Zielgruppe LGTBQ+: Beratung diverser Bedürfnisse
„Unser Beraterherz ist bunt“, sagt Marie Christina Schröders. Im Sommer dieses Jahres hat die Finanzexpertin ihr Unternehmen Adviris an den Start geschickt – eine Online-Finanzberatung, die sich gezielt an die LGBTQ+-Gemeinschaft richtet. Der Name setzt sich aus dem lateinischen Wort Advisor (Berater) und der griechischen Gottheit Iris zusammen – der Personifizierung des Regenbogens. Bisher steht die 37-Jährige mit ihrem Angebot für lesbische, schwule, queere, bi-, trans- und intersexuelle Menschen in Deutschland noch ziemlich allein auf weiter Flur. Doch gerade in dieser Vorreiterrolle sieht Schröders einen Vorteil: „Das macht es leicht, den Markt zu bearbeiten und man hat den Kuchen noch für sich allein.“
Potenzielle Kundinnen und Kunden gibt es mehr als reichlich: Schätzungen zufolge zählen in Deutschland etwa sieben Prozent zur queeren Gruppe. Das sind sechs Millionen Menschen. Und diese besitzen überdurchschnittlich viel Kapital, wie das britische Research-Unternehmen LGBT Capital ermittelt hat. Demnach verfügt die Zielklientel allein in der Bundesrepublik über eine Kaufkraft von mehr als 151 Milliarden Euro pro Jahr. Weltweit liegt diese bei rund einer Billion Euro. Ein Grund für die tiefen Taschen: Es handelt sich oftmals um Doppelverdiener-Haushalte. Wäre die queere Community eine eigene Volkswirtschaft, sie wäre die viertgrößte der Erde.
Wohlfühlen hat Priorität
Dass viele Berater und Makler die LGBTQ+-Community trotzdem nicht auf der Agenda haben, könnte daran liegen, dass sie das Potenzial hinter einer gezielten Ansprache unterschätzen. Denn die Wünsche und Bedürfnisse der Zielklientel unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Kunden bei einer Finanzberatung. Selbst beim Produkt-Universum gibt es keine großen Unterschiede. Vielmehr geht es um einen respektvollen Umgang: „In erster Linie geht es um das Wohlfühlen in der Beratung und das Verständnis und darum, nichts groß erklären zu müssen“, weiß Schröders, die sich zur LGBTQ+-Gemeinde zählt, aus eigener Erfahrung: „Ich habe selbst immer wieder Worte wie Pfeile und Ungleichheiten mitbekommen.“
Dass der Zielklientel in vielen Bereichen des Alltags Diskriminierung, Vorurteile und Beleidigungen entgegenschlagen, ist leider Fakt. Die Finanzbranche ist hier keine Ausnahme. So haben viele private Kranken- und Lebensversicherungen schwule Männer in der Vergangenheit oft abgelehnt, weil sie diese als Risikogruppe für eine HIV-Infektion sahen. Diese Praxis hat sich erst im Jahr 2006 mit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geändert.
Trotzdem haben es Menschen, die sich zur queeren Community zählen, heute oft noch schwerer, eine Finanzberatung zu bekommen, die optimal zu ihren individuellen Lebenskonzepten passt. Dabei spielen auch Scham und Angst eine Rolle. Viele scheuen sich, ihre privaten Beziehungsverhältnisse offen zu legen, da sie befürchten müssen, auf homophobe Anfeindungen zu stoßen. Das kann zur Folge haben, keine passende Finanz- und Vorsorge-Beratung zu erhalten. Es droht eine Unterversicherung.
Ähnliche Fragen – andere Herangehensweisen
Wer Anknüpfungspunkte bei der Zielgruppe sucht, kann mit guter Beratung eine Win-Win-Situation schaffen. Denn für Berater kann es sich in mehrfacher Hinsicht lohnen, queere Menschen gezielt als Kunden in den Blick zu nehmen. Zum einen wie bereits angedeutet finanziell mit Blick auf den Einzel-Kunden. Zum anderen aber auch, weil sie sich damit einen Markt erschließen, der von der Konkurrenz hierzulande noch ziemlich unbeachtet ist. Das bietet die Möglichkeit, sich in der Community einen Namen zu machen und von Weiterempfehlungen langfristig zu profitieren. Weitere Vorteile sind zudem der persönliche Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen und das Aneignen von zusätzlichem Wissen.
