pro&contra

Sollen Rechtsschutzversicherer Kunden außergerichtlich beraten dürfen?

Geht es nach dem Bundesland Bayern, sollen Rechtsschutzversicherer bald die Erlaubnis erhalten, Kunden außergerichtlich zu beraten und zu vertreten. Doch ist das auch gut für den Kunden oder eher für den Versicherer? Ein pro&contra mit Philipp Eder von der Allianz und Rechtsanwalt Dr. Fabian Widder.

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09:10 Uhr | 24. Oktober | 2025
Philipp Eder von der Allianz und Rechtsanwalt Dr. Fabian Widder

Philipp Eder, Geschäftsführer Allianz Rechtsschutz-Service GmbH, und Dr. Fabian Widder, Rechtsanwalt, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Vorsitzender des DAV-Ausschusses Rechtsdienstleistungsrecht

| Quelle: Allianz / Sven Serkis/DAV

 Pro-Kommentar

Rechtsschutzversicherer haben das Potenzial, sich zu einem umfassenden Rechtsdienstleister zu entwickeln, der den Zugang zum Recht für alle Bürger verbessert.
Philipp Eder

Geschäftsführer Allianz Rechtsschutz-Service GmbH

Die Frage, ob Rechtsschutzversicherer auch als Rechtsdienstleister agieren sollten, ist aktueller denn je. Die Erwartungen der Verbraucher gehen über die reine Kostenübernahme hinaus; sie wünschen sich umfassende Unterstützung bei rechtlichen Anliegen, die über den klassischen Versicherungsfall hinausgeht. Die Allianz sieht hierin eine Chance, den Zugang zum Recht zu erweitern und die Rolle der Rechtsschutzversicherung zu transformieren.

Herausforderungen und Potenziale

Rechtsschutzversicherungen stehen vor Herausforderungen. Der dynamische Wandel des Rechtsmarktes und die Entstehung neuer Angebote für Rechtssuchende treffen auf regulatorische Einschränkungen aus versicherungs- und berufsrechtlicher Sicht (VAG, VVG, RDG, BRAO etc.), die die Weiterentwicklung der Rechtsschutzversicherer substanziell einschränken.

Um ein zeitgemäßes Angebot mit einfachem Zugang zu Rechtsberatungsservices dauerhaft verfügbar zu machen, sollten Rechtsschutzversicherungen die Möglichkeit erhalten, Rechtsdienstleistungen wie Beratung und außergerichtlicher Vertretung auch durch eigene Mitarbeitende zu erbringen.

Viele Volljuristen bei Rechtsschutzversicherern dürfen ihre erlernte Profession im beruflichen Kontext der Rechtsschutzversicherung nicht ausüben. Hier schlummert ein großes, ungenutztes Potenzial von juristischen Berufsträgern. Gleichzeitig droht im Anwaltsmarkt eine erhebliche Lücke aufgrund des demographischen Wandels. Die Unterversorgung mit Ärzten vor allem in ländlichen Gebieten besteht bereits und die nächste betroffene Berufsgruppe dürfte die Anwaltschaft sein. Leidtragende sind dann die Rechtssuchenden, wenn die Weichen jetzt nicht neu gestellt werden.

Kundenerwartungen

Kunden erwarten von ihrer Rechtsschutzversicherung nicht nur die Kostendeckung im Streitfall, sondern auch Unterstützung und Beratung bei alltäglichen Rechtsfragen. Erhebungen zeigen, dass der Großteil der Kunden sich die Lösung ihrer Rechtsprobleme direkt über die Rechtsschutzversicherung wünscht. Durch eine kluge Gestaltung einer Neuregelung des § 4 RDG (Rechtsdienstleistungsgesetz) können Interessenkonflikte vermieden werden. Das Recht der freien Anwaltswahl bleibt ohnehin unberührt.

Ausblick und Zukunftsvision

Die Relevanz der Rechtsschutzversicherung wird weiter steigen. Digitalisierung und der Einsatz von KI verändern die rechtliche Landschaft zusätzlich und erhöhen die Nachfrage nach schnellen und unkomplizierten Lösungen. Um den Bedürfnissen der jungen Generation gerecht zu werden, müssen Prozesse einfach, verständlich und schnell sein. Ein umfassendes Leistungs- und Serviceangebot ist wichtig für die Zukunftssicherung der Rechtsschutzversicherung.

Der Blick ins Ausland zeigt, dass Rechtsschutzversicherungen mit integrierter anwaltlicher Tätigkeit einen hohen Wertbeitrag leisten können. In Ländern wie zum Beispiel der Schweiz und den Niederlanden ist die Eigenerledigung durch eigene Rechtsservices etabliert, akzeptiert und höchst erfolgreich.

