Interview mit Mirjam Mohr

„Wir raten Immobilieninteressierten zu einem Kassensturz“

Hohe Immobilienpreise, emporschnellende Baukosten und jetzt auch noch steigende Zinsen trüben das Umfeld für Kreditnehmer ein. Was es für derzeitige und künftige Bauherren zu beachten gilt, verrät Interhyp-Vorständin Mirjam Mohr im procontra-Interview.

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12:01 Uhr | 19. Januar | 2022
Interhyp-Vorständin Mirjam Mohr. Bild: Interhyp/Fotograf: Andreas Pohlmann

Geht von steigenden Bau-Zinsen aus: Interhyp-Vorständin Mirjam Mohr. Bild: Interhyp/Fotograf: Andreas Pohlmann

procontra: Wird es immer schwieriger sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen?  

Mirjam Mohr: Die Zinsen liegen heute bei rund einem Prozent für zehnjährige Darlehen. Das ist im historischen Vergleich noch immer sehr niedrig. Vor zehn Jahren lagen die Konditionen bei mehr als dem Dreifachen der heutigen Niveaus. Insofern ist die Finanzierung sehr günstig. Allerdings sind die Immobilienpreise in den letzten zehn Jahren sehr stark gestiegen, in 2020 und 2021 noch einmal besonders deutlich. Dazu hat auch die Corona-Krise beigetragen. Das eigene Zuhause als Ort der Sicherheit ist stärker in den Fokus geraten, zum Beispiel auch, weil das Home-Office an Bedeutung gewonnen hat. Das hat die Nachfrage nach Immobilien zusätzlich angeheizt. Die gestiegenen Baukosten haben ihr übriges beigesteuert, sodass Immobilienkäufer zwar einerseits von niedrigen Zinsen profitieren, dies aber hohen Preisen entgegensteht. Die positiven Zinseffekte wiegen für viele Menschen die Preissteigerungen nicht mehr auf. Vor allem der Eigenkapitaleinsatz, der für eine Finanzierung nötig ist, erschwert der Kauf.

procontra: Könnten Sie die Entwicklung bei den Preisen und Baukosten konkretisieren?  

Mohr: Einige Zahlen zeigen das sehr eindrucksvoll: Vor zehn Jahren lag der Durchschnittspreis für eine finanzierte Immobilie noch bei etwa 290.000 Euro inklusive Nebenkosten – heute sind es schon rund 490.000 Euro, also rund 200.000 Euro mehr. Allein in den letzten zwei Jahren sind die Preise pro Jahr etwa um 10 Prozent gestiegen. Im vergangenen Jahr haben wir auch eine deutliche Steigerung der Baukosten gesehen. Gründe für die gestiegenen Kosten beim Bau sind auf der einen Seite die Lieferengpässe aufgrund der Corona-Pandemie, daneben aber auch die Inflation und die in 2020 abgesenkte Mehrwertsteuer. Eine kürzlich von uns durchgeführte Umfrage unter Bauleuten, die im vergangenen Jahr über uns finanziert hatten, zeigt, dass mehr als zwei Drittel die Kostenexplosion beim Bau stark oder sogar sehr stark spüren. Viele berichten von einem signifikanten Anstieg der Kosten: Für fast ein Drittel haben sich die Kosten um weniger als 10 Prozent verteuert, für über 40 Prozent um zehn bis 20 Prozent, für ein Fünftel um 20 bis 40 Prozent und für fünf Prozent der Umfrageteilnehmer sogar um mehr als 40 Prozent. Diese Kostensteigerungen werden von unseren Baufrauen und Bauherren als sehr belastend empfunden. Die stärksten Anstiege beziehungsweise Lieferverzögerungen haben wir übrigens bei Holz gesehen. Bei Glas oder Dämmmaterial waren die Wartezeiten oder Kostenanstiege zwar auch vorhanden, aber nicht so eklatant spürbar.  

procontra: Welche Regionen sind davon besonders betroffen?  

Mohr: Wir können vor allem die Gesamtpreise auf Basis der Städte und Bundesländer mit unseren Daten betrachten. Wir sehen hohe Kauf- und Baupreise vor allem in den Metropolen und in ihrem Umland. Besonders hohe Preise finden sich in und um München, aber auch in Hamburg, Frankfurt und Stuttgart. Betrachten wir die Bundesländer, so sind Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, aber auch Berlin – und eben Hamburg – besonders teuer, was die Preise für den Bau oder Kauf betrifft.  

procontra: Bleiben wenigstens die Zinsen niedrig?  

