Kreditversicherer warnen vor hohem Insolvenzrisiko

„Hochtoxische Gemengelage“

Nach aktuellen Hochrechnungen müssen die Warenkredit- und Kautionsversicherer in diesem Jahr für Schäden in Höhe von fast 700 Millionen Euro aufkommen. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einem Anstieg von fast 50 Prozent. Ein Trend, der auch 2023 anhalten könnte.

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12:12 Uhr | 13. Dezember | 2022
Kreditversicherer prognostizierten eklatanten Anstieg der Insolvenzen Bild: Image Source

Kreditversicherer erwarten eine deutliche Zunahme von Insolvenzen – steigen damit die Prämien für den Versicherungsschutz? Bild: Image Source

Die deutschen Kreditversicherer sind angesichts der aktuellen Entwicklungen höchst beunruhigt: Von einer „hochtoxischen Gemengelage“ sprach Thomas Langen, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung beim GDV, am Dienstag im Rahmen einer Presseveranstaltung. „Die Zeiten sind ernst, es gibt nicht mehr nur eine oder zwei, sondern zahllose Krisen gleichzeitig“, so Langen, der beim Kreditversicherer Atradius auch das Geschäft für Deutschland, Mittel- und Osteuropa verantwortet.

Das Problem mit den gleichzeitigen Krisen: Sie verstärken sich gegenseitig mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft. Ein Beispiel: Um den Strukturwandel in der Automobilbranche voranzutreiben, bräuchte es Investitionen. Die sind nun aber schwer zu realisieren angesichts des Zinsanstiegs, durch den die Finanzierungskosten steigen. So gerate eine gesamte Wertschöpfungskette unter Druck.

Ukraine-Krieg, Inflation und Zinsanstieg schwächen insgesamt das Wachstum, die Zahlungsmoral sinke, das Insolvenzrisiko steigt. „Das Risikoumfeld hat Auswirkungen aufs Geschäft“, erklärt Langen. „Das ist keine einfache Zeit für Kreditversicherer.“

Zunahme der Schäden in allen Sparten

So werden die Schäden in allen Sparten der Kreditversicherer in diesem Jahr nach einer Hochrechnung um 44 Prozent steigen. Im Vorjahr lag die Steigerung noch bei einem Drittel. Die Leistungen werden sich wohl ebenfalls deutlich erhöhen und auf 914 Millionen klettern – eine Zunahme von 45 Prozent. Wenn das Risiko steigt, steigen mit ihm auch die Deckungssummen: Sie werden bei 588 Milliarden Euro und damit elf Prozent über dem Vorjahreswert liegen.

Zwar bleibt das Geschäft der Kreditversicherer noch erträglich. So liegt die Schaden-Kosten-Quote im laufenden Jahr voraussichtlich bei 70 Prozent. Allerdings sind das immerhin gut 14 Prozent mehr als 2021. „Die Situation ist schwierig, aber nicht vergleichbar mit Beginn der Pandemie“, so Langen. Er hält die Risiken für vielfältig, aber dennoch beherrschbar.

Allerdings haben bereits jetzt die Schäden in der Warenkreditversicherung um 50 Prozent zugenommen. Dabei haben nicht spektakuläre teure Einzelschäden die Summe nach oben getrieben. Vielmehr waren zahlreiche Firmen mit Zahlungsausfällen konfrontiert. „Im schlechtesten Fall kommt es zu einem Dominoeffekt: Eigentlich gesunde Firmen gehen dann insolvent.“ Aus diesem Grund tragen die Kreditversicherer mittlerweile deutlich höhere Forderungsrisiken als in den Vorjahren, erklärt Langen.

Anstieg der Insolvenzen um bis zu 20 Prozent

Er warnt, dass die Entwicklungen in diesem Jahr eine Trendumkehr einleiten: So sei die Talsohle bei den Insolvenzen hierzulande erreicht. In Teilen der Wirtschaft deute sich ein Überlebenskampf an. Schließlich seien in der Vergangenheit viele Insolvenzen durch staatliche Hilfen verhindert worden. „Aber die Rückzahlungen werden bald fällig sein. Dann zeigt sich, ob Insolvenzen abgewendet oder nur aufgeschoben wurden.“ Das trübt wiederum den Ausblick in der Kautionsversicherung, mit der beispielsweise Investitionsvorhaben im Baugewerbe gesichert werden.

Langen prognostiziert einen deutlichen Anstieg der zahlungsfähigen Unternehmen im kommenden Jahr. Um 15 bis 20 Prozent könnte die Anzahl steigen. Ein Grund für allgemeine Besorgnis sei das jedoch nicht. „Wir kommen von einem historisch niedrigen Insolvenzstand. Das Feld wird gelichtet, aber es ist kein Kahlschlag.“ Insolvenzen seien für eine funktionierende Marktwirtschaft unerlässlich. Schließlich müssen andernfalls gesunde Unternehmen befürchten, dass es sich bei den jeweiligen Partnern um Zombieunternehmen handeln könnte. „Deswegen handelt es sich bei dem Anstieg nicht um ein Horrorszenario, sondern um einen notwendigen Bestandteil der Wirtschaft.“

Ökonomischer Druck motiviert zu Straftaten

Die Leistungen in der Vertrauensschadenversicherung werden den Hochrechnungen zufolge um 35 Prozent zunehmen. Damit liegen die Schäden bei 217 Millionen Euro. Langen erwartet auch für 2023 einen weiteren Anstieg. Der Grund: Die hohen Energiekosten, die steigenden Preise und die höheren Zinsen könnten Beschäftigte zu mehr Straftaten gegen ihre Arbeitgeber animieren. Das zumindest glaubt der Kriminologe Hendrik Schneider.

„Dann greifen die einen in die Kasse oder unterschlagen Gelder, die anderen lassen etwas aus dem Lager mitgehen oder sich vielleicht bestechen“, so der Kriminologe gegenüber dem GDV. Doch nicht nur Geringverdiener, sondern auch Führungskräfte spüren bereits den wirtschaftlichen Druck. Damit könnten sie ebenfalls häufiger zu Tätern werden. „In solchen Fällen werden dann vielleicht Compliance- und Umweltvorschriften umgangen, Kurzarbeitergelder erschlichen oder Aufträge durch Korruption gewonnen.“

Hinweissystem für Whistleblower: Schadensumme steigt

Kommt es zu derlei Taten, sind es manchmal Mitarbeiter, die sie öffentlich machen. Um ihnen diesen Weg zu erleichtern, ohne dass sie selbst mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen, hat der Gesetzgeber nachjustiert. Unternehmen müssen Hinweisgebersysteme einführen, damit Whistleblower in Zukunft besser geschützt sind. Ein solches System schrecke zudem potentielle Täter ab. Allerdings werden dadurch, vermutet indes Kreditversicherungsexperte Langen, auch bisher unbemerkte Verstöße aufgedeckt. Das wiederum führe ebenfalls zu höheren Schäden.

Zu einer der wichtigsten Fragen, die Kunden umtreibt, wollte Langen sich hingegen nicht äußern: Inwiefern die Prämienhöhe von der angesprochenen Gemengelage betroffen ist, wolle er nicht kommentieren. Eines dürfte die Branche wohl freuen: Die Anzahl der Verträge hat über alle Sparten hinweg zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahr um immerhin vier Prozent. Die Beitragseinnahmen liegen bei 2.14 Milliarden Euro. Ein Anstieg um fast zehn Prozent.