Fazit

Rechtsschutzversicherer haben das Potenzial, sich zu einem umfassenden Rechtsdienstleister zu entwickeln, der den Zugang zum Recht für alle Bürger verbessert. Durch die Erbringung von Rechtsdienstleistungen können die beschriebenen Herausforderungen gemeistert und das Angebot erweitert werden. Es ist an der Zeit, disruptiv und radikal zu denken, um mit neuen Produkten den wachsenden Bedarf zu decken und den Zugang zum Recht zu stärken.

Contra-Kommentar

Eine Versicherung will sparen, nicht kämpfen. Ihre Aufgabe ist die Kostenübernahme, nicht die Rechtsberatung.
Dr. Fabian Widder

Rechtsanwalt, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und Vorsitzender des DAV-Ausschusses Rechtsdienstleistungsrecht

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie haben einen Rechtsstreit, zum Beispiel mit Ihrem Vermieter oder Ihrem Arbeitgeber. Sie denken sich: Zum Glück habe ich eine Rechtsschutzversicherung, die das abdeckt! So weit, so gut. Dann bietet der Versicherer an, die Sache außergerichtlich zu übernehmen. Sie denken: Umso besser, dann muss ich mir nicht noch eine Anwältin oder einen Anwalt suchen. Was Sie nicht wissen: Vielleicht ist Ihr Gegner auch Kunde bei derselben Rechtsschutzversicherung. Und auch er wird von diesem Versicherer vertreten.

Wer gewinnt? Im Zweifel die Versicherung

Die Anwaltschaft ist durch ihre Unabhängigkeit und strengen berufsrechtlichen Anforderungen entscheidender Baustein für den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht. Anwältinnen und Anwälte sind allein den Interessen der Mandantschaft verpflichtet. Bei Rechtsberatung durch Versicherer sind Interessenkonflikte vorprogrammiert.

Was auf den ersten Blick bequem klingt und als „Service“ verkauft werden soll, könnte zur Verbraucherfalle werden: Das Geschäftsmodell von Versicherungsunternehmen ist bekanntlich, Kosten zu vermeiden.

Vergleich statt Gerechtigkeit

Zu befürchten ist daher, dass Rechtsuchende vermehrt zu Vergleichen gedrängt werden – günstig für die Versicherer – um gerichtliche Verfahren zu vermeiden. Aber ist es auch für den konkreten Betroffenen im konkreten Fall die beste Lösung? Und haftet die Versicherung, wenn nicht? Oder wenn andere Beratungsfehler vorliegen? Für anwaltliche Falschberatungen gibt es die Berufshaftpflicht – bei Versicherungen nicht. Das ist Sparpolitik auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger – und das Gegenteil von Verbraucherschutz.

Rechtsschutzversicherer dürfen nicht zu „Gatekeepern“ der Gerichte gemacht werden und den Zugang zum Recht in der außergerichtlichen Phase ausbremsen. Eine Versicherung will sparen, nicht kämpfen. Ihre Aufgabe ist die Kostenübernahme, nicht die Rechtsberatung.

Eine Vermischung von wirtschaftlichen Interessen der Versicherer mit den Rechtsinteressen der Versicherten gefährdet die unabhängige Rechtsvertretung. Betroffene benötigten eine Rechtsberatung, die allein ihre Interessen im Blick hat.

Man kennt es von KFZ-Versicherungen: Die gegnerische Versicherung versucht schnell mit dem Unfallopfer in Kontakt zu treten, damit Verkehrsrechtsanwälte nicht über sämtliche Ansprüche aufklären können. Der Schaden am Auto wird schnell reguliert – aber was ist mit Nutzungsausfall, auch für die Zeit der Erstellung eines Gutachtens, oder einem möglichen Ersatz des Haushaltsführungsschadens?

Grenzen sind klar gezogen

Der Bundesgerichtshof hat schon vor Jahrzehnten klargestellt, dass die Rolle des Versicherers nicht mit einer objektiven, ausschließlich am Mandanteninteresse orientierten Beratung vereinbar ist. Das deutsche Rechtsberatungsmonopol ist auch vom Europäischen Gerichtshof bestätigt: Es dient dem Verbraucherschutz und sichert die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als wichtiges Gut des Allgemeinwohls.

Zur Bewältigung aktueller Herausforderungen der Justiz, vor allem zivilrechtlicher Massenverfahren, gibt es bereits zahlreiche Vorschläge der Reformkommission zum Zivilprozess der Zukunft – keiner dieser Vorschläge sieht eine Öffnung für Rechtsschutzversicherer vor. Und das zu Recht.

Pro & Contra zur Rechtsberatung durch Versicherer

Pro

  • Schnellerer Zugang zum Recht

  • Effiziente Nutzung juristischer Ressourcen

  • Modernisierung des Rechtsmarktes

Contra

  • Interessenkonflikte vorprogrammiert

  • Gefährdung der unabhängigen Rechtsberatung

  • Vertrauen in eine objektive Beratung geht verloren

Soll Rechtsschutzversicherern Rechtsberatung erlaubt werden?