Nachwuchsmangel: „Die Frauenquote ist ein notwendiger Schritt“
procontra: Frau Geusen, die Versicherungsbranche hat bekanntlich ein großes Nachwuchsproblem. Woran liegt das Ihrer Meinung nach.
Franziska Geusen: Wir haben nicht allein Nachwuchsprobleme – das ist ein demografischer Effekt. Gleichzeitig bieten sich jungen Menschen heute unzählige Karrierewege. Die einst so geschätzte Jobsicherheit in unserer Branche spielt inzwischen nur mehr eine untergeordnete Rolle.
Übrigens: Nicht nur Versicherer, sondern auch Maklerhäuser müssen mehr Anstrengungen unternehmen, Nachwuchs auszubilden. Wir haben zum Beispiel sehr gute Erfahrungen als Praxispartner für duale Studenten gemacht.
procontra: Wird das Nachwuchsproblem nicht auch noch durch das schlechte Image, das die Branche hat, verschärft?
Geusen: Das negative Image, dass bei uns nur „Windmacher“ arbeiten, begegnet mir bei jungen Talenten kaum direkt. Solche Vorurteile kommen meist von außen – oft von Eltern oder Freunden. Die Generation Z sucht in ihrem Beruf vor allem Sinn und möchte einen positiven Beitrag leisten. Genau das kann die Versicherungswelt bieten, wenn wir es deutlicher herausstellen.
procontra: Die Frage ist bloß, wie das gelingen kann?
Geusen: Finfluencer in sozialen Medien leisten bereits wertvolle Aufklärungsarbeit. Sie zeigen, dass unsere Branche nicht nur aus älteren Herren besteht, sondern auch aus jungen, kreativen Köpfen. Dabei ist es entscheidend, ausschließlich seriöse Stimmen zu fördern – schwarze Schafe schaden uns. Auch in Presse und Fernsehen müssen wir präsenter werden. Leider finden wir nur schwer Gehör. Wenn etwa Stern TV wieder einmal über „schlechte Vermittler“ berichtet, fehlt ein unabhängiger Makler als Ausgleich – obwohl Vermittlerverbände genau das fordern.
procontra: Und was ist mit der Idee, verstärkt an die Schulen zu gehen?
Geusen: Das wäre großartig und die Vermittlerinnen und Vermittler sind auch dazu bereit, wie unser letztes Vermitterbarometer wieder gezeigt hat. Ein entsprechender Vorschlag des Vermittlerverbandes AfW über die Beiratsfunktion von meinem Kollegen Norman Wirth in der DIN, ein verpflichtendes Schulfach „Wirtschaft und Finanzen“ in den Lehrplan aufzunehmen, wurde ja jüngst von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) abgelehnt. Ich denke deshalb, unterm Strich sind persönliche Empfehlungen über Freunde oder individuelle Kooperationen mit Schulen und Hochschulen der beste Weg, um Nachwuchs zu gewinnen.
Ein neugieriger Geist und hohe Einsatzbereitschaft sind wichtiger als die perfekte AusbildungFranziska Geusen
procontra: Wäre es nicht auch gut, wenn sich die Branche stärker für Quereinsteiger öffnen würde? Warum soll zum Beispiel ein Kfz-Mechaniker nicht auch in der Schadenabteilung eines Kfz-Versicherers arbeiten können?
Geusen: Absolut, das sehe ich genauso. In unserem Maklerunternehmen praktizieren wir das bereits. Aktuell haben wir zum Beispiel eine duale Studentin, die vorher als Kosmetikerin gearbeitet hat. Ich bin davon überzeugt: Ein neugieriger Geist und hohe Einsatzbereitschaft sind wichtiger als die perfekte Ausbildung. Fachwissen lässt sich Schritt für Schritt aneignen, um den Anforderungen der IDD gerecht zu werden.
procontra: Inwiefern kann denn KI dazu beitragen, das Nachwuchsproblem etwas abzufedern?
Geusen: KI kann einfache Routineaufgaben automatisieren und Prozesse beschleunigen. Doch das grundsätzliche Nachwuchsproblem löst sie nicht. In unserer Branche bleibt Vertrauen erste Bürgerpflicht – und das entsteht nur im direkten Miteinander.
procontra: Die Branche hat nicht nur ein schlechtes Image, sie ist auch – zumindest in den Führungsetagen – immer noch sehr männlich dominiert. Das wirkt auf potenzielle Bewerberinnen sicherlich nicht sehr anziehend, oder?
Geusen: Führungsetagen sind noch zu stark männlich geprägt. Das schreckt potenzielle Bewerberinnen ab. Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder in Top‑Positionen. Deshalb halte ich heute – wenn auch vorübergehend – eine Frauenquote für sinnvoll. So durchbrechen wir den Teufelskreis und schaffen neue Chancen.
Das klassische Modell, in dem nur die Frau die Kinder betreut, lässt sich kaum mit Karriere vereinen.Franziska Geusen
procontra: Müssen sich denn nicht auch die Rahmenbedingungen ändern, damit Frauen neben der Familie überhaupt Karriere machen können`
Geusen: Das klassische Modell, in dem nur die Frau die Kinder betreut, lässt sich kaum mit Karriere vereinen. Ein modernes Familienbild funktioniert nur, wenn beide Elternteile Verantwortung teilen. Job‑Sharing-Modelle, wie sie Swiss Life anbietet, sind hierfür ein hervorragendes Beispiel: Zwei Personen übernehmen gemeinsam eine Führungsaufgabe. Das ist nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter eine attraktive Option.
procontra: Wird die Nachwuchsfrage am Ende auch über den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens entscheiden?
Geusen: Langfristig entscheidet sich der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens maßgeblich über den Nachwuchs. Es gibt bereits Makler, die keine neuen Kunden mehr annehmen können, weil ihnen Personal fehlt. Das stellt eine ernsthafte Bedrohung dar.