Werden PKV-Bestandskunden systematisch schlechter gestellt als Neukunden?
procontra: PKV-Bestandskunden bekommen irgendwann das Problem, dass ihr Tarif sehr alt ist und sie nicht von neuen Leistungen profitieren. Sie als Maklerin sind dann gefragt, den Tarif beim Versicherer erweitern zu lassen. Welche Probleme gibt es dabei?
Glorius: Das Problem ist: Eine Leistungslücke wird oft erst nach sehr langer Zeit festgestellt. Angenommen jemand hat seit 30 Jahren einen PKV-Tarif, der häufig Hospiz-Leistungen oder die häusliche Krankenpflege nicht enthält. So ein Tarif wird aber nicht einfach erweitert, ein Upgrade gibt es nur durch einen Tarifwechsel. Aber dann prüft der Versicherer die Gesundheit des Kunden für die hinzukommenden Leistungen erneut. Jemand, der in den vergangenen Jahren beispielsweise eine Erkrankung wie Arthrose, Schlaganfall oder eine Miniskus-Op in Anspruch genommen hat, bekommt diese Leistungserweiterung nicht oder nur unter extrem schlechten Bedingungen. Man sollte das Thema aber auch aus juristischer Perspektive sehen: Aus gesetzlicher Sicht handeln die Versicherer absolut korrekt. 1992 wurde der Paragraf 204 zum Tarifwechsel eingeführt, da ging es darum, Kunden den Wechsel in einen günstigeren Tarif zu ermöglichen. Dem Gesetzgeber ging es damals nicht um die Leistungsverbesserung.
procontra: Aber wenn die Erkrankung außerhalb des Abfragezeitraums des Antrages auf Versicherungsschutz liegt, müsste der Tarifwechsel doch eigentlich kein Problem sein, oder?
Glorius: Doch, denn der Versicherer kann auf die gesamte Krankenakte des Bestandskunden zurückgreifen und das macht er auch. Bei einem Tarifwechsel darf die Gesundheit des Kunden nicht gänzlich neu geprüft werden, sondern nur in Bezug auf die hinzukommenden Leistungen. Aber selbst bei einer „partiellen Leistungsänderung“ durchkämmen die Versicherer die gesamte Akte. Sie sehen sich die eingereichten Rechnungen an, prüfen also was in den vergangenen Jahren abgerechnet wurde – und bewerten das dann mit. Auch wenn die Rechnungen außerhalb des Abfragezeitraumes liegen. Dann kann der Versicherer einen Mehrleistungsverzicht anbieten oder einen Risikozuschlag. Die meisten Versicherer versuchen aber schon ein Angebot zu machen.
„Der Versicherer prüft die gesamte Akte“
procontra: Und wie sieht es aus, wenn ich meinen Tarif „nur“ anpassen will, weil ich beispielsweise mehr verdiene und mein Krankentagegeld entsprechend erhöhen lassen möchte?
Glorius: Bei einer Gehaltserhöhung haben Kunden meistens drei Monate Zeit, die Veränderung dem Versicherer zu melden. Wer eine Nachversicherungsgarantie hat, dem wird die Differenz im Krankentagegeld ohne Gesundheitsprüfung nachversichert. Wer allerdings keine solche Garantie in seinem Tarif hat, bekommt ein Problem: Wir erleben es oft, dass jemand im Laufe der Zeit immer besser verdient, sagen wir um die 4.000 bis 5.000 Euro netto. Über 20 Jahre lang wurde aber sein Vertrag nicht angepasst. Dieser Kunde bekommt dann im dümmsten Fall mit seinem aktuellen Vertrag gerade einmal 3.000 Euro netto Krankentagegeld. Davon muss er noch die Krankenversicherung bezahlen, das heißt ihm bleiben nur noch etwa 2.400 Euro übrig, also die Hälfte von dem, was ihm sonst zur Verfügung steht. Also stelle ich einen Antrag bei seinem Versicherer auf Erhöhung des Krankentagegelds, dazu gehört aber auch wieder die Gesundheitsprüfung. Da der Versicherer die Krankenhistorie kennt, prüft er die gesamte Akte. Das ist gesetzlich legitim. Hat der Kunde in der Zwischenzeit zum Beispiel vor elf Jahren eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen, kann es passieren, dass der Versicherer die Anpassung ablehnt. Wäre er ein Neukunde, hätte das anders ausgesehen.
procontra: Gibt es keine Möglichkeit, dass der Kunde dennoch sein Krankentagegeld erhöhen lassen kann?
