Einschränkung des LV-Widerrufsrechts – Schlappe für den Verbraucherschutz?
Pro-Kommentar
Die bisherige Regelung zum Widerrufsrecht ist einfach und konsequent. Ihre Aufweichung ist ein trauriges LehrstückStephen Rehmke
Vorstand Bund der Versicherten e. V
Künftig soll das Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen nach gut einem bzw. zwei Jahren erlöschen, selbst wenn grundlegende Informationen des Unternehmens zum Vertrag falsch sind oder fehlen. Ist das ein Rückschritt für den Verbraucherschutz? Klar, was sonst.
Bislang muss ein Versicherer mit einer empfindlichen Konsequenz rechnen, wenn er seinen Informationspflichten nicht nachkommt. Denn solange beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen und der Vertrag kann auch Jahre später aufgelöst werden. Wirtschaftlich bedeutsam ist das bei Kapitallebensversicherungen. Als Folge des Widerrufs dürfen nämlich die hier teils immensen Abschluss- und Vertriebskosten nicht einbehalten werden, der sonst übliche Stornoverlust einer Kündigung bleibt aus.
„Widerrufsbelehrung keine Raketenwissenschaft"
Nun ist die ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung und die Wiedergabe aller vertragsrelevanten Informationen keine Raketenwissenschaft. Der Gesetzgeber hat dafür Muster zur Verfügung gestellt und die zu erteilenden Informationen detailliert in einer Verordnung geregelt. Für kundenorientierte Unternehmen sollte es selbstverständlich sein, sie verständlich und vollständig aufzubereiten. Wem das nicht gleich gelingen will, ist nicht schutzlos. Mit einer Nachbelehrung kann jederzeit ein Fehler ausgebügelt und die Frist von 30 Tagen in Gang gesetzt werden.
Die bisherige Regelung zum Widerrufsrecht ist insofern einfach und konsequent. Ihre Aufweichung ist ein trauriges Lehrstück.
Denn die Möglichkeit zur Nachbesserung wählt im Zweifel kaum ein Versicherer. Stattdessen wehren die Unternehmen Widerrufsrechte mit juristischen Mitteln ab und argumentieren, dass der Informationsfehler nebensächlich und das Verhalten ihrer Kundschaft treuwidrig sei. Das spricht Bände: Wer überzeugt ist, dass sein Finanzprodukt einen echten Kundennutzen bietet, muss auch keinen Abrieb befürchten, wenn er ein Informationsdefizit ausräumt.
Die Lebensversicherer verweisen zum Leidwesen der Rechtsschutzsparte lieber auf den Rechtsweg. Die Standardfehler in den Vertrags- und Widerrufsinformationen ermöglichen findigen Anwaltskanzleien automatisierte Schriftsätze. Früh eröffnete sich so ein neues Geschäftsmodell - unter reger Beteiligung der Finanzbranche. Es gibt nicht wenige Beispiele an Finanzvertrieben, die nach Lebensversicherungskunden geforstet und sie als Widerrufsmandate vermittelt haben.
Überforderte Gerichtsbarkeit
Die Massenverfahren überforderten schnell die Gerichtsbarkeit. Ihr gelingt es bis heute nicht, hinreichend konkrete, verbindliche und europarechtskonforme Aussagen zu treffen, unter welchen Voraussetzungen ein Widerruf anzuerkennen und nach welchen Maßgaben die Vertragsabwicklung vorzunehmen ist.
Jetzt zieht der Gesetzgeber kopflos und weichgekocht vom ewigen Lamenti der Versicherer und der Justiz den Stecker. Für die eigentlichen Ursachen findet sich dagegen keine Lösung: Wer aus einem nutzlosen Lebensversicherungsvertrag aussteigen will, muss kräftig draufzahlen. Und der Versicherer, der schlecht informiert, muss sich kaum bessern. Für ihn spielt künftig die Zeit.
