Nach Eurovita-Zerschlagung

Müssen auch deutsche Kunden um ihre Lebensversicherungsverträge bangen?

Mit der Eurovita-Krise stellt sich die Frage, ob die deutschen Lebensversicherer und ihre Kunden ein ähnliches Schicksal befürchten müssen. Was dafür und was dagegenspricht

Author_image
15:07 Uhr | 31. Juli | 2023
Sorgenvoller Mann

Mit der Eurovita-Krise und der aktuellen Überprüfung des Private Equity Investors Cinven stellt sich die Frage, ob die deutschen Lebensversicherer und Kunden ein ähnliches Schicksal befürchten müssen?

| Quelle: victoria gnatiuk

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass der italienische Versicherungskonzern Eurovita zerschlagen wird. Fünf Versicherer teilen den Konzern und damit auch die 350.000 Versicherungsverträge untereinander auf. Kunden können erst einmal bis Ende Oktober ihre Verträge nicht kündigen, die italienische Finanzaufsicht Ivass hat die Gelder des Lebensversicherers eingefroren, wie die Behörde gegenüber procontra bestätigt. Damit erhalten Eurovita-Kunden seit Februar dieses Jahres keine Auszahlungen mehr aus ihrer Rentenversicherung.

Die Umstände dürften deutsche Kunden mit derlei Policen aufhorchen lassen. Und zwar nicht allein deswegen, weil es um einen Versicherer geht, der sein Geschäft in erster Linie mit Lebensversicherungen bestritten hat. Vielmehr gehört Eurovita zur britischen Finanzgesellschaft Cinven, zu jenem Private Equity Unternehmen also, das Mehrheitseigner des hiesigen Abwicklungsspezialisten Viridium ist.

Diese Tatsache könnte Kunden insofern beunruhigen, als dass Cinven, nachdem Eurovita in Schieflage geraten war und den Investor um 400 Millionen Dollar bitten musste, lediglich einen Zuschuss in Höhe von 100 Millionen Dollar gewährte. Warum der Vermögensverwalter nur ein Viertel der benötigten Summe beigesteuert hat, konnte ein Mitarbeiter aus der deutschen Dependance des Unternehmens nicht sagen.

Ein schaler Beigeschmack aber bleibt und die Frage: Sollte Viridium in eine ähnliche Notlage kommen, droht dem Run-off-Unternehmen dann ein ähnliches Schicksal wie Eurovita? Und wie lässt sich ein solches Szenario verhindern?

Kunden verlieren bei Run-off möglicherweise Gruppenhaftung

Tatsächlich beobachtet die Finanzaufsicht den Fall Eurovita genau. „Sie wird die Erfahrungen aus der Eurovita-Krise bei kommenden Transaktionen zum Schutz von Run-off-Kunden berücksichtigen“, erklärt BaFin-Sprecher Norbert Pieper gegenüber procontra. Schließlich steht noch die Viridium-Übernahme von etwa 720.000 Zurich-Lebensversicherungsverträgen aus. „Die BaFin prüft derartige Transaktionen sehr gewissenhaft, insbesondere auch die Zuverlässigkeit und finanzielle Solidität des Erwerbers beziehungsweise der aufnehmenden Gruppe“, so Pieper. 

Anzeige

Die Finanzaufsicht wird demnach ihr Augenmerk besonders auf die Eigenmittel Viridiums vor und nach der Transaktion richten. Zumal die Versicherungsnehmer durch die Bestandsübertragung möglicherweise die Gruppenhaftung verlieren könnten, erklärt Pieper ohne konkreter zu werden. Eines liegt auf der Hand:  Bei der Zurich handelt es sich um einen großen Konzern mit entsprechenden Mitteln. Eine Stabilität, die auch ein Run-off-Spezialist vorweisen muss. Sollte die Sicherheit der Verträge allerdings durch die Übernahme beeinträchtigt werden, verlange die BaFin „Absicherungsmaßnahmen“.

Bleibt die Frage, welche Rolle das Verhalten Cinvens für Viridium spielt. Die italienische Finanzbehörde lässt nämlich aktuell im Zuge der Eurovita-Pleite den Vermögensverwalter überprüfen, wie der Versicherungsmonitor bereits berichtet hatte. Weder der zuständige Ivass-Bevollmächtigte Alessandro Santoliquido noch Cinven selbst wollen sich zu dem Vorgehen äußern. Die BaFin erklärt, die Eurovita-Krise habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Entscheidung beziehungsweise das Vorgehen der Finanzaufsicht. Es ist aber davon auszugehen, dass die Behörde erst einmal die Ergebnisse der Überprüfung abwarten wird, bevor sie einem Run-Off zustimmt.

Wenn tatsächlich Ende des Jahres die Vertragsfrist auslaufen sollte, muss der Verkauf des Zurich-Bestands an Viridium deswegen aber nicht auf wackligen Beinen stehen. Schließlich kann eine Vertragsfrist erweitert werden.  

