Tierversicherung: "Viele Pferdebesitzer unterschätzen die Gefahren"
In Deutschland gibt es etwa 900.000 Pferdebesitzer und knapp vier Millionen Reiter. Versicherungen in diesem Bereich sind also mehr als ein Nischenprodukt. Aber welche Policen sind wirklich sinnvoll und welche kann man sich getrost sparen? Maklerin Bettina Schröder, seit 2016 Abteilungsleiterin Tierversicherung bei Atermann, König und Pavenstedt in Bremen, hat uns Antworten dazu gegeben.
procontra: Welche Versicherungen sind für jeden Besitzer eines Reitpferds aus Ihrer Sicht unverzichtbar?
Bettina Schröder: "Versicherung ist etwas für Feiglinge" – dieser Spruch trifft nicht immer zu. Pferde lassen sich nicht nach einer Gebrauchsanweisung bedienen und nicht jede Reaktion kann vorhergesehen werden. Die von dem Pferd ausgehende Gefahr wird oft unterschätzt – frei nach dem Motto: Das ist nur unser kleiner Rasenmäher im Vorgarten und da kann nicht passieren. Generell sollte die Tierhalter-Haftpflicht-Versicherung – egal welchen Verwendungszweck das Pferd hat – für jeden Tierhalter ein Muss sein. Pferdehaltung ist kein preiswertes Hobby und an einer Versicherungsprämie zu sparen ist der falsche Ansatz.
Selbst nicht gerittene Shetland Ponys können große Schäden anrichten, deren finanzielle Folgen für den Besitzer nicht abzusehen sein können. Pferde verlassen beispielsweise auf unmöglichste Art ihre Weide, verlieren ihren Reiter, sie gehen gern auch mal auf einer Autobahn die Welt erkunden. Die möglichen entstehenden Sachschäden sind oft noch harmlos in Vergleich zu den möglichen Personenschäden.
procontra: Viele Pferdebesitzer sind allerdings unsicher, welche Policen die verschiedenen Gefahren tatsächlich abdecken. Mit welchen verbreiteten Irrtümern werden Sie in der Beratung am häufigsten konfrontiert?
Schröder: Das Problem ist oft, dass es zu viele Auswahlmöglichkeiten gibt oder veraltete Verträge bestehen – denn Gegebenheiten und Versicherungsbedingungen ändern sich. Viele haben vor Jahren bei der Anschaffung ihres Pferdes eine Tierhalter Haftpflicht-Versicherung abgeschlossen. Früher waren Deckungssummen von 1.500.000 Euro der Standard und auch Fremdreiter (Reitbeteiligungen) musste man separat einschließen. Im Laufe der Zeit ändert sich der Verwendungszweck des Pferdes und auch die Versicherungssummen, die mittlerweile auf dem Markt angeboten werden, sind weit nach oben gegangen. Ergebnis ist heute, dass der Tierhalter durch die Beitragsanpassungen eine überteuerte Police mit geringen Versicherungssummen und Deckungsumfang hat.
Im Netz wird man bei Vergleichsrechnern mit Angeboten erschlagen. Bei der Suche nach Angeboten zur Pferdehalter-Haftflicht-Versicherung mit einer Deckungssumme von mindestens 10 Millionen Euro und ohne Selbstbeteiligung kommen 55 Ergebnisse in einer Preisspanne von 94 bis zu 250 Euro. Fragen, ob eine Selbstbeteiligung Sinn macht und ob man wirklich eine hohe Versicherungssumme benötigt, stehen auf der Tagesordnung, ebenso die Fragen: Wenn ich ein Pferd nur mit dem Verwendungszweck Weidepferd versichert habe – also ohne Reitrisiko – darf ich dann mit dem Spazieren gehen? Ist das Fremdreiterrisiko mit abgedeckt?
Die heute von den Marktführern angebotenen Produkte beinhalten generell mit Fremdreiterrisiko und haben auch Deckungserweiterungen, wie Schäden an privat geliehen Pferdeanhängern.
Seite 1: "Es gibt zu viele Auswahlmöglichkeiten"Seite 2: "Die Gefahr eines Reitunfalls ist vergleichsweise gering"
procontra: Wohn geht der Trend aktuell – welche neuen Versicherungsprodukte gibt es auf dem Markt?
Schröder: Wirklich neue Versicherungsprodukte gibt es nicht. Die Standard-Produkte rund um das Pferd sind:
· Tierhalter-Haftpflicht
· Operationskostenversicherung
· Krankenversicherung
· Lebensversicherung
· Leibesfrucht-Versicherung
· Transportversicherung der eigenen Tiere mit eigenen Anhängern
procontra: Und was davon braucht der Kunde wirklich?
Schröder: Neben einer Tierhalter-Haftpflicht-Versicherung ist es teilweise sinnvoll eine OP-Kostenversicherung abzuschließen. Hier werden Operationen – egal ob in Stand- oder Vollnarkose – abgedeckt. Operationen können sehr teuer werden und dem Kunden fällt die Entscheidung ein Pferd zu operieren oft leichter, wenn eine OP-Kostenversicherung einen großen Anteil der Tierarztrechnung übernimmt. Oft wäre auch eine Krankenversicherung für die Besitzer interessant, aber die wenigsten können und wollen dafür die Prämie aufbringen.
Aktuell sind Tierlebensversicherungen für Warmblüter sehr gefragt, bei der bereits lebensrettende Maßnahmen prämienfrei bis zu einer bestimmten Höhe mitversichert sind. Zusätzlich kann man bei diesem Produkt ergänzende Bausteine für eine OP- oder Krankenversicherung abschließen.
procontra: Gibt es Pferde-Versicherungsprodukte, die Sie generell für überflüssig halten?
Schröder: Braucht man eine Reiter-Unfall-Versicherung? Sport und Hausarbeit – das sind die Tätigkeiten, bei denen am meisten Unfälle passieren. Fußball oder Skifahren führen die Statistik bei den Unfällen an – Reiten kommt allerdings ziemlich zum Schluss. Gemessen an der Zeit, die man auf einem Pferd verbringt, ist die Gefahr gering, dass man ausgerechnet bei Reiten einen Unfall hat. Hier sollte der Kunde eher an eine generelle Unfallversicherung denken, die eine 24-Stunden-Deckung hat.
Gleiches gilt für die Pferdehalter-Rechtsschutz-Versicherung – da macht es vielleicht auch Sinn über eine ganzheitlichere Absicherung des Versicherungsschutzes nachzudenken und nicht nur eine für den Pferdehalter-Bereich.
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