„Für uns macht eine Fusion keinen Sinn“
procontra: 40 Jahre sind Sie nun bim Volkswohl Bund tätig, davon 26 Jahre im Vorstand und sechs als Vorstandssprecher. Blicken wir doch einmal zurück: Was waren die einschneidensten Erlebnisse in Ihrer Karriere?
Dietmar Bläsing: Neben dem Ende der Steuerfreiheit für Lebensversicherungen 2004, als man den Vertriebspartnern eine ganz neue Perspektive aufzeigen musste, und der Niedrigzinsphase ist das auf jeden Fall der Wandel des Volkswohl Bundes zum Maklerversicherer. Als ich hier 1983 als Azubi anfing, waren wir noch ein reiner Ausschließlichkeitsversicherer. Dadurch hatten wir ein großes Kostenproblem bei gleichzeitig nur geringer Produktivität – die Kostensätze waren damals wirklich jenseits von Gut und Böse. Mehrere Vertriebsvorstände sind daran gescheitert, die Effizienz zu erhöhen. Als letzte Option wurde versucht, den Vertrieb stärker zu diversifizieren. Glücklicherweise, muss man sagen, denn andernfalls würde es den Volkswohl Bund heute eventuell nicht mehr geben bzw. hätten wir fusionieren müssen.
procontra: Makler kommen sicherlich nicht von alleine. Wie sind Sie vorgegangen?
Bläsing: Maklerkontakte hatten wir zu Beginn kaum. Zum Glück kamen wir damals auf die gute Idee, es über Produkte zu versuchen. Für mich persönlich war das eine tolle Möglichkeit: Als ich gerade drei Jahre mit meiner Ausbildung fertig war, erhielt ich zusammen mit einem neuen Kollegen, der Versicherungsmathematiker war, den Auftrag: “Macht mal spannende Produkte.”
procontra: Waren Sie dann einfach kreativer als andere Versicherer?
Bläsing: Jein. Zum einen haben wir begonnen, die Produkte ganzheitlich zu denken – das heißt nicht nur kalkulatorisch, sondern auch unter Marketinggesichtspunkten. Allerdings war der größte Hemmschuh für Produktinnovationen damals die IT, damals hieß sie noch EDV. Wir hatten das Glück, damals über ein relativ neues Bestandsführungssystem zu verfügen, das mehr konnte als die Systeme in anderen Häusern. Vielleicht hatten also die Kollegen genauso gute Ideen, konnten sie aber nicht umsetzen.
procontra: Mittlerweile haben Sie so gut wie keine Ausschließlichkeit mehr. Haben Sie ihre AO mit den damaligen Beschlüssen bewusst beerdigt?
Bläsing: Nein. Die Direktive lautete damals, den Vertrieb zu diversifizieren. Wir haben keine Maklerorganisation auf der grünen Wiese aufgebaut, sondern alle Geschäftsstellenleiter, Bezirksdirektoren etc. angewiesen, sich um freie Vertriebspartner zu bemühen. Diese Außendienstführungskräfte waren damals schon stark erfolgsabhängig honoriert und merkten dann, dass es sich für sie finanziell viel mehr lohnte, sich um freie Vertriebspartner als um eine höhere Effizienz in der AO zu kümmern. Die Genese zum Maklerversicherer war ein reiner Evolutionsprozess. Wir haben die AO nie abgeschafft, sie ist über die Zeit weggeflutscht.
procontra: Mehrere Versicherer stärken derzeit wieder ihre AO, auch weil dadurch mehr Planbarkeit erreicht werden kann. Als Nachfolgerin von Herrn Bläsing: Frau van Holt: Denken Sie über einen solchen Schritt nach?
Stefanie van Holt: Nein. Eine Ausschließlichkeit neu aufzubauen ist eine ganz andere Geschichte, als in den Maklervertrieb einzusteigen. Wenn Sie eine AO aufbauen wollen, braucht es ein ganzes Bündel an Rahmenbedingungen, angefangen von der Weiterbildung bis hin zur IT, also Beratungssoftware und Vergleichstools, die sie der AO zur Verfügung stellen müssen. Das wären enorme Investitionen, die wir hier tätigen müssten. Unser Fokus bleibt deswegen auf den freien Vertriebspartnern.
