Gespräch mit einem Krisenberater

„Der größte Fehler besteht darin, auf Katastrophen nicht vorbereitet zu sein.“

Im Notfall, einer Krise oder Katastrophe stehen Versicherungsmakler besonders im Fokus: Sie müssen erreichbar sein, Lösungen anbieten und im Zweifel auch ihre Kunden trösten. Was sollten Makler dabei besonders beachten und welche Fehler gilt es unbedingt zu vermeiden?

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09:11 Uhr | 15. November | 2021
Flutkatastrophe im Ahrtal

Versicherungsmakler müssen gerade in Krisen einen kühlen Kopf bewahren. „Der größte Fehler besteht darin, auf Katastrophen nicht vorbereitet zu sein“, sagt Krisenberater Michael Blaumoser.

| Quelle: picture alliance/Geisler Fotopress/Christoph Hardt

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Unwetterereignisse wird es auch für Makler vor Ort immer herausfordernder ihren Kunden mit der nötigen Empathie und Krisenfestigkeit zu begegnen, zumal sie selbst oft ebenso von dem jeweiligen Ereignisfall betroffen sind und ihre eigene Handlungsfähigkeit aufrechterhalten müssen. Darüber hinaus müssen sie hin und wieder, wenn Schäden nicht abgedeckt sind, wie bei der jüngsten Flutkatastrophe, auch schlechte Nachrichten überbringen. Das erfordert nicht nur Krisenresilienz, sondern auch Krisenkompetenz. Michael Blaumoser, CEO von Sius Consulting, einem Unternehmen für Sicherheits- und Krisenmanagementberatung, hilft Unternehmen dabei, sich auf ein Ereignis X vorzubereiten. Er sagt: „Wir haben Kunden, die fangen bei null an und erstaunlicherweise sind auch viele Großunternehmen darunter.“ Doch was können Versicherungsmakler lernen, wenn es darum geht, ihre Kunden kompetent und einfühlsam zugleich durch eine Krise zu manövrieren?

procontra: Herr Blaumoser, auch in Deutschland nehmen Unwetterereignisse vor dem Hintergrund des Klimawandels zu – Tendenz steigend. Versicherungsmakler sind mehr denn je gefragt, ihre Kunden gut durch solche Krisen zu begleiten. Worauf sollten sie dabei achten?

Michael Blaumoser: Nehmen wir als Beispiel den Makler in einem Flutgebiet, der selbst von der Katastrophe betroffen ist: Für ihn gilt im Prinzip das Gleiche wie für die Beschäftigten der Hilfsorganisationen wie der freiwilligen Feuerwehren: Er sollte auch dann „ausrücken“, wenn er selbst von einem Ereignis betroffen ist. Ihm muss klar sein, dass er Abstriche machen und für seine Kunden erreichbar sein sollte. Weil bei solchen Lagen oft das Telefonnetz nicht mehr funktioniert, sollte er sich daher vorab überlegen, wie er dennoch eine gewisse Erreichbarkeit im Ereignisfall sicherstellen kann. Vieles lässt sich bereits im Vorfeld proaktiv vorbereiten.

procontra: Sie beraten Unternehmen im Bereich „Notfall- und Krisenmanagement“. Worin besteht der Unterschied zwischen einem Notfall und einer Krise?

Blaumoser: Grundsätzlich wird zwischen Störung, Notfall, Krise und Katastrophe unterschieden. Nehmen wir als Beispiel ein defektes Stromkabel: Es kann den Arbeitsalltag stören, weil die Stromzufuhr unterbrochen ist. Wenn sich das Kabel entzündet, eskaliert die Störung zu einem Notfall, der einen Schaden nach sich ziehen kann und eigenständig, also ohne Brandschutzkenntnisse, nur schwer zu beheben ist. Wenn dann die Flammen auf den gesamten Bereich oder gar die Etage übergreifen, kann das existenzbedrohende Ausmaße annehmen. In diesem Fall spricht man von einer Krise. Übrigens: Ein Großschadensereignis, das sich im öffentlichen Raum ereignet und durch Behörden und Hilfsorganisationen nur unter einheitlicher Leitung der Katastrophenschutzbehörden bewältigt werden kann, ist eine Katastrophe. Ein Terroranschlag oder das Flutereignis im Raum Ahrweiler zählen beispielsweise in diese Kategorie.