Auch zu dem Gerücht, Cinven könnte die Lust am Run-Off-Geschäft verlieren, möchte sich das Geldhaus nicht äußern. Angesichts der Tatsache, dass das Geschäftsmodell eines Private Equity Investors auch im An- und Verkauf von Firmenanteilen besteht, kann zumindest bezweifelt werden, dass Cinven gerade jetzt seine Anteile wieder veräußert.

Unterschiedliche Geschäftsmodelle

Doch wie wahrscheinlich wäre eine ähnliche Pleite wie die von Eurovita bei einem deutschen Lebensversicherer? Glaubt man der Einschätzung eines Experten: nicht sehr wahrscheinlich. Schließlich unterscheidet sich das Geschäftsmodell beider Unternehmen grundlegend: Lebensversicherer in Italien setzen stärker auf das kurzfristige Spargeschäft. „Mit dem starken Zinsanstieg stiegen auch die Alternativen mit attraktiverem Zins. So kam es zu einer Stornowelle, für die Eurovita – auch aufgrund der stillen Lasten – nicht liquide genug war. Hierzulande liegt der Fokus auf dem langfristigen Altersvorsorgegeschäft, wodurch ich dieses Szenario für den deutschen Markt für unwahrscheinlich halte“, erklärt Max Happacher, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) gegenüber procontra.

Sollte es, rein hypothetisch, doch zu einer ähnlichen Gemengelage wie in Italien kommen, könnte die BaFin laut Gesetz zwar ebenfalls „alle Arten von Zahlungen zeitweilig“ verbieten. Doch handelt es sich dabei, wie BaFin-Sprecher Pieper betont, um eine „ultima ratio“.

Zumal der BaFin-Sprecher die Gefahr einer ähnlichen Entwicklung eher hierzulande nicht sieht. Zum einen, weil die Versicherer hinsichtlich ihrer Liquidität über ausreichende Puffer verfügen würden. Und: „Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass Kunden in größerem Umfang ihre Verträge kündigen.“ Das sei aus BaFin-Sicht auch nicht zu erwarten. Tatsächlich war die Stornoquote entgegen den Erwartungen sogar leicht rückläufig wie die Ergebnisse des aktuellen LV-Checks zeigen.

Das ist insofern erstaunlich, als dass das LV-Geschäft zu den meisten Konflikten zwischen Kunden und Anbietern führt. Das zeigt zum einen ein Blick auf den Jahresbericht des Versicherungsombudsmanns, bei dem über 2.000 Beschwerden im vergangenen Jahr eingegangen sind. Die BaFin wiederum zählte über 1.000 Beschwerde und damit über acht Prozent mehr als im Vorjahr. Die größten Anbieter schneiden jedoch fast alle besser ab als der Durchschnitt. Deutlich höhere Beschwerdequoten haben im Gegensatz dazu die Run-off-Plattformen wie die zur Viridium-Gruppe gehörende Entis Lebensversicherung. Während die Quote im Jahr 2021 noch bei 97,04 lag, kommt der Abwickler für das vergangene Jahr auf fast 136 – auf gut 66.000 Verträgen fallen neun Beschwerden. Unter den Lebensversicherern mit mehr als 100.000 Verträgen im Bestand heben sich vier Run-off-Unternehmen deutlich ab. Davon gehören drei, Skandia, Heidelberger Leben und Proxalto, zur Viridium-Gruppe. Mittlerweile melden Verbraucherschützer indessen weniger Beschwerden in Bezug auf Proxalto.

Eurovita und Proxalto: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

All das nützt Eurovita-Kunden wenig. Sie haben zum Teil nur zufällig aus der Presse erfahren, dass die Auszahlungen gestoppt worden sind, kritisiert Gunde Bauhofer, Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Südtirol. Während die einen über die ausbleibenden Zahlungen verärgert waren, zeigten sich andere verunsichert. „Sie befürchteten, das investierte Geld zu verlieren“, so Gunde. In den meisten Fällen handele es sich um Lebensversicherungsverträge ohne festgelegte Laufzeit, die bereits in den Neunzigerjahren abgeschlossen wurden. „Viele Verbraucher*innen haben jährlich hohe Prämien eingezahlt, oder beispielsweise ihre Abfertigung nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses in die Versicherung gesteckt. Teilweise haben uns Verbraucher*innen von Summen in Höhe von bis zu 300.000 Euro berichtet.“ Eurovita habe jedoch so gut wie keine Informationen über den Auszahlungsstopp an die Kunden weitergeleitet.

Ausbleibende oder fehlerhafte Auszahlungen kennen auch Proxalto-Kunden. Doch lagen die Gründe dafür in einer IT-Umstellung. Immerhin müssen 2,2 Millionen Verträge und 900 unterschiedliche Tarife auf eine neue Plattform übertragen werden. Das habe zu „spürbaren Einschränkungen im Service“ geführt. „Inzwischen sind die Nacharbeiten in der IT und im Kundenservice sehr weit fortgeschritten, die Prozesse laufen zunehmend reibungslos, wenngleich weitere temporäre Auswirkungen im Kundenservice nicht völlig auszuschließen sind“, so CEO Tilo Dresig, Vorstandsvorsitzender der Viridium Gruppe.