Wir haben die AO nie abgeschafft, sie ist über die Zeit weggeflutscht.Dietmar Bläsing
procontra: Richten wir den Blick aus der Vergangenheit in Richtung Zukunft. Frau van Holt, wo sehen Sie zukünftig die größten Herausforderungen für sich?
van Holt: Die Digitalisierung wird sicherlich ein sehr relevantes Thema bleiben. Viele schauen ja immer nur auf die Produkte, doch die sind meist innerhalb eines halben Jahres von der Konkurrenz kopiert. Wir wollen darum Services stärker in den Blick nehmen und haben dafür gerade eine eigene Abteilung namens „Services Management“ gegründet, die Vermittlern auch Tools für ihre Arbeit an die Hand geben soll.
procontra: Bereitet Ihnen die zunehmende Regulatorik Kopfzerbrechen?
van Holt: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Regulatorik wächst immer weiter, für uns und alle anderen in der Branche. Mit Folgen für die Neueinstellungen: Der Apparat, der nur für die Umsetzung der neuen Regeln und Gesetze zuständig ist, wächst immer weiter. Wir werden nicht drum herumkommen, diese umzusetzen. Die Herausforderung für uns wird aber sein, nicht nur die Regulatorik umzusetzen, sondern trotzdem kreativ zu bleiben und neue Themen und Services zu entwickeln, die auch kostenattraktiv sind. Schließlich muss die gesamte umzusetzende Regulatorik auch bezahlt werden.
procontra: Erst vor Kurzem haben zwei Versicherer aus ihrer Nachbarschaft, die Gothaer und die Barmenia, erklärt, miteinander fusionieren zu wollen. Ist eine Fusion für Ihr Unternehmen ebenfalls denkbar?
van Holt: Wir unterstützen Kooperationen auf Branchenebene, die unseren Vertriebspartnern das Leben erleichtern. Beispiele wären hier die Deutsche Makler Akademie oder die easy-Login-Initiative. Hinter dieser Hürde, die wir den Vertriebspartnern dann gemeinschaftlich nehmen, fängt dann der Wettbewerb aber wieder an. Ein Zusammengehen mit anderen Versicherern steht für uns somit nicht zur Debatte.
Bläsing: Eine Fusion macht für uns keinen Sinn. Wir sind immer organisch gewachsen und wollen das auch in Zukunft so beibehalten. Wir stehen anderen Versicherern aber immer als Produktpartner oder für Konsortiallösungen zu Verfügung. Ich spreche hier immer von der Großer-Kuchen-Theorie, die auch viele weitere Versicherer mit Maklervertrieb teilen. Sie besagt: Lass uns zusammen möglichst vielen Vertriebspartnern dabei helfen, dass sie auch morgen noch tätig sein können – das macht den Kuchen größer. Wenn das gelungen ist, dann geht der Wettbewerb los. Aber uns allen fällt es doch leichter, uns von einem großen statt von einem kleinen Kuchen ein Stück abzuschneiden.
procontra: Glauben Sie, dass es branchenweit zu einer Konsolidierung auch bei den Versicherern kommen wird?
Bläsing: Größe zu erzeugen, ist ja kein Selbstzweck. Es muss darum gehen, Synergien zu schaffen und effizienter zu werden. Und häufig wird bei so einer Fusion auch die menschliche Komponente außenvorgelassen – schließlich müssen hier Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen unter einen Hut gebracht werden.
procontra: Herr Bläsing, Sie haben Ihre gesamte Karriere beim Volkswohl Bund verbracht, mit Frau van Holt übernimmt nun ein weiteres Eigengewächs die Geschäfte. Welche Vor- aber auch Nachteile entstehen aus dieser Fokussierung auf nur einen Arbeitgeber?
van Holt: Man kennt natürlich die hauseigene Kultur und die Abläufe. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, dass dadurch Kontinuität gewährleistet wird – das ist entscheidend für unsere Vertriebspartner. Es kommt nun niemand Neues, der alles verändern will, um dem Unternehmen seinen Stempel aufzudrücken. Herr Bläsing und ich haben die vergangenen Jahre vieles bereits zusammen entschieden, um so auch Kontinuität zu gewährleisten.
Stefanie van Holt hat Wirtschaftswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover studiert. Durch einen Nebenjob am Lehrstuhl für Versicherungswirtschaft kam sie mit dem Thema Versicherungen in Kontakt. 2006 begann sie schließlich als Researcher in der Knowledge Group Insurance bei der Boston Consulting Group. 2007 wechselte sie als Vorstandsassistentin für den Bereich Vertrieb & Marketing zum Volkswohl Bund. Nach diversen weiteren Stationen im Vertrieb agiert van Holt seit 2016 als Hauptabteilungsleiterin Vertriebsservice und Systeme. Im Mai kommenden Jahres übernimmt van Holt dann für den in den Ruhestand wechselnden Dietmar Bläsing dessen Position im Vorstand und ist zuständig für die Ressorts Marketing, Vertrieb, Vertriebsservice und -systeme sowie Personal
procontra: Es besteht allerdings die Gefahr, ständig im eigenen Saft zu schmoren.
van Holt: Wir haben mittlerweile eine tolle Mischung aus erfahrenen Kräften, aber auch jungen, neuen Leuten, die zum Teil aus anderen Häusern stammen. Zugleich sorgen wir durch stetiges Netzwerken innerhalb, aber auch außerhalb der Branche dafür, dass wir uns ständig neuen Input ins Haus holen. Hier besteht innerhalb unseres Hauses eine große Offenheit, aber auch der explizite Wunsch, dass unsere Mitarbeiter von diesem Austausch Gebrauch machen. Entsprechend stellen wir dafür auch die notwendige Zeit zur Verfügung.
procontra: Eines der Themen, über die es sich auszutauschen lohnt, ist sicherlich der demografische Wandel, der auch die Versicherer tangiert. Wo trifft er sie am schwersten?
van Holt: Der demografische Wandel trifft uns jetzt bereits auf Personalebene, die Gewinnung neuer Mitarbeiter wird dadurch nicht leichter.
procontra: Und auf Produktebene? Wird es hier hinsichtlich der Nachfrage zu Verschiebungen kommen?
van Holt: Ich glaube, dass Altersvorsorge weiterhin ein wichtiges Thema bleiben wird – die Frage ist nur, in welcher Form. Auch in der Biometrie sehen wir weiter ein starkes Feld. Auch für junge Menschen nimmt ihre Gesundheit einen hohen Stellenwert ein – dieses Bewusstsein wurde durch die Corona-Pandemie noch einmal gestärkt.
procontra: Immer weniger Menschen werden in Zukunft jedoch erwerbstätig sein, die Zielgruppe schrumpft also.
van Holt: Das Bewusstsein hat sich aber gestärkt. Wie sich die schrumpfende Zielgruppe hier auf den Markt auswirken wird, bleibt also abzuwarten.
procontra: Die Demografie trifft auch den Maklermarkt. Laut einer Bearingpoint-Studie wird jeder vierte Makler bis 2030 verschwunden sein. Wie gehen Sie als Maklerversicherer mit dieser Entwicklung um?
van Holt: Wir stellen fest, dass sich viele Makler professioneller aufstellen. Sie fokussieren sich auf einzelne Bereiche, schließen sich zusammen. Statt Einzelmakler betreiben immer häufiger größere Einheiten das Geschäft. Das erfolgt dann in einer ganz anderen Form und Dimension. Ich glaube darum nicht, dass das Gesamtgeschäft zurückgehen wird, sondern von weniger Menschen professioneller betrieben wird.
Bläsing: Wir sind ja ein Anbieter, der überhaupt kein Endkundenmarketing, sondern ein reines B2B-Marketing betreibt. Das haben wir auch so im Leitbild stehen. Das heißt: Wir nehmen es bewusst in Kauf, dass Kunden uns weniger wahrnehmen als unseren Vertriebspartner. Wir brauchen zwischen uns und dem Kunden also immer ein B. Die Frage, ob dieses B aber immer der Makler sein muss, haben wir derzeit stark im Fokus und schauen, ob es da für uns noch andere Möglichkeiten gibt.
procontra: Zum Beispiel?
Bläsing: Das kann beispielsweise das Belegschaftsgeschäft oder das Thema Embedded Insurance sein. Wir stehen hier aber noch am Anfang. Das ist eine Frage, mit der wir uns aufgrund der sich verändernden Demografie schlicht und einfach beschäftigen müssen.
Wir stellen fest, dass sich viele Makler professioneller aufstellen.Stefanie van Holt
procontra: Ganz am Anfang steht die Branche auch bei der Frage, wie sie mit dem Thema künstliche Intelligenz umgehen will. Wie sieht Ihr Ansatz aus?
van Holt: Wir sind noch in einer Experimentierphase und haben als ersten Schritt ein abteilungsübergreifendes Team zusammengestellt, das herausfinden soll, welche möglichen Anwendungsbereiche es für die künstliche Intelligenz gibt.
Bläsing: Es ist wichtig, die künstliche Intelligenz gerade von den Abteilungen ausprobieren zu lassen, die Angst haben, durch die künstliche Intelligenz ersetzt zu werden. Diese Menschen verlieren dann womöglich diese Sorge und merken, dass die KI ihnen vielmehr helfen kann. Ich habe letztens in einem Vortrag gehört: Die meisten werden nicht durch die KI ersetzt, sondern durch jemanden, der sich damit auskennt. Das ist ein toller Satz.Im Hinblick auf den demografischen Wandel kann uns die KI auch dabei helfen, Aufgaben zu übernehmen, für die wir einfach keine Mitarbeiter mehr finden.