Mohr: Wenn wir auf die Zinspolitik, Inflation und Konjunkturentwicklung schauen, so gehen wir davon aus, dass die Entwicklungen in 2022 einen weiteren Zinsanstieg bei Immobiliendarlehen wahrscheinlich machen. Wir rechnen nicht mit sehr großen Zinssprüngen innerhalb kurzer Zeit. Wir erwarten einen leichten, aber merklichen Anstieg der Bauzinsen im Bereich mehrerer Zehntelprozentpunkte. Das prognostizieren zu Jahresbeginn auch alle von uns befragten Banken im monatlichen Bauzins-Trendbarometer, das wir für unseren monatlichen Zinsbericht erheben.  

procontra: Wir haben also hohe Immobilienpreise, hohe Baukosten und demnächst höhere Zinsen. Was raten Sie Immobilieninteressenten in dieser Situation?  

Mohr: Wir raten Immobilieninteressenten zunächst zu einem Kassensturz. So können Käufer und Käuferinnen herausfinden, wie viel Geld ihnen für eine Immobilienfinanzierung zur Verfügung steht – und welcher maximal mögliche Immobilienkaufpreis sich daraus ergibt. Der Kassensturz ist möglich, indem die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Vorjahres gegenübergestellt werden. Möglich ist das zum Beispiel über die vielen kostenlosen Rechner und Tools auf unserer Website. Sinnvoll dafür ist auch eine Finanzierungsberatung. Das ist bei uns zum Beispiel schon vor der Objektsuche möglich. Mit einer vorgeprüften Finanzierung ist es oft leichter, den Zuschlag zu erhalten. Bauherren sollten mit Blick auf hohe Baukosten Sicherheitspuffer einplanen – unsere Beraterinnen und Berater empfehlen immer schon einen Puffer von rund zehn Prozent, doch heute ist dieser Puffer umso wichtiger für die Kunden und kann auch mal über zehn Prozent liegen. Außerdem raten wir, die Kosten im Vorfeld gut abzuklären, und darauf zu achten, ob und wie lange es eine Preisgarantie von Herstellerseite gibt. Für die Finanzierung raten wir zu langen Zinsbindungen von mehr als 10 Jahren, etwa 15 Jahren oder länger, und hohen Tilgungen von drei Prozent und mehr. Zudem ist Eigenkapital wichtig für eine sichere Finanzierung, die Banken honorieren einen hohen Eigenkapitaleinsatz auch mit niedrigeren Zinsen. Wir empfehlen, mindestens 20 Prozent vom Bau- oder Kaufpreis plus die Nebenkosten aus Eigenmitteln zu bestreiten.  

procontra: Und wenn dennoch während der Bauphase Zeit und Kosten aus dem Ruder laufen?  

Mohr: Dann kann sich der Puffer in der Kalkulation auszahlen. Zum Teil können allerdings auch Nachfinanzierungen nötig werden. Was die Bauverzögerungen angeht, so lohnt es sich oft, eine lange bereitstellungszinsfreie Zeit zu vereinbaren. Wir sehen heute, dass zwölf Monate oft nicht ausreichen und empfehlen je nach Bauvorhaben sogar bis zu 24 Monate, wenn die Banken dies mittragen. Wichtig zu wissen ist dabei auch, dass Bau nicht gleich Bau ist. Ein Fertighaus kann zum Teil immer noch in drei Monaten fertiggestellt werden, wohingegen Architektenhäuser oder Massivbauten ein Jahr oder länger dauern können. Je nach Bedarf der Kundinnen und Kunden werden dann mit der Bank eine sinnvolle bereitstellungszinsfreie Zeit und oft mehrere Auszahlungen vereinbart.  

procontra: Und wie lautet Ihr Ratschlag an Menschen mit einer laufenden Immobilienfinanzierung?  

Mohr: Eigentümer und Eigentümerinnen mit einem laufenden Kredit sollten sich mit Blick auf möglicherweise steigende Zinsen mit ihrer Anschlussfinanzierung beschäftigen. Das ist schon frühzeitig möglich. Je nachdem, wie lange die Zinsbindung noch läuft, können Forward-Darlehen eine interessante Option sein. Damit lässt sich die weitere Finanzierung gegen steigende Zinsen absichern, zum Beispiel schon zwei oder drei Jahre im Voraus – bei vielen Kreditinstituten sogar bis zu fünf Jahre im Voraus.

procontra: Angesichts der Entwicklungen am Markt für Wohnimmobilien mahnt die Finanzaufsicht BaFin Banken bei der Neukreditvergabe besonders vorsichtig zu sein. Müssen Kreditnehmer in Zukunft mehr Eigenkapital aufbringen, um ein Darlehen zu erhalten?  

Mohr: Wir halten es zwar durchaus für möglich, dass sich die Konditionen auch infolge dieser Ankündigung leicht erhöhen könnten. Allerdings sind Banken und Kreditnehmer in Deutschland ohnehin eher sicherheitsorientiert. Die Kreditinstitute beobachten, unabhängig von regulatorischen Vorgaben, derzeit sehr genau die Preisentwicklungen auf dem Immobilienmarkt, und hinterfragen zum Teil auch die Kaufpreise. Und die Käuferinnen und Käufer in Deutschland finanzieren seit jeher eher konservativ, mit langen Zinsbindungen, hohen Tilgungen und eher viel Eigenkapital.