Glorius: Wenn der Bestandsversicherer ablehnt, gehen wir über einen zweiten Versicherer. Das wird aber umständlich für den Kunden, denn er muss dann bei zwei Versicherern im Leistungsfall aktiv werden.
procontra: Ist eine Ablehnung eigentlich auch bei einem anderen Versicherer meldepflichtig? Sinken also dann die Chancen, den Kunden den Schutz bei einem anderen Anbieter zu bekommen?
Glorius: Nicht immer fragen die Versicherer nach. Aber wenn nach einer vorhergehenden Ablehnung gefragt wird, muss man antworten und dann lehnt im Zweifel auch der zweite Versicherer ab – wenngleich die Gründe dafür unbekannt sind, denn die werden ja nicht aufgeführt. Das ist verrückt.
procontra: Wie oft kommt es denn in Ihrem Berateralltag vor, dass Bestandskunden tatsächlich schlechter gestellt sind als Neukunden? Wie oft müssen Sie eingreifen?
Glorius: Bei 70 Prozent der Kunden muss ich etwas tun: Da ist das Krankentagegeld falsch abgesichert oder der Tarif muss umstrukturiert werden. Es ist ja so: Vermittler schließen für die Kunden eine PKV ab, dann ist er im Bestand und wenn er sich meldet, tut der Makler auch etwas. Auf eigene Initiative werden Makler nicht so oft tätig, denn die PKV-Betreuungscourtage ist klein. Wer 500 Euro monatlich für eine PKV bezahlt, zahlt also 6.000 Euro im Jahr, davon bekomme ich im Schnitt 1,5 Prozent Betreuungscourtage. Das heißt, ich bekomme 90 Euro im Jahr. Dafür kann ich ungefähr 40 Minuten arbeiten. Die sind oft aber fürs Backoffice und das Dokumentenmanagement schon aufgebraucht.
„Das ist das größte Risiko bei einem Anbieterwechsel“
procontra: Wäre da eine bessere Vergütung für die Bestandskundenpflege sinnvoll?
Glorius: Wer Makler wird, hat erst einmal keinen Bestand. Den muss man selbst aufbauen, aber von irgendetwas muss man ja auch leben. Das heißt: Die neuen Makler, die ohne Starthilfe eines größeren Versicherungsmaklers starten, sind alle darauf angewiesen, dass sie KV und LV mit Abschlusskosten mit einer Abschlussprovision (AP) abschließen, denn andernfalls lässt sich in den ersten drei Jahren das Business überhaupt nicht finanzieren.
procontra: Wie oft prüfen Sie die Verträge der Kunden?
Glorius: Wir bieten immer Jahresgespräche an. Bei Kunden, die noch im Erwerbsleben sind, telefonieren wir auch hinterher. Denn bei diesen Kunden muss meist mehr angepasst werden, wie das Krankentagegeld. Weil große Konzerne Gehaltserhöhungen oft Mitte des Jahres vornehmen, versenden wir in dem Zeitraum einen Newsletter mit den entsprechenden Informationen. Wenn ein Versicherer etwas Grundlegendes verändert, mailen wir alle Kunden dieses Versicherers an und informieren sie mit einem Blogartikel. Bei Prämienerhöhungen unter 40 Euro bekommen die Kunden eine Nutzerinfo mit dem Hinweis, er könne sich melden, bei über 40 Euro steigen wir automatisch in die Tarifgespräche ein. Wir kontaktieren Kunden außerdem über eine App, damit wir darüber die Infos schneller verbreiten können.
procontra: Angenommen ein Tarifwechsel beziehungsweise eine Anpassung sind nicht möglich: Dann könnten Kunden doch einen Anbieterwechsel anstreben? Aufgrund der Alterungsrückstände hatten die Versicherer jahrelang ihre Kunden in der Zange. Nun können die Alterungsrückstände aber mitgenommen werden. Müssen Versicherer sich jetzt also kulanter gegenüber Bestandskunden verhalten, um sie nicht zu verlieren?
