procontra: Das früher dominierende Einverdiener-Modell ist auf dem Rückzug, rund 75 Prozent aller Frauen sind berufstätig – haben Frauen heute ihre finanzielle Unabhängigkeit erreicht?
Barbara Rojahn: Es stimmt, dass heute mehr Frauen berufstätig sind – der Arbeitsmarkt braucht sie auch. Frauen sind allerdings sehr häufig teilzeitbeschäftigt oder haben einen Mini-Job. Und mit einer Teilzeitbeschäftigung oder ihren reduzierten Arbeitszeiten haben sie ihre finanzielle Unabhängigkeit natürlich nicht im Griff. Denn sie verdienen deutlich weniger als die Männer und können demzufolge auch weniger Geld in die Altersvorsorge stecken. Darüber hinaus geben sie ihr Geld verhältnismäßig häufig für die Kinderbetreuung aus, statt diese aus dem Familieneinkommen zu zahlen. Wir sind zwar in den vergangenen Jahren einige Schritte weitergekommen, aber die finanzielle Unabhängigkeit haben die meisten Frauen noch lange nicht erreicht.
procontra: 25 Jahre sind sie jetzt als unabhängige Finanzberaterin tätig. Wie hat sich in dieser Zeit die Situation der Frauen verändert?
Rojahn: Das Bewusstsein, das Frauen heute selbst etwas für ihre Altersvorsorge machen müssen, ist mittlerweile durchaus vorhanden. Es gibt zwar immer noch ab und an die Überzeugung, dass der Mann die beste Altersvorsorge ist, aber das lässt insbesondere bei den jüngeren Frauen glücklicherweise deutlich nach. Woran es hingegen noch fehlt, ist die sich aus dem Bewusstsein ergebende Konsequenz, trotz geringerem Einkommen genauso viel wie die Männer in die Altersvorsorge zu investieren.
procontra: Das ist ja eine Entscheidung, die viele Paare gemeinsam treffen. Inwieweit können Sie hier Einfluss nehmen?
Rojahn: Es wird auf jeden Fall in der Beratung angesprochen. Viele Frauen haben offenbar immer noch das Problem, dass sie sich nicht trauen, mit dem Partner über das Thema Geld zu sprechen. Das Thema sollte aber offen thematisiert werden, und zwar am besten vor der Hochzeit. Es will ja keiner dem anderen etwas Böses, es geht einzig und allein um ein Gespräch auf Augenhöhe. Für uns ist es natürlich ein Traum, wenn die Frauen ihre Partner gleich mit in die Beratung bringen. So können wir gemeinsam schauen, was das Beste für alle Beteiligten ist. Ich hatte jüngst einen Fall, in dem eine Mutter von vier Kindern, die mit einem Chefarzt verheiratet ist, ihren Minijob verloren hatte. Ihr Mann rief mich an und erklärte, dass seine Frau nicht mehr ihre Altersvorsorgebeiträge zahlen könne. Auf die Idee, dass er diese übernehmen könne, war er gar nicht gekommen. Ohne Probleme hat er dann die regelmäßigen Zahlungen übernommen.
procontra: Nun soll der Makler ja von sich aus auf die individuellen Bedürfnisse seiner Kunden eingehen. Warum braucht es da eine extra Finanzberatung für Frauen?
Rojahn: Viele Frauen gehen lieber zu Frauen, weil diese ihre persönliche Lebenssituation und vielleicht auch ihre Ängste einfach besser verstehen. Wenn eine Frau zwei Kinder hat, aber kein Geld für die Altersvorsorge – diese Situation kann eine Frau viel besser nachvollziehen, insbesondere, wenn sie selbst Kinder hat. Die meisten Frauen wünschen sich eine anspruchsvolle, bedarfsgerechte Beratung, erleben aber bei männlichen Beratern oftmals überfordernde Situationen, in denen ihnen zahlreiche Charts gezeigt sowie unverständliche Fachbegriffe verwendet werden. Sie möchten die Dinge genau verstehen und benötigen Zeit für ihre Entscheidung. Auch das Bauchgefühl muss stimmen.
Seite 1: Nicht weniger investieren als MännerSeite 2: "Bei Frauen kommt die Absicherung vor der Vorsorge"
procontra: Was können denn ihre männlichen Kollegen anders machen?
Rojahn: Sie müssen auf die persönliche Situation des Menschen, der von ihnen sitzt, eingehen und zuhören. Ob es eine junge Frau, eine ältere Frau oder ein Mann ist - Menschen wollen unterschiedlich beraten werden, es gibt keine 08/15-Beratung. Dafür braucht es sehr viel Einfühlungsvermögen, und es muss Vertrauen aufgebaut werden. Der größte Fehler ist es, wenn ich am Ende des Gesprächs sage: ,So, jetzt unterschreiben sie hier unten rechts‘. Druck ist das Allerschlimmste, was man bei Frauen ausüben kann.
procontra: Sprechen Männer und Frauen beim Thema Geld generell eine andere Sprache?
Rojahn: Ja. Das sehe ich beispielsweise, wenn Frauen zusammen mit ihren Männern zu mir kommen. Die Männer sind vorrangig an der Rendite der jeweiligen Finanzanlage interessiert, die meisten Frauen wollen hingegen deren Inhalt verstehen. Sie wollen begreifen, wie die jeweiligen Geldanlagen funktionieren, auch ethisch-ökologische Aspekte spielen eine sehr große Rolle. Da sind viele Frauen dann allgemein eher bereit, auf ein wenig Rendite zu verzichten, wenn sie dafür eine nachhaltige Altersvorsorge betreiben.
procontra: Sind denn auch fernab der Geldanlage Unterschiede im Absicherungsverhalten feststellbar?
Rojahn: Frauen sichern häufiger ihre Berufsunfähigkeit ab, während bei Männern eher die Überzeugung überwiegt, sie würden nicht berufsunfähig. Generell kann man sagen, dass bei Frauen die Absicherung vor der Altersvorsorge kommt – das schließt die Absicherung ihrer Kinder mit ein.
procontra: Ist es denn noch die Regel, dass der Mann in einer Beziehung für das Finanzielle zuständig ist?
Rojahn: Leider ist das Thema Geld bei manchen Frauen immer noch unpopulär. Oft wird es einfach verdrängt. Auch wenn es ein sensibles Thema ist, müssen Frauen sich mit bestimmten Themen im Leben einfach auseinandersetzen. Hier leisten wir viel Aufbauarbeit und versuchen ihnen nahezubringen, dass das Thema Altersvorsorge nicht schwierig sein muss und sogar Spaß machen kann.
Seite 1: Nicht weniger investieren als MännerSeite 2: "Bei Frauen kommt die Absicherung vor der Vorsorge"