Psychotherapie und PKV

„Die Reaktionen der Versicherer sind nicht zeitgemäß.“

Psychisch Kranken bleibt der Weg in die private Krankenversicherung oft versperrt. Ob das Thema weiterhin ein PKV-Killerkriterium bleibt und worauf Makler in der Voranfrage achten sollten, erklärt PKV-Spezialistin Anja Glorius im procontra-Interview.

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08:08 Uhr | 25. August | 2022
Psychotherapie und PKV: „Die Reaktionen der Versicherer sind nicht zeitgemäß. Bild: KVoptimal.de

Kritisiert den Umgang der Versicherer mit PKV-Interessenten, die eine Psychotherapie in Anspruch genommen haben: Maklerin Anja Glorius. Bild: KVoptimal.de

procontra: Bei potenziellen Neukunden fragen PKV-Versicherer bis zu zehn Jahre rückwirkend, ob eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen wurde. Ist das in dem Abfragezeitraum der Fall, lehnen die meisten den Eintritt in die PKV ab. Warum wird es den Menschen so schwer gemacht?

Anja Glorius: Das diskutiere ich immer wieder mit den Versicherern. Schließlich nehmen immer mehr Menschen eine Psychotherapie in Anspruch. Allein in meinem Freundeskreis haben 75 Prozent aller Frauen schon einmal eine Psychotherapie gemacht. Die Behandlung hat sich im beruflichen, privaten und auch allen Lebensbereichen als Bereicherung etabliert. Heute muss niemand mehr sagen: „Augen zu und durch“. Ich habe das gegenüber den Risikoprüfern angesprochen, denn die Reaktionen der Versicherer sind bei dem Thema überhaupt nicht mehr zeitgemäß.

procontra: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Glorius: Ein Kunde von mir ist Soldat und kam aus Afghanistan zurück. Nach einem Auslandseinsatz sind Soldaten nach seiner Aussage verpflichtet sich bei einem Psychotherapeuten vorzustellen. Allein in dem Fall steigen schon die meisten Versicherer aus. Ich glaube, das sind Ängste aus alten Zeiten. Es ist doch ein Unterschied, ob jemand dauerhaft labil ist oder einmal punktuell Hilfe braucht. Das fällt den Versicherern in der Abgrenzung aber extrem schwer.

procontra: Allerdings ist der Fall mit dem Soldaten eher ein Einzelfall, oder?

Glorius: Nicht ganz. Ich habe eine Kundin, die Sexualtherapeutin ist. Auch Therapeuten müssen im Rahmen ihrer Ausbildung selbst Therapiestunden, die als „Selbsterfahrung“ bezeichnet werden, absolvieren. Aber auch das ist anzeigepflichtig. Also musste ich mir die Berichte ihres Therapeuten besorgen, der sie drei Jahre behandelt hat. Dann musste ich mir bestätigen lassen, dass sie keine psychische Störung hatte. Hinzukam allerdings, dass sie fünf Fehlgeburten hatte und auch das bei dem Therapeuten besprochen hat. Wir mussten dem PKV-Anbieter versichern, dass die Fehlgeburten keine psychischen Folgen hatten. Die Barmenia hat das am Ende auch gezeichnet. Es gibt eben auch Versicherer, die zeitgemäß reagieren, aber 75 Prozent aller Anbieter sind völlig an der Zeit vorbei.

procontra: Was sollten Makler unbedingt beachten, wenn sie eine Risikovoranfrage bei den Versicherern stellen?

Glorius: Makler müssen unbedingt immer anonymisiert die Risikovoranfragen an die Versicherer stellen. Wer zu viel preisgibt, hat es noch schwerer in die PKV zu wechseln. Wenn Makler gleich mit einem Antrag anfragen, kann ich nur mit dem Kopf schütteln: Wird nämlich ein PKV-Antrag – inklusive Vor- und Nachname des Kunden – beim Versicherer eingereicht und dann abgelehnt, muss die Ablehnung dem nächsten angefragten PKV-Anbieter mitgeteilt werden. Und schon entsteht eine zusätzliche Hürde. Bei gesetzlich Versicherten sollten Makler unbedingt die Patientenakte der kassenärztlichen Vereinigung einsehen, man kann sich nämlich gar nicht vorstellen, wie oft eine F-Diagnose* beispielsweise vom Hausarzt gestellt wird, ohne dass es die Kunden überhaupt wissen.

procontra: Welche Probleme haben Sie mit Kunden, wenn es um die Voranfrage geht?

Glorius: Kunden müssen ganz sicher sein, dass sie während des Abfragezeitraums nicht in Behandlung waren. Aber das ist nicht immer so leicht, wie es sich anhört: Wer ein berufliches Coaching bei einem Psychotherapeuten macht, muss auch das angeben. Man muss sogar eine Paartherapie angeben, die man selbst bezahlt und die eigentlich niemanden etwas angeht. Und all diese Angaben wirken sich in den meisten Fällen negativ auf die PKV-Voranfrage aus.

procontra: Also kann selbst ein Coaching, dass man aus beruflichen Gründen macht zu einer Ablehnung führen?