Michael Blaumoser, Meister für Schutz und Sicherheit

Michael Blaumoser, Meister für Schutz und Sicherheit, rät Maklern, sich im Vorfeld konkret auf einen Krisen- und Katastrophenfall vorzubereiten.

| Quelle: Michael Blaumoser

procontra: Wie sollten sich Makler denn auf einen Notfall beziehungsweise auf eine Krise vorbereiten?

Blaumoser: Makler sind das Sprachrohr zwischen Versicherten und Versicherern. Im Fall der Flutkatastrophe würde ich Maklern raten, sich bereits vorab ein Dokument zu erstellen, in dem auf der einen Seite die gegen Elementarschaden versicherten Kunden und auf der anderen Seite die unversicherten Kunden stehen. Dann sollte man die Zielgruppen betrachten, denn die Kommunikation muss jeweils eine andere sein, Stichwort: Empathie. Makler müssen sich die Fragen stellen: Worin bestehen meine Aufgaben bevor ein Ereignisfall eintritt und im Schadensfall? Welche Fragen und Bedürfnisse werden an mich gerichtet? Wie und wann erhalten Kunden Hilfe? An wen können sie sich wenden, wenn persönliche Dokumente durch die Flut oder einen Brand vollständig verloren gegangen sind? Bei solchen Ereignissen wie in Ahrweiler muss man natürlich bedenken, dass man auch bei versicherten Personen nicht freudestrahlend sagen sollte: „Wunderbar Herr Müller, Sie sind versichert!“, vielleicht werden sein Kind oder seine Frau noch vermisst. Makler sollten vorher eine Checkliste erstellen und zum Beispiel mitaufnehmen, dass man Kunden auch die Nummer der regionalen psychosozialen Notfallversorgung aushändigt. Oder ihnen sagt, wo sich eine Sammelstelle für Essen und Getränke befindet.

procontra: Wie sollten Makler mit Kunden ohne eine entsprechende Versicherung umgehen?

Blaumoser: Sehr ähnlich: Man hat es in beiden Fällen mit Personen zu tun, die eventuell traumatisiert sind, wenn Angehörige vermisst werden und/oder das gesamte Hab und Gut zerstört wurde. Das ist eine enorme psychische Ausnahmesituation, in der Menschen meist nicht auf Anhieb wissen, an wen sie sich wenden können. Im Zweifelsfall rufen sie ihren Makler an, weil sie davon ausgehen, dass er es weiß. Eine Lösung für betroffene Kunden könnte zum Beispiel darin bestehen, die Katastrophenschutzbehörde auf dem Schirm zu haben. Dann könnte man sie noch darüber informieren, dass es in der Regel eine staatliche Unterstützung gibt, man zwar nicht absehen könne, wie hoch diese ausfallen werde, die Kunden sich aber an eine bestimmte Stelle wenden können. Grundsätzlich gilt: Man muss sich diese Informationen im Vorfeld zurechtlegen und im Katastrophenfall griffbereit haben.

procontra: Was raten Sie Maklern, die von einer Situation selbst betroffen sind?

Blaumoser: Sie sollten in einem solchen Moment zurückstecken und für ihre Kunden da sein. Das ist Teil des Jobs, so wie es auch bei Feuerwehrleuten oder Ärzten der Fall ist. Kunden haben die berechtigte Erwartungshaltung, dass Makler in einem solchen Fall für sie da sind. Das ist aber insofern herausfordernd, weil gleichzeitig das Zeitempfinden ein anderes geworden ist: Menschen wollen heute immer alles sofort haben und nicht mehr warten: Wenn sie etwas zügig benötigen, bestellen sie es beispielsweise bei Amazon, weil es dann schnell geliefert wird. Ähnlich ist es bei Versicherungen: Viele wollen nicht lange in der Servicehotline des Versicherers hängen, sondern rufen lieber den ihnen bekannten Makler an. Darauf sollte man sich einstellen.

procontra: Wie sollten Makler kommunikativ im Schadenfall auf ihre Kunden reagieren? Gibt es allgemeingültige Sätze, zu denen Sie raten?