Contra-Kommentar
Diese Reform ist keine Niederlage für den Verbraucherschutz, sondern eine ChanceNorman Wirth
Geschäftsführender Vorstand des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung
Wer heute eine Lebens- oder Rentenversicherung abschließt, genießt bereits einen der stärksten Schutzmechanismen des europäischen Verbraucherrechts: das 30-tägige Widerrufsrecht. Innerhalb dieses Zeitraums können Kundinnen und Kunden ihre Entscheidung überdenken, Unterlagen prüfen und ohne Angabe von Gründen vom Vertrag zurücktreten. Dieses Recht bleibt auch nach der geplanten Reform vollständig erhalten. Schon deshalb ist die Rede von einer „Schlappe für den Verbraucherschutz“ irreführend. Kein Verbraucher verliert dieses Recht.
Worum geht es also wirklich? Das sogenannte „ewige Widerrufsrecht“ war ursprünglich als Ausnahme gedacht, entwickelte sich aber in der Praxis zu einem massiven Unsicherheitsfaktor. Kleinste Fehler in Widerrufsbelehrungen führten dazu, dass Verträge noch nach Jahren oder gar Jahrzehnten rückabgewickelt werden konnten. Für Verbraucher klang das auf den ersten Blick wie ein Vorteil – führte häufig aber zu langen Prozessen, unklaren Ergebnissen und hohen Kosten. Für Versicherer und Vermittler bedeutete es ein unkalkulierbares Risiko, das wiederum alle Versicherten über höhere Kosten mittragen mussten.
„Höchste Zeit, für Klarheit zu sorgen"
Genau deshalb ist es höchste Zeit, hier für Klarheit zu sorgen. Der aktuelle Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung, bleibt aber halbherzig. Denn er sieht vor, dass die Ausschlussfrist von 24 Monaten und 30 Tagen nur dann gilt, wenn die Widerrufsbelehrung „ordnungsgemäß“ erteilt wurde. Ist die Belehrung zwar vorhanden, aber inhaltlich fehlerhaft, können auch künftig noch Jahre später Widerrufe erfolgen. Das heißt: Das „ewige Widerrufsrecht“ bleibt faktisch bestehen – über neue juristische Hintertüren.
Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW fordert deshalb eindeutige Regeln:
Die Frist von 24 Monaten und 30 Tagen muss immer gelten, sobald eine Belehrung erteilt wurde – auch wenn diese kleinere inhaltliche Fehler enthält.
Nur wenn eine Belehrung vollständig fehlt, darf das Widerrufsrecht unbefristet bestehen bleiben.
Zudem muss der Gesetzgeber klarstellen, dass die Neuregelung auch für bestehende Verträge gilt. Ohne diese Rückwirkung bliebe die Unsicherheit für Millionen Policen erhalten – und das Problem würde die Branche noch jahrzehntelang begleiten.
Damit ist auch klar: Diese Reform ist keine Niederlage für den Verbraucherschutz, sondern eine Chance, endlich fairen Ausgleich zu schaffen. Verbraucherinnen und Verbraucher behalten ihr starkes Widerrufsrecht. Gleichzeitig werden alle Beteiligten vor den Folgen endloser Rechtsstreitigkeiten geschützt. Denn Rechtssicherheit ist selbst Verbraucherschutz: Wer für seine Altersvorsorge jahrzehntelang plant, braucht die Gewissheit, dass Verträge nicht durch formale Spitzfindigkeiten noch nach Jahren ins Wanken geraten.
Also: Die geplante Reform schwächt Verbraucherrechte nicht. Im Gegenteil – sie könnte Verbraucher und Branche gleichermaßen stärken, wenn der Gesetzgeber den Mut zu klaren Grenzen hat. Halbherzige Lösungen dagegen helfen niemandem, außer vielleicht den Prozessanwälten. Wer Vertrauen in die private Altersvorsorge will, muss für Eindeutigkeit sorgen – im Interesse aller Verbraucherinnen und Verbraucher.
Pro & Contra zur Reform des Widerrufsrechts bei Lebensversicherungen
Pro
Mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten
Planbarkeit im Bestand
Bekämpfung missbräuchlicher Geschäftsmodelle
Contra
Schwächung des Verbraucherschutzes
Fehlanreize für Versicherer
Rückwirkung auf bestehende Verträge unklar