Glorius: Ja. Und manche denken auch: Ich war ja nicht beim Therapeuten, sondern habe „nur“ Psychopharmaka eingenommen. Aber auch das ist anzeigepflichtig. Man muss als Makler sehr genau beim Kunden nachfragen, denn eine Falschangabe, auch aus Versehen, führt in 90 Prozent der Fälle zu einem Rücktritt des Versicherers. Und selbst eine Paartherapie beim Psychotherapeuten, die Kunden selbst bezahlen, muss, wenn sie noch im Abfragezeitraum liegt, angegeben werden. Ich habe eine Kundin, die acht Sitzungen in Anspruch genommen hat nach einer ziemlich heftigen Trennung. Aber niemand wollte ihr das Krankentagegeld versichern. Ich konnte sie auch nicht neuversichern, denn die Therapie war erst zwei Jahre her. Sie liegt über der Jahresentgeltgrenze, konnte also nicht in die gesetzliche Krankenkasse wechseln, weil sie zuvor schon als Studentin PKV versichert war und ist jetzt schlechter versichert als gesetzlich Versicherte. Jetzt müssen wir also warten, bis sie aus dem Abfragezeitraum raus ist, aber das dauert recht lange. Das ist ein Thema, das alle in der Maklerschaft nervt.

procontra: Welche psychischen Leiden sehen die Versicherer denn besonders kritisch?

Glorius: Das typische Burnout, also die Erschöpfungsdepression.

procontra: In welchen Fällen ist es denn leicht vorherzusehen, ob der Versicherer einen PKV-Antrag ablehnt?

Glorius: Wenn eine Person eine Psychotherapie absolviert hat, die noch im Abfragezeitraum liegt, lehnen Versicherer fast immer ab. Allerdings muss man sich, auch wenn der Abfragezeitraum verstrichen ist, genau ansehen, wie die Fragen zu vergangenen Behandlungen formuliert sind. So fragt beispielsweise die Debeka zwar offiziell nur rückwirkend drei Jahre nach einer ambulanten und fünf Jahre nach einer stationären Behandlung. Aber die Formulierung in der Gesundheitsprüfung ist äußerst schwammig gestellt: „Bestehen Krankheiten, Unfallfolgen, körperliche oder geistige Beeinträchtigungen, die zu den bisherigen Gesundheitsfragen noch nicht angegeben wurden?“

procontra: Warum ist diese Frage problematisch?

Glorius: Die Frage ist schwierig, weil sie sehr offen gestellt wird. Da wird nach „bestehenden Krankheiten“ gefragt, aber das ist eine Interpretationsfrage. Ich würde es so lesen: Gibt es bestehende Beeinträchtigungen? Und nicht: Gab es. Je schwammiger die Fragen formuliert sind, desto eher wird es später Diskussionen darüber geben, wie diese Frage ausgelegt wird. Dann muss im Zweifel ein Gericht entscheiden, wie ein durchschnittlicher Verbraucher die Fragestellung verstehen würde. Aber wenn es der Vermittler schon nicht versteht, wie soll es dann ein Kunde verstehen?

procontra: Hat sich die Annahmepolitik in den vergangenen Jahren zum Positiven verändert?

Glorius: Nein, der Markt hat sich nicht an den neuen Umgang mit Psychotherapien angepasst. Die Verschlechterung kann man sogar messen: Die Axa hat sehr lange nur 3 Jahre nach Psychotherapie gefragt. Jetzt gibt es einen neuen Tarif, für den 8 Jahre lang nachgefragt wird und für alle anderen fünf Jahre. Vor etwa zehn bis zwölf Jahren konnte man das Thema Psychotherapie in der PKV ausschließen und einfach einen Leistungsausschluss vereinbaren. Doch den Versicherern dämmerte es, dass das nicht praxiskonform ist, denn beim Thema Psychosomatik gibt es immer Streit: Dann sagt der Versicherer, eine Erkrankung sei infolge der Psyche entstanden, wenn der Kunde das anders sieht, sieht man sich vor Gericht wieder.

procontra: Allerdings hat die PKV-Vollversicherung doch ein Problem: Der Bestand stagniert. Sollten Versicherer nicht allein vor diesem Hintergrund offener mit Interessenten umgehen, die in psychotherapeutischer Behandlung waren?

Glorius: Der Verlust dieser Kunden ist vermutlich zahlenmäßig so gering, dass es betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll wäre, dieses Risiko einzugehen. Das traut sich keiner schätze ich.

procontra: Was würden Sie sich von den Versicherern in Zukunft wünschen, wenn es um PKV-Interessierte geht, die in psychotherapeutischer Behandlung waren?

Glorius: Ich würde mir wünschen, dass Psychotherapien wegen anlassbezogener Leiden, wie eine Scheidung oder ein Todesfall, nicht so streng gewertet werden. Denn es ist doch etwas anderes, ob ich punktuell eine schwere Zeit habe oder ein Kindheitstrauma bewältigen muss. Versicherer sollten das Thema gesellschaftspolitisch neu bewerten und die Stigmatisierung beenden. Eine Therapie ist doch alltäglich geworden. Viele Menschen wollen einfach gesund bleiben. Aber der Präventionsgedanke spielt noch keine Rolle. Die Reaktionen der Versicherer führen dazu, dass Menschen nichts für ihre Seele und ihren Geist tun. Sie glauben immer noch: Wenn jemanden zu einer Therapie geht, wird er das immer wieder tun, dann ist er für immer angeknackts. Das halte ich für eine Farce.

* Der Buchstabe F bedeutet nach der medizinischen Klassifikationsliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Hinweis auf eine psychische Störung.