Solvenzanalyse: BdV sieht Hälfte der Lebensversicherer in Gefahr

Der Bund der Versicherten sieht mehr als die Hälfte aller deutschen Lebensversicherer in finanzieller Not. Für dieses Schreckensszenario nutzen die Verbraucherschützer aber eine selbst entwickelte Rechengröße. Fachkundige Kritik folgte prompt.

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14:06 Uhr | 24. Juni | 2021
Nach der Berechnungsformel von BdV-Vorstand Axel Kleinlein verfügen 42 von 80 Lebensversicherern nicht über ausreichende Finanzmittel. Bild: BdV

Nach der Berechnungsformel von BdV-Vorstand Axel Kleinlein verfügen 42 von 80 Lebensversicherern nicht über ausreichende Finanzmittel. Bild: BdV

Seit Kurzem liegen die Solvabilitätsberichte der Lebensversicherer für das Jahr 2020 vor. Dass die Solvenzquoten der Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr größtenteils gesunken sind, hatte bereits eine Untersuchung des map-reports ergeben. Außerdem unterscheiden sich die Quoten von Versicherer zu Versicherer teilweise um mehrere hundert Prozent.

Die jüngsten Zahlen hat nun auch der Bund der Versicherten (BdV) zum Anlass genommen, seine generelle Kritik an den deutschen Lebensversicherern zu erneuern. Bei der heutigen Vorstellung ihrer diesjährigen Solvenzanalyse haben die Verbraucherschützer mehr als der Hälfte der untersuchten 80 Lebensversicherer die Finanzstärke abgesprochen. Soll heißen: Bei 53 Prozent beziehungsweise 42 Anbietern sieht der BdV eine Solvenzquote von unter 100 Prozent. Sie wären damit nicht zahlungsfähig, wenn in einem plötzlichen Extremfall alle ihre (möglichen) Verbindlichkeiten gleichzeitig zu begleichen wären.

„42 von 80 reißen die Solvenzhürde“

Hintergrund für diese dramatische Sichtweise ist eine neue Rechengröße, die der BdV in diesem Jahr erstmals ins Feld führt: Die sogenannte reine Solvenzquote ohne Kundengelder. Dabei rechnen die Verbraucherschützer nicht nur die Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen heraus (reine Solvenzquote), sondern auch die noch nicht zugewiesenen Überschüsse, die zu 100 Prozent den Versicherten gehören. „42 der 80 untersuchten Lebensversicherungsunternehmen reißen diese Solvenzhürde. Das heißt, 53 Prozent aller Unternehmen können nur unter Zuhilfenahme von Übergangsmaßnahmen, Volatilitätsanpassungen und/oder Kundengeldern die geforderte Solvenz nachweisen“, so BdV-Vorstand Axel Kleinlein.

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Die Verbraucherschützer sprechen von einem besorgniserregenden Ergebnis. Allerdings sind ihre beiden Rechengrößen – die reine Solvenzquote und die reine Solvenzquote ohne Kundengelder – keine Quoten, die offiziell Anwendung finden. Vor den Aufsichtsbehörden und um die Solvency-II-Regularien zu erfüllen, müssen sie lediglich bei der ausgewiesenen Solvenzquote die 100 Prozent erreichen. Darin können aber noch bis zum Jahr 2032 Übergangsmaßnahmen, Volatilitätsanpassungen und Überschüsse enthalten sein. Aktuell fällt hier kein Lebensversicherer aus dem Raster, allerdings beobachtet die Bafin rund 20 Lebensversicherer mit eher niedrigen Solvenzquoten derzeit intensiver.

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Dennoch: Die düstere Prognose des BdV ist nur eine Sichtweise. Zudem stößt die Solvenzanalyse, die der Verbraucherschützerverein zusammen mit der Zielke Research GmbH erstellt, regelmäßig auf harsche Kritik. Auch inhaltliche Fehler und Unterstellungen werden den Autoren von Seiten der Lebensversicherer vorgeworfen. Da verwundert es nicht, dass die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) noch heute auf den erneuten Rundumschlag gegen die deutschen Lebensversicherer reagiert hat. „Die Übergangsmaßnahmen sind ein elementarer Bestandteil des seit 2016 gültigen Aufsichtsregimes Solvency II, wodurch es für jedes Unternehmen genau eine offizielle Solvency-II-Kennzahl gibt. Berechnungen sogenannter ‚reiner Solvenzquoten‘ ohne Berücksichtigung der Übergangsmaßnahmen sind vor diesem Hintergrund aufsichtsrechtlich keine validen Kennzahlen und können sogar zu Fehlinterpretationen führen“, schreibt der DAV-Vorsitzende Dr. Herbert Schneidemann in einem Statement.

Schneidemann ist zugleich der Vorstandsvorsitzende der Bayerische Beamten Lebensversicherung a.G. Sein Unternehmen kommt auf eine ausgewiesene Solvenzquote von 234 Prozent. Bei den beiden BdV-Quoten sind es hingegen nur 70 und 23 Prozent. „Aus aktuarieller Sicht darf die Verwendung der Übergangsmaßnahmen nicht als Zeichen von Schwäche verstanden werden. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer sorgfältigen Risikoanalyse und Unternehmensstrategie. Die bewusste Entscheidung für die Nutzung von Übergangsmaßnahmen ermöglicht eine laufende und ressourcenschonende Verbesserung der Risikotragfähigkeit, die dem langfristigen Charakter des Lebensversicherungsgeschäfts entspricht. Sie ist im Sinne eines kollektiven Verbraucherschutzes zu begrüßen. Ein prozyklisches Verhalten und die Umsetzung von Maßnahmen, zum Beispiel auf Seiten der Kapitalanlage, zum Nachteil der Versicherten können dadurch vermieden werden“, erklärt Schneidemann.

Insgesamt hält er die Marktsituation der deutschen Lebensversicherer weiterhin für sehr stabil. Dazu hätten die Unternehmen bereits seit 2011 durch den Aufbau der Zinszusatzreserve beugetragen. Allerdings werde die Bafin auch genau beobachten, wie gut die Versicherer ihrer existenziellen Aufgabe bis 2032 nachkommen und gegebenenfalls im Rahmen ihrer Kompetenz regulierend eingreifen, mahnt Schneidemann. Dies sei aus aktuarieller Sicht auch absolut notwendig, um die langfristige Stabilität des gesamten Versicherungswesens auf dem heutigen hohen Niveau gerade im Interesse der Kundinnen und Kunden weiterhin sicherzustellen.

Die aktuelle Solvenzanalyse des BdV mit den Einzelergebnissen aller Lebensversicher kann hier heruntergeladen werden.

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