Blaumoser: Große Unternehmen haben eine Kommunikationsabteilung, die geschult ist und Statements verfassen. Es gibt aber eine Besonderheit: Wenn das Ereignis eine bestimmte Kritikalität überschritten hat, also wenn beispielsweise Personen zu Schaden gekommen sind, dann sollte nicht der Pressesprecher geschickt werden. Da muss der Firmenchef vortreten und sich äußern. Der muss dann entsprechend kommunikativ vorbereitet werden. Wenn aber kleine Betriebe oder Makler vor Ort reagieren sollen, dürfen sie keine vorgefertigten Sätze nutzen. Das merken die Betroffenen meist schnell. Sie erkennen dann ihren Makler nicht wieder und das führt zu Unmut. Makler müssen rausgehen, zu und mit den Menschen sprechen. Dazu ist man entweder in der Lage oder eben nicht. Aber sich mit Satzbausteinen hinzustellen, das geht in der Regel schief. Makler sollten es aber auch nicht mit der Empathie übertreiben, das wird negativ aufgefasst und wirkt schnell von oben herab. Makler sollten auf der Sachebene bleiben und sich vorher überlegen, welche essenziellen Fragen auf sie zukommen, denn diese Informationen sind es, die Kunden am meisten interessieren.

procontra: Welche Expertise, bezogen auf die unterschiedlichen Kommunikationskanäle, benötigen Makler?

Blaumoser: Ich würde mir erst einmal gar nicht so viele Gedanken machen, wie ich auf Social Media kommuniziere, sondern überlegen: Wie kommuniziere ich mit meinen Kunden, wenn die technische Infrastruktur ausgefallen ist? In Regionen, in denen das Risiko für Hochwasser besonders hoch ist, sollten Makler im Vorfeld ihren Kunden sagen: „Wenn es zum Ereignisfall kommt, werde ich mich am zentralen Treffpunkt, also der Sammelstelle, einfinden und bin dort für Sie erreichbar.“ Kunden können diesen Ort auch bei der Katastrophenschutzbehörde erfragen und müssen nur noch dort hinkommen. Für andere Fälle, in denen die technische Infrastruktur noch funktioniert, können Makler im Vorfeld eine sogenannte „Darksite“ auf ihrer Website erstellen, die im Normalfall nicht sichtbar ist. Im Moment eines Ereignisfalls aktiviert der Makler die Seite, auf der sich dann nur noch die relevanten Informationen für Betroffene befinden – frei von jeglicher Werbung und irrelevanten Informationen. Dort können Kunden erfahren, was sie aufgrund des aktuellen Ereignisses tun können und sollten. Wenn ein Makler weiß, er braucht von seinen Kunden bestimmte Vorabinformationen, kann er diese auf der „Darksite“ abfragen, damit die Kunden vor dem Gespräch alle nötigen Informationen beisammenhaben. Erst am Ende der Checkliste folgt die Telefonnummer des Maklers. So eine Seite lässt sich übrigens auch für Social-Media-Kanäle erstellen.

procontra: Worin bestehen die häufigsten Fehler im Notfall- und Krisenmanagement?

Blaumoser: Der größte Fehler, der meist von familiengeführten, mittelständischen Unternehmen begangen wird, besteht darin, sich nicht oder nicht ausreichend auf Notfälle und Krisen vorzubereiten und im Ereignisfall gar nicht oder zu spät zu kommunizieren. Das eskaliert dann schnell. Wer zu spät kommuniziert, provoziert manchmal sogar noch. Das führt dann häufig zu einer Eskalation, wie es zum Beispiel beim Schlachtbetrieb Tönnies der Fall war. Das ist in der heutigen Zeit der völlig falsche Ansatz. Selbst, wenn genaue Fakten noch nicht vorliegen, muss etwas getan werden: Es geht im Prinzip erstmal darum, dass man Flagge zeigt. Hier gereift im Übrigen auch der Spruch „Wer nicht handelt, wird behandelt!“. Das trifft auf die Krisenkommunikation meines Erachtens nach ganz gut zu. Man muss noch schneller als früher versuchen, das Sprachrohr zu sein, bevor sich die Kommunikation verselbstständigt. Ich rate auch dringend davon ab, in solchen Fällen in den sozialen Medien irgendetwas Irrelevantes zu posten: Also zum Beispiel, wenn ein Makler im Flutgebiet die Schippe in die Hand nimmt, sich dabei fotografieren lässt und das Bild online postet, mag das fürs Ego gut sein. Aber Versicherte interessiert das herzlich wenig, schließlich packen ja alle mit an.