Glorius: Man kann ja nur einen Teil seiner Alterungsrückstellungen übertragen. Ein Großteil kann nicht mitgenommen werden. Die Übertragung ist auch erst seit 2008 möglich. Und das größte Risiko bei einem Anbieterwechsel ist die Frage: Hat der Kunde wirklich alle relevanten Erkrankungen und Behandlungen angegeben? Wer nur ein Vergleichsportal nutzt, dem kann es passieren, dass er vergangene Diagnosen nicht mehr auf dem Schirm hat und sie nicht angibt. Dann hängt das Damoklesschwert einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht über dem Kunden. Die ARAG prüft nach unseren Recherchen beispielsweise aus der Akte der kassenärztlichen Vereinigung und schmeißt ihre Kunden häufig rigoros raus, wenn etwas fehlt. Wer innerhalb der ersten fünf Jahre seiner Mitgliedschaft einen Leistungsfall hat, könnte dann Probleme bekommen.
procontra: Wie minimieren Sie dieses Risiko?
Glorius: Die meisten Kunden heben für die Steuererklärung alle Rechnungen auf, um sie abzusetzen – was im Übrigen meist gar nicht möglich ist, weil sie die erforderliche Mindesthöhe für eine steuerliche Absetzung nicht erreichen. Diese Rechnungen lasse ich mir geben, erstelle ein Risikoprofil und stelle erst dann die Risikovoranfrage an die Anbieter. Aber wer seit Jahren vollversichert ist, bei dem streben wir keinen Wechsel mehr an, weil das für ihn zum einen mit Verlusten verbunden wäre und zum anderen seine Beiträge erheblich höher sind.
„Versicherer sind froh, wenn ältere Kunden kündigen“
procontra: Und dieses Verhalten können sich die Versicherer noch leisten angesichts der stagnierenden Zahlen in den PKV-Vollversicherungen?
Glorius: Natürlich können sie sich das leisten. Für die Versicherer ist es sogar vorteilhaft, wenn ein älterer Kunde geht. Je älter die Kunden, desto mehr Erkrankungen haben sie im Durchschnitt und desto teurer werden sie auch. Sie sind dankbar, wenn der aus dem Kollektiv verschwindet, zumal er dann ja erzwungenermaßen einen Teil seiner Alterungsrückstände in der Gruppe lassen muss. Das ist doch für Versicherer der beste Fall: Wenn Kunden die Police jung abschließen – als sie kaum etwas gekostet haben – und gehen, wenn sie älter werden. Besser geht es für die Anbieter nicht. Ein Kunde von uns, der Mitte 50 ist, hat seine Krankenversicherung gekündigt und der Versicherer hat uns ganz klar signalisiert: „Wir bitten nicht um eine Rückholaktion.“ Das heißt, das ist ein Kunde, von dem sie froh sind, dass sie ihn los sind.
procontra: Und es hat sich nichts zum Besseren gewendet in den vergangenen Jahren?
Glorius: Nein. Es gibt auch Versicherer, die sich vorbildlich verhalten wie zum Beispiel die Allianz und DKV, die bei einem internen Tarifwechsel immer versuchen, den auch anzubieten. Das könnte natürlich auch eine strategische Imageentscheidung sein. Aber ich möchte glauben, dass sie das Herz am richtigen Fleck haben.
procontra: Wie oft passiert es in Ihrem Berateralltag, dass Kunden die PKV-Vollversicherung wechseln?
Glorius: Das kommt – zugegebenermaßen – eher selten vor und nur bei denen, die wirklich sehr schlecht versichert sind.