entscheidet. Der Effekt? Die Schweden haben eines der höchsten Renteneintrittsalter in Europa. Im Durchschnitt arbeiten sie etwa zwei Jahre länger als die Deutschen. Das zeigt, dass Freiwilligkeit und Flexibilität dazu führen, dass Menschen länger arbeiten. Statt das gesetzliche Renteneintrittsalter anzuheben, wollen wir daher einen flexiblen Renteneintritt. Wer 60 Jahre alt ist, soll selbst entscheiden dürfen, wann er in Rente gehen möchte. Dabei müssen wir natürlich auch Möglichkeiten schaffen, damit dass die, die länger arbeiten wollen, das auch tun können. Das fängt an bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen und der Nutzung von technischen Hilfsmöglichkeiten. Weiterbildungsmaßnahmen, die es ermöglichen, Beschäftigte mit langjähriger Berufserfahrung in weniger körperlich herausfordernden Positionen im Unternehmen zu halten, sind ein weiterer Hebel.

Das allein wird jedoch nicht reichen. Daher haben wir als FDP uns für einen radikalen Schritt entschieden: die Einführung der Aktienrente. Erstmals schaffen wir ein kapitalgedecktes Element innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch hier ist Schweden ein Vorbild. Der Rentenfonds AP7 hat in den letzten 20 Jahren durchschnittlich eine Rendite von über 11 Prozent erreicht. Wir Deutsche sind traditionsgemäß zurückhaltend, was Aktienanlagen betrifft. Die Aktienrente ist daher ein guter Weg, um auch das Vertrauen in private und betriebliche Altersvorsorgeprodukte zu stärken. Denn klar ist: Die gesetzliche Rentenversicherung allein war, ist und wird nie Lebensstandard sichernd sein. Daher brauchen wir auch bei der betrieblichen wie privaten Altersvorsorge mutige Schritte, damit unser Rentensystem zukunftssicher ist.

Anja Piel (DGB-Vorstandsmitglied): Contra

Wer kennt ihn nicht aus seiner Kinderzeit: Den Ratschlag, einfach zu schweigen, wenn es nichts Kluges zu sagen gibt. Der Vorschlag, das Renteneintrittsalter zu flexibilisieren, fällt unter diesen Vorbehalt. 

Der sogenannte Rentenkorridor ist nichts anderes als ein schönfärbender Begriff für ein höheres Renteneintrittsalter und eine weitere Rentenkürzung. Mit Freiheit hat dieses Modell weniger zu tun als mit harten Sachzwängen: Denn ‚frei‘ wählen können nur Versicherte, die einen Arbeitsplatz haben und deren Rente auch zum Leben reicht. Wer beides nicht hat, zahlt die Rechnung mit einer gekürzten Rente. Und für alle steigen die Abschläge bei einem früheren Rentenbeginn mit der Lebenserwartung immer weiter an. Eine solche Rentenkürzung trifft die jetzt jungen Menschen hart: Sie sollen länger arbeiten, dadurch mehr einzahlen und erst mit 69, 70 oder sogar noch später in Rente gehen. 

Rentenalter steigt bis 2031 stärker als die Lebenserwartung

Dem Vorschlag fehlt gänzlich der soziale Kompass. Die Lebenserwartung steigt eben nicht für alle gleich: Ein niedriges Einkommen oder lange Arbeit mit hohen Belastungen ist mit einer weniger und langsamer steigenden Lebenserwartung verbunden. Ein höheres Rentenalter ist deshalb beispielsweise für Busfahrer, Kranken- und Altenpflegerinnen, Bauarbeiter oder Handwerker die schärfste Rentenkürzung. Sie haben ohnehin oft nur wenige Rentenjahre – nach Vorstellung der Liberalen werden es noch weniger. Außerdem steigt das Rentenalter bis 2031 ohnehin auf 67 Jahre und damit stärker als die Lebenserwartung. 

Zudem ist die Rente heute schon flexibel: Beschäftigte dürfen in der Regel ab 63 so früh oder spät in Rente gehen, wie sie wollen, auch jenseits der Regelaltersgrenze. Und sie dürfen so lange arbeiten, wie sie wollen und können – wenn die Gesundheit und der Arbeitsmarkt und die Arbeitgeber mitspielen. Das geltende Recht verbietet das nicht und setzt sogar Anreize: Für jeden Monat, den die Rente erst nach der Regelaltersgrenze beginnt, wird die Rente um 0,5 Prozent erhöht, pro Jahr sechs Prozent. 

Die eigentliche Herausforderung ist: Trotz aller Rufe nach Fachkräftesicherung ist der Arbeitsmarkt für viele ältere Beschäftigte wie zugemauert. Jahr für Jahr werden über 150.000 Menschen erwerbsunfähig. Arbeitgeber müssen mehr in Arbeits- und Gesundheitsschutz und in Weiterbildung investieren, damit Beschäftigte bis zur Regelaltersgrenze arbeiten können und auch einen Arbeitsplatz finden. Die Ampelkoalition darf Arbeitgeber hier nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. 

Die Koalition muss mit einem starken Sozialstaat und einer auskömmlichen Rente das notwendige Sicherheitsversprechen setzen, erst recht in unserer älter werdenden Gesellschaft. Höhere Altersgrenzen und andere Rentenkürzungen sind keine Lösung. Stattdessen brauchen wir gerechtere Wege zur Finanzierung einer guten Rente!