procontra: Wie verhindert man einen Shitstorm? Wie sollten Makler vorgehen, wenn sie Teil eines Shitstorms geworden sind und ein Verlust der Reputation droht?

Blaumoser: Man sollte immer die eigenen Marketingmaßnahmen überdenken. Stellen Sie sich vor, Sie sind Hersteller von Sicherheitsschuhen und es kommt zu einem tödlichen Arbeitsunfall in einem Betrieb, weil jemand mit den Schuhen die Treppe runtergefallen ist und sich dabei das Genick gebrochen hat. Gleichzeitig haben Sie eine Werbekampagne laufen, in der Sie genau mit einer solchen Situation und dem Slogan werben: „Mit unseren Schuhen wäre Ihnen das nicht passiert.“ Da muss man genau aufpassen. Oder wenn ein Makler mit dem Spruch wirbt: „Ich bin immer für Sie da!“ und er ist es nicht, dann wird es im Nachhinein sicherlich schwierig. In jedem Fall sollte man sich nicht noch mit Kommentaren dagegen wehren, sondern auf fachkundige Hilfe aus den eigenen Reihen der Versicherer setzen.

procontra: Trotz guter Vorbereitung werden sich Fehler nicht immer vermeiden lassen, wodurch das Kunden-Vertrauen Schaden nehmen kann.  Wie können Makler verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen?

Blaumoser: Wenn ein Makler im Nachhinein feststellt, dass er ziemlichen Mist gebaut hat, also während der Flutkatastrophe nicht ans Telefon gegangen ist, weil er sich um sein eigenes Haus gekümmert oder falsch beraten hat, dann muss er mit offenen Karten spielen. Man sollte sich in einer ruhigen Minute hinsetzen und alles aufschreiben, was man falsch gemacht hat und was einem vorgeworfen wird. Dazu muss man sich die Antworten notieren wie zum Beispiel: Das Telefonnetz war ausgefallen, niemand war erreichbar. Wer falsch beraten hat, sollte das zugeben und erklären können, wie es dazu gekommen ist. Gerade für Makler, die in kleineren Regionen arbeiten, ist ein schlechter Ruf existenzbedrohend. Fehler müssen auch eingestanden werden und sollten dazu anregen es zukünftig besser zu machen.

procontra: Was ärgert Sie besonders im Umgang mit Katastrophen?

Blaumoser: Was mich fuchsig macht ist, wenn einzelne Stellen vehement behaupten, sie hätten die Katastrophe ja nicht kommen sehen. Institutionen, aber auch jeder Einzelne sollten sich mit Krisen und Katastrophen auseinandersetzen. Alle sollten sich mit präventiven Maßnahmen beschäftigen und sich überlegen, wie sie im Ereignisfall reagieren wollen – auch wenn solche Fälle nur selten eintreten. Denn wenn sie auftreten, meist mit voller Wucht und ziemlich gnadenlos. Man darf dabei aber auch nicht den Fehler machen, so zu tun als hätte man vorher schon alles gewusst. Wichtig ist es, nach einem Ereignisfall im Idealfall überregional aus den Erkenntnissen zu lernen und Maßnahmen zur „Fehlerbehebung“ und Optimierung zu ergreifen, die sich gegebenenfalls auch auf andere Bereiche projizieren lassen. Denn nur so geht eine Verbesserung – Schuldzuweisungen und Lippenbekenntnisse helfen da nur wenig.