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In der Beratung muss das Rad nicht gänzlich neu erfunden werden: „Die Fragen der Zielgruppe sind ähnlich und drehen sich vor allen um die eigene finanzielle Situation, mögliche Lücken in der Vorsorge oder Risikoabsicherung, Familienplanung und die Absicherung von Lebenspartnern“, weiß Hans-Peter Nehmer, Leiter Unternehmenskommunikation und Sustainability bei der Allianz Suisse in Zürich. Allerdings müssen die Strategie und Herangehensweise womöglich andere sein: „So möchte ein schwules Paar mit Kinderwunsch vielleicht eher für eine Leihmutterschaft sparen als für eine Eigentumswohnung“, sagt Schröders. Transsexuelle Menschen müssen bei der Wahl von BU- und LV-Policen andere Kriterien und Regelungen beachten, wenn sie etwa eine Geschlechtsumwandlung erwägen.
Spezifische Themen als Anknüpfungspunkte
Klar ist: Wer sich als Berater an die LGTBQ+-Community richtet, sollte gewisse Themen und Fragen auf dem Schirm haben, die spezifisch für die Klientel sind. Etwa, wer bei einer Geschlechtsumwandlung die Kosten trägt und was Trans-Menschen beachten sollten. Oder was eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft oder Ehe steuerrechtlich für die gemeinsamen Finanzen bedeutet. Oder was es bei der Vorsorge- und Absicherung des Lebenspartners zu beachten gilt. Denn hier sind queere Menschen oft im Nachteil: „Viele LGTBQ+-Kunden genießen nicht die rechtlichen und steuerlichen Vorteile, die eine formelle Ehe bietet und selbst wenn ein Eheschutz besteht, wird dies außerhalb des Heimatlandes möglicherweise nicht anerkannt“, wissen die Experten von Equity Wealth, einem Finanz-Spezialisten aus Großbritannien, der seine Angebote gezielt an die LGTBQ+-Community adressiert.
Weitere Themen, die bei etlichen Menschen aus der queeren Community hoch auf der Agenda stehen, sind zudem Familienplanung und Kinderwunschbehandlung. Oder Leihmutterschaft in einer Regenbogen-Familie sowie deren Absicherung, Finanzierung und eine damit einhergehende Erbschaftsplanung. Auch hier stehen andere Fragen und Bedürfnisse im Mittelpunkt, als das bei Hetero-Paaren der Fall ist. Etwa Rechtsfragen bei der Stiefkindadoption oder das Thema Nachversicherung beim Kind. „Um das Beste herauszuholen, sind ein umfassender, ganzheitlicher Blick auf die individuelle Lebenssituation und das jeweilige Lebenskonzept essenziell“, bringt Finanzexpertin Schröders es auf den Punkt. In ihrer eigenen Beratung setzt sie dies mit einem Gutachten um, in dem sämtliche relevante Bereiche abgefragt werden: „So ergibt sich ein großes Gesamtbild der Finanzen.“
Bunte Zukunftsmusik und Visionen
Obwohl Schröders ihre Finanzberatung für die queere Community erst vor wenigen Monaten gestartet hat, zieht sie bereits eine positive Bilanz. Die ersten Kunden sind gewonnen und die mediale Aufmerksamkeit befeuert die Sensibilisierung für die Zielklientel. Trotzdem steckt der Markt erst in den Kinderschuhen und hat noch viel Luft nach oben, ist Schröders überzeugt. Darum sucht sie mit Blick auf das eigene Geschäft gezielt nach Vermittlern und anderen Finanzakteuren, um ein breites Netzwerk aufzubauen. Der queeren Zielgruppe müssen diese nicht angehören. „Das ist ja kein Qualitätsmerkmal, wichtiger sind ein echtes Interesse an der Zielgruppe und deren Themen, sowie Einfühlungsvermögen und Taktgefühl“, sagt sie.
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