BRSG II: „Die Schritte sind richtig – aber sie sind nicht groß genug"
Was Sie erfahren werden
Welche Änderungen das BRSG II für Geringverdiener und KMU vorsieht
Warum Opting-Out-Modelle aktuell kaum Wirkung entfalten werden
Wie das Sozialpartnermodell reformiert werden soll – und wo die Grenzen liegen
Welche Argumente Vermittler jetzt im Beratungsgespräch nutzen können
procontra: Die neue Regierung hat mit dem Referentenentwurf für ein Zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG II) quasi die Vorlage der alten Ampelregierung übernommen. Chance vertan oder die guten Ansätze richtigerweise übernommen?
Klaus Stiefermann: Sowohl als auch. Schon der Entwurf der Ampelregierung enthielt viele gute Ansätze. An einigen Stellen war er aber auch ein wenig unambitioniert. Die Ministerien wollten nämlich nur aufgreifen, was von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften gleichermaßen mitgetragen wurde. Das spiegelt auch der neue Referentenentwurf wider. Aber jetzt geht es vor allem darum, dass es schnell weitergeht im Gesetzgebungsverfahren. Im parlamentarischen Prozess kann man immer noch Nachbesserungen vornehmen.
procontra: Ziel des Referentenentwurfs ist es, Betriebsrenten vor allem dort zu stärken, wo sie bis heute wenig verbreitet sind: bei kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) sowie bei Beschäftigten mit geringen Einkommen. Dazu soll etwa die Geringverdienerförderung angehoben und dynamisiert werden. Ein richtiger Schritt?
Stiefermann: Ja, Verbesserungen bei der Geringverdienerförderung können schnell zu mehr Verbreitung sorgen. Das hat sich von 2018 bis 2020 gezeigt. Allerdings müssen sich die Einkommensgrenzen weiterentwickeln, so wie es im Referentenentwurf angelegt ist, denn durch Gehaltserhöhungen sind in den letzten Jahren bereits viele wieder aus dem System „herausgewachsen“. Wenn dann noch die Förderquote von 30 auf 40 bis 50 Prozent steigen würde, dann könnte auch in wirtschaftlich nicht so starken Branchen die Verbreitung steigen.
procontra: Wie erklären Sie sich, dass die geplanten Verbesserungen zur Geringverdienerförderung erst zum 1. Januar 2027 greifen sollen?
Stiefermann: Das ist schlecht. In der Begründung finden wir den Hinweis, dass man davon ausgeht, dass das nicht schneller technisch umsetzbar sei. Ich denke aber, es geht auch um die damit verbundene Haushaltsbelastung, die man verschieben will.
Die Regelung läuft praktisch ins Leere und wird nichts bringenKlaus Stiefermann
procontra: Auch Opting-Out-Systeme zur automatischen Entgeltumwandlung auf Betriebsebene sollen zukünftig leichter möglich sein. Wie bewerten Sie dieses Vorhaben?
Stiefermann: Optionsmodelle, das zeigen die Erfahrungen im Ausland, sind in der Lage, die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu steigern. Daher begrüßen wir die Möglichkeit von Optionssystemen auf betrieblicher Ebene nach § 20 Abs. 3 BetrAVG-E ausdrücklich.
Die aktuelle Fassung des Referentenentwurfs bleibt jedoch leider hinter den Möglichkeiten des Referentenentwurfs aus dem Sommer 2024 zurück, gilt praktisch nur für ,tariffreie’ Bereiche und begrenzt die mögliche positive Wirkung damit auf sehr wenige Fälle. Der Referentenentwurf sieht zudem vor, dass sich der Arbeitgeber mit einem 20-prozentigen Zuschuss beteiligen muss. Hier muss nachgebessert werden. Die Regelung, die jetzt im Gesetzentwurf steht, läuft praktisch ins Leere und wird nichts bringen.
procontra: Ein anderer Punkt: Das Bundesarbeitsministerium möchte auch das sogenannte Sozialpartnermodell (SPM) für kleinere, nicht tarifgebundene Betriebe weiterentwickeln.
Stiefermann: Auch dieser Ansatz ist vom Grundsatz her richtig, denn nur im Rahmen eines Sozialpartnermodells sind reine Beitragszusagen zulässig. Diese haftungsfreien Zusagen sind es, die KMU helfen würden, die Sorge vor den Haftungsrisiken von Betriebsrentenzusagen zu überwinden. Gleichzeitig können die Betriebe ihren Mitarbeitern besonders renditeträchtige und dennoch sichere Betriebsrenten anbieten.
Allerdings haben sich bisher nur wenige Unternehmen und Gewerkschaften für dieses Modell entschieden, und es bleibt abzuwarten, wie die geplante Einbeziehung auch nicht tarifgebundener Betriebe in ein SPM in der Praxis funktionieren wird. Das sind alles Schritte in die richtige Richtung, über die wir hier reden, aber die Schritte sind nicht groß genug.
procontra: Grundsätzlich soll die betriebliche Altersversorgung weiterhin freiwillig bleiben. Halten Sie das für richtig?
Stiefermann: Bis 2018 wäre die Antwort ein ganz klares JA gewesen. In einer Welt, in der ein Betriebsrentenversprechen für den Arbeitgeber eine jahrzehntelange Haftung ausgelöst hat, konnte die Antwort keine andere sein. Denn es kann nicht sein, dass man Arbeitgeber über ein Obligatorium zwingt, eine solche Haftung zu übernehmen, zumal auch bei den externen Durchführungswegen zumindest eine subsidiäre Haftung besteht.
Jetzt gibt es die reine Beitragszusage, die haftungsfreie Zusagen möglich macht. Sie kann allerdings nur über Sozialpartnermodelle umgesetzt werden und dort sind die Tarifvertragspartner quasi die Gate-Keeper. Solange es also keinen barrierefreien Zugang zur Beitragszusage gibt, werden sich die Arbeitgeber gegen Obligatorien aussprechen. Und das kann man ihnen auch nicht verübeln.
Die Niederlande zeigen übrigens, wie weit man durch ein Quasiobligatorium mittels Tarifverträge kommen kann, nämlich zu einer Verbreitung von rund 90 Protzen. Doch leider sind bei uns noch nicht alle Sozialpartner gewillt, solche Tarifverträge zu schließen. Große Ausnahmebereiche sind der Bausektor oder der öffentliche Dienst.
50 Cent Förderung pro Euro – ein guter Vertriebsansatz, wie ich findeKlaus Stiefermann
procontra: Welche Chancen sehen Sie im Referentenentwurf für die bAV-Beratung? Welcher Aufhänger ist für Sie der stärkste, den Berater nutzen können, wenn der Entwurf wie geplant umgesetzt wird?
Stiefermann: Um mit einem Unternehmer ins Gespräch zu kommen, hilft etwa die Geringverdienerförderung. Konkret kann ich den Arbeitgeber zum Beispiel darauf hinweisen, dass er auch Niedrigverdienern in seinem Betrieb etwas bieten muss, damit die nicht zur Konkurrenz gehen. Und dass er dank der Förderquote und der Tatsache, dass man die bAV-Beiträge auch als Betriebsausgabe geltend machen kann, pro Euro Betriebsrentenbeitrag rund 50 Cent zurückbekommt. Ein guter Vertriebsansatz, wie ich finde.
procontra: Was halten Sie denn von einer gesetzlichen Beratungspflicht, wie sie der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) etwa bei der Einführung von Opting-Out-Systemen für Arbeitnehmer fordert?
Stiefermann: Ich glaube nicht, dass im Bereich der betrieblichen Altersversorgung eine Beratungspflicht wirklich etwas bringt. Das mag für die dritte Säule der Altersvorsorge richtig sein, aber nicht für die zweite.
procontra: Alles schaut gerade auf den politischen Rahmen. Liegt nicht auf Produktebene der viel größere Hebel zur besseren bAV-Verbreitung? Sind die Produkte nicht viel zu komplex und unflexibel?
Stiefermann: Arbeits-, Steuer-, Sozialversicherungs- und Aufsichtsrecht setzen der betrieblichen Altersversorgung einen Rahmen und sorgen auch für die Komplexität. Das Ergebnis ist eine Produktvielfalt, die zwar dafür sorgt, dass man eigentlich für jeden Betrieb ein passendes System aufbauen kann, aber die Qual der Wahl löst auf Arbeitgeberseite einen enormen Beratungsaufwand aus. Und aus Verunsicherung wird dann am Ende gar nichts gemacht. Tatsächlich wären daher einfachere und vor allem flexiblere Produkte wünschenswert.
procontra: Ebenfalls scheuen noch viele Berater das Thema. Was könnte sich hier auch mit dem bestehenden Rahmen verbessern?
Stiefermann: Wer im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung berät, der braucht eine hohe und breite Expertise. Die muss der Berater selbst vorhalten oder er braucht zum Beispiel die Unterstützung der Fachleute aus Versicherungen, Pensionskassen oder Pensionsfonds.
procontra: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Digitalisierung bei der Weiterentwicklung bAV-tauglicher Produkte, zum Beispiel digitale Abschlussstrecken oder Dashboard-Lösungen?
Stiefermann: Ich denke, dass die Digitalisierung der Prozesse helfen wird, Aufwand zu reduzieren, vor allem, wenn gleichzeitig auch eine Entbürokratisierung erfolgt und der Datenaustausch mit Stellen wie der Rentenversicherung erleichtert wird.
Die bAV hat auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite steuerliche und beitragsrechtliche Konsequenzen. Mit entsprechenden Tools lässt sich das schneller und ganz individuell ermitteln. Auch Projektionen sind so leichter möglich. Digitale Plattformen können zudem das Informationsbedürfnis von Arbeitnehmern, Arbeitgebern leichter erfüllen.
Und wir müssen endlich von dem immer noch geltenden Schriftformerfordernis wegkommen. Das ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Ein Textformerfordernis reicht meiner Meinung nach